Klimabilanz von Diesel und Elektromotoren Die fünf wichtigsten Kritikpunkte an der Sinn-Studie

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Müssen neue Kohlekraftwerke gebaut werden?

Sinn argumentiert, ein Umstieg vom Verbrennungsmotor auf E-Mobilität sei auch wegen des zusätzlichen Strombedarfs für die Autos nicht zielführend. Weil der Atomausstieg 2022 anstehe, müsse man sogar davon ausgehen, dass der zusätzliche Strombedarf von rund einem Drittel des heutigen Gesamtverbrauchs „ausschließlich aus neuen Kohlekraftwerken gedeckt“ werden müsse.  Doch  die Autoren berechnen den Strombedarf falsch, der nötig wäre, wenn alle 46 Millionen PKW in Deutschland rein elektrisch fahren würden: „Würde man zukünftig alle bislang mit fossilen Brennstoffen fahrenden Pkw auf elektrischen Antrieb umstellen, entstünde ein zusätzlicher Bedarf an elektrischer Bruttoenergie von mindestens 200 Terawattstunden (TWh) pro Jahr, weil für Leitungs- und Ladeverluste etwa ein Drittel der Energie verloren geht,“ schreiben sie.

Sinn rechnet hier vom heutigen Kraftstoffverbrauch zunächst um auf einen „Wärmeenergiebedarf von 590 TWh“ und davon dann wieder zurück auf 200 TWh Strombedarf. „Das ist abenteuerlich“, sagt Fraunhofer-Forscher Burger. Denn Sinn übersieht, dass E-Autos einen doppelt so hohen Wirkungsgrad haben wie Benziner und Diesel; das allein halbiert den angeblichen Strombedarf. Außerdem sind die Leitungs- und Ladeverluste mit einem Drittel viel zu hoch angesetzt.

Burger wundert sich: „Warum zwei Mal von hinten durch die Brust ins Auge, wenn dabei ein um den Faktor 2 bis 3 falsches Ergebnis herauskommt? Das hätte man auch einfach empirisch rechnen können. „ Und zwar so: Wenn wirklich alle 46 Millionen PKW in Deutschland E-Autos wären, was noch Jahrzehnte dauern würde,   dann entspräche dies einem zusätzlichen Strombedarf von rund 100 Terawattstunden pro Jahr, nicht von 200. Das ergibt sich ganz einfach aus dem Durchschnittsverbrauch aller E-Autos (17,5 KWh laut KBA) und den 631 Milliarden jährlich gefahrenen Kilometern. Also 0,175 Kilowattstunden mal 631.000.000.000 gleich rund 105 TWh. Die Hälfte davon, 50 TWh pro Jahr, wäre übrigens schon da – sie wird exportiert. Hauptsächlich Braunkohlestrom nach Holland und Italien.

Auch, dass für die Deckung dieser 105, nicht 200, TWh nur „Steinkohlekraftwerke infrage“ kämen, stimmt laut den Experten der Forschungsgesellschaft für Energiewirtschaft nicht: Das würde schon allein die Kosten der dafür fälligen CO2-Zertifikate verhindern. „ Wenn überhaupt fossile Energieträger infrage  kämen, dann Gas“, sagt Burger. „Es gibt genügend Gaskraftwerke in der Kaltreserve für ein paar Millionen E-Autos.“

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