
Amsterdam Der Mann, auf den eben noch alle Blicke gerichtet waren, verschränkt zufrieden die Arme und streicht über seinen Schnauzbart. Dieter Zetsche kennt sein Produkt. Während seine Gäste nahezu geschlossen ihre Smartphones in die Höhe strecken, um die ersten Fotos von der neuen A-Klasse zu knipsen, genießt der Daimler-Chef den Moment ohne jede Regung.
Der 64-Jährige wollte ein Auto für eine neue Generation kreieren, dass die alte Pferdestärkenwelt, die seinen Konzern an die Spitze der Automobilindustrie katapultiert hat, mit der Ära der sozialen Netzwerke verbindet. Er wirkt, als habe er sein Ziel erreicht – zumindest an diesem Abend. „Hey Mercedes“, sagt Zetsche mit einem Augenzwinkern: „Tell me a joke.“ Sein Auto antwortet prompt: „Tut mir leid, meine Ingenieure waren Deutsche.“ Die Sympathie des Publikums weiß Zetsche nach dem Scherz hinter sich. Über ihm schweben Kräne, massive Stahlträger und dicke Röhren. Dort, wo Daimler die Weltpremiere seines neuen Kompaktwagens feiert, wurden früher Schiffsmotoren gefertigt. Jetzt ist „De Kromhouthal“ im Norden Amsterdams ein mit Riesenleinwand und modernem Interieur aufgemotzter Veranstaltungsort im Industrielook.
Draußen wippt das Wasser dezent in den Kanälen (Grachten) der niederländischen Hauptstadt. Drinnen gibt Zetsche den Entertainer. Er trägt, was er am liebsten trägt: weißes Hemd, Jeans, dunkelblaues Sakko mit Mercedesstern am Revers und natürlich Sneaker. Wer bei der Jugend punkten will, muss lässig und cool rüberkommen. Zum Abschluss der Inszenierung rollen zwei Exemplare der neuen A-Klasse in die Halle. Die norwegische Pop-Sängerin Dagny trällert parallel dazu ihren Hit „Love you like that“.
Der Showaufwand zeigt: Es ist nicht irgendein Fahrzeug, das Daimler in Amsterdam der Weltöffentlichkeit präsentiert. Als erstes Modell von Mercedes wird die neue A-Klasse mit dem Multimediasystem MBUX ausgestattet bevor es auch der Rest der Flotte erhält. Das Kürzel steht für „Mercedes-Benz User Experience“ und soll nichts weniger als eine „neue Ära“ einläuten. Statt Knöpfen, Reglern und unpräzisen Touchpads lässt sich das Auto über einen cleveren Sprachassistenten steuern. Mercedes hat die Steuerung selbst entwickelt. Apples Siri oder Amazons Alexa lassen sich zwar verknüpfen, aber darauf angewiesen sind die Stuttgarter nicht. Das Credo: Künstliche Intelligenz können auch die Schwaben, nicht nur die Vorreiter aus dem Silicon Valley.
Die Vision von Daimler dabei: Nicht der Fahrer soll sich der Maschine anpassen müssen, sondern umgekehrt: das Auto dem Menschen. Mit dem Kommando „Hey Mercedes“ oder per Taste am Lenkrad wird der Assistent aktiviert. Um die Klimaanlage einzuschalten, reicht beispielsweise schon der simple Hinweis: „Mir ist kalt“ statt der eher rüden Befehle wie „Temperatur auf 23 Grad!“, die bisher bei Sprachsteuerungen üblich waren. Diese Zeiten sind passé, der Assistent erkennt auch intuitiv Alltagssprache. Wer der A-Klasse etwa sagt: „Ich habe Hunger“ wird prompt per Navigation zum nächsten Restaurant gelotst. Die Bedienstruktur glänzt dabei mit hochauflösenden 3D-Grafiken. In bestimmten Fahrsituationen kann die A-Klasse zudem dank verbesserter Kamera- und Radarsysteme erstmals teilautomatisiert fahren.
Daimler-Chef Zetsche ist ob der Neuerungen ganz verzückt. Er spricht von einem „Smartphone auf Rädern“. Zwar sei schon die Vorgängergeneration „extrem erfolgreich“ gewesen, sagt Zetsche. Aber mit der neuen Kompaktklasse sollen laut dem Dax-Manager noch mehr Fahrzeuge in diesem Segment abgesetzt werden als bisher. Und Zetsche geht dabei davon aus, „dass wir die Profitabilität weiter steigern können“. Das ist nicht selbstverständlich.
Als die A-Klasse vor mehr als 20 Jahren eingeführt wurde, fiel sie beim sogenannten Elch-Test schwedischer Motorjournalisten um und wurde lange belächelt. Doch die Kompaktwagen haben sich über die Jahre hinweg zu einem zentralen Bestandteil von Daimler entwickelt – sie sorgen für Masse und führen die jüngere Kundschaft an den Stuttgarter Konzern mit dem Stern im Logo heran.
Heute stehen A-Klasse und B-Klasse zusammen in etwa für 20 Prozent des jährlichen Absatzes der Marke Mercedes, schätzt Frank Schwope, Analyst bei der NordLB. Rund jeder zweite Fahrer der aktuellen Kompaktklasse fuhr davor ein Auto der Konkurrenz. Die A-Klasse ist ein Einsteigermodell für vergleichsweise junge Kunden, die sich aus Unternehmenssicht im Idealfall in die Marke verlieben und später eines der Luxusmodelle des Konzerns kaufen. Denn: „Richtig Geld verdient Daimler mit den großen teuren Autos, die mit möglichst viel Schnickschnack bestellt werden“, erklärt Schwope. Die Gewinngaranten von Daimler sind eher die E-Klasse und S-Klasse – Limousinen mit extravaganter Ausstattung.
Finanzexperte Schwope hält es daher für einen „ungewöhnlichen Schritt“, dass ausgerechnet beim kleinsten Stern von Mercedes das neue Bediensystem MBUX zuerst eingeführt wird. „Normalerweise kommen solche Neuerungen zuerst in den Luxuswagen und werden dann an die günstigeren Massenmodelle weitergereicht“, so Schwope. Daimler-Chef Zetsche hat für das Vorgehen eine simple Erklärung parat: „Die Kunden der Kompaktklasse sind an sich Smartphone affiner.“ Einer von drei A-Klasse-Kunden ist jünger als 30 Jahre. Dazu zählen auch ungewöhnlich viele Frauen. In China sind sogar die Hälfte der Käufer weiblich – eine Zielgruppe, die Daimler immer stärker ansprechen will.
„Mercedes wird mit der Einführung der A-Klasse noch ein bisschen stärker die Nase gegenüber BMW und Audi vorne haben“, prophezeit Analyst Schwope. Dabei sind die Stuttgarter schon jetzt die unangefochtene Nummer eins unter den Premiumherstellern. Konkret verkaufte die Marke Mercedes 2017 mit fast 2,3 Millionen rund 200.000 Autos mehr als BMW und liegt mittlerweile um 400.000 Einheiten vor Audi.
Befeuert wird der Absatz vom Boom bei Geländewagen, die mittlerweile rund ein Drittel der Verkäufe ausmachen. Auch in China läuft es bestens: Mit fast 600.000 verkauften Autos hat Mercedes seinen Absatz in der Volksrepublik seit 2014 fast verdoppelt. Die Folge: Im vergangenen Jahr erzielte Daimler bei einem Umsatz von mehr als 164 Milliarden Euro einen Rekordgewinn von fast elf Milliarden Euro.
Analyst Schwope glaubt zwar, dass BMW und Audi ihren Rückstand mittelfristig ausgleichen können, wenn deren neue Modelle auf den Markt kommen. Aber gerade Audi sei schon merklich zurückgefallen. „Die letzten Jahre stand Audi nicht mehr für ‚Vorsprung durch Technik‘, BMW und Mercedes sind deutlich vorne“, so Schwope. Aber nicht nur an Audi, auch an Daimler übt der Finanzfachmann Kritik. Dass der Konzern damit wirbt, der größte Premiumhersteller der Welt zu sein findet er ein wenig paradox. „Wenn ich premium bin, sollte ich doch möglichst exklusiv sein“, so Schwope. Aus seiner Sicht sollte sich Daimler eher als „Massen-Premiumhersteller“ bezeichnen. Je erfolgreicher die neue A-Klasse wird, desto eher dürfte der Befund des Analysten zutreffen. Ab März kann der Wagen jedenfalls bestellt werden.