Mobilität Fliegen ist viel einfacher

In der Luftfahrt ist ein Glaubenskrieg ausgebrochen: Sind fliegende Autos die Zukunft oder ein Hype? Die Antwort liefern europäische Start-ups.

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Diese Flugautos sollen bald auf den Markt kommen
PAL-V Quelle: obs
Computergrafik des Lilium Jet. Quelle: PR
Terrafugia TF-X- Auto, das zum Fliegen zwei Propeller ausklappt - Kann auf einem 30 Meter großen Platz abheben und 800 Kilometer weit fliegen - Der Prototyp soll 2018 erstmals fliegen. Die Serienproduktion ist erst in den 2020ern geplant Quelle: PR
Ehang 184- Drohne mit acht Propellern, die einen Passagier per Autopilot transportieren kann - Maximale Flugdauer: 25 Minuten. Reichweite: bis zu 50 Kilometer - Dubai will die Taxidrohne ab Juli einsetzen Quelle: Presse
Volocopter VC 200 Quelle: e-volo, Nikolay Kazakov

Die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin hatten schon viele ausgefallene Ideen, Mobilität neu zu erfinden, nur hat keine davon bisher tatsächlich gezündet. Selbstfahrende Autos, so versprach Brin im Jahr 2012, kämen im Jahr 2017 für die Massen auf die Straßen – bislang Fehlanzeige. Im geheimen X-Lab starteten Forscher ein Projekt für neuartige Frachtschiffe, die weniger Sprit verbrauchen sollten. Gestrichen. Und so wundert es nicht, wenn Pages neues Lieblingsprojekt nicht nur Bewunderung hervorrief, sondern auch Spott und Kritik.

Es geht um Kitty Hawk, eine Art fliegendes Motorrad und Vorstufe zum fliegenden Automobil. Wie dies funktioniert, konnte man in einem Werbevideo zu Pages neuestem Start-up neulich sehen: Eine Frau lädt darin ihre Freundin am Telefon zu einem spontanen Abendessen ein. Beide wohnen in schönen Villen an einem See. Schnell setzt sich die Eingeladene einen roten Helm auf, fliegt über das Wasser und landet ihre Kitty Hawk zwei Minuten später neben dem Boot der Gastgeberin. „Kitty Hawk wird revolutionieren, wie reiche Leute über einen See kommen“, machte sich prompt der Late-Night-Talker Stephen Colbert über das Werbevideo lustig. Das Ding sehe außerdem aus, als hätten ein „Minitrampolin und ein Hotdogwagen Sex miteinander gehabt“.

Dabei ist es eigentlich ein verlockendes Versprechen: Statt eineinhalb Stunden lang zur Arbeit zu pendeln, könnte man künftig binnen einer Viertelstunde mit neuen Fluggeräten hinüberfliegen. Wo heute noch Staus die Straßen verstopfen, könnten künftig vielleicht Taxis auf verschiedenen Höhen übereinander hinwegfliegen, genug Platz ist schließlich da im Himmel. Und wer sich heute noch ärgert, mehrfach unterwegs umsteigen zu müssen, könnte bald vielleicht von Tür zu Tür fliegen, als wäre der eigene Vorgarten ein Flughafen.

Die fünf Stufen des automatisierten Fahrens

Noch ist nicht ausgemacht, ob sich die Lösung für alle Verkehrsprobleme anbahnt oder nur Spielzeuge für Sci-Fi-begeisterte Internetgründer entstehen. Page und Co. kreieren einen Hype wie ungeduldige Milliardäre, die nicht erwarten können, ihre neueste Errungenschaft ihren ebenso betuchten Freunden zu zeigen. Denn die Liste der Unwägbarkeiten, die aus dem Weg geräumt werden müssen, damit das fliegende Auto zum Massenprodukt werden kann, ist noch lang. Werden Städte ihren Luftraum freigeben? Wird es sichere Straßen im Himmel geben? Ist die Technik wirklich schon so reif, dass Taxis abheben können? Die größte wird wohl sein, Menschen von den Vorteilen des Flugautos zu überzeugen. Und das können derzeit Pioniere aus Europa viel besser. Pioniere wie Markus Hess.

Nur Kennern der Szene ist der Privatpilot ein Begriff, aber für Hess ist der Traum vom nahezu unbegrenzten Fliegen schon heute Realität. Mehrmals im Monat fährt Hess, Marketingchef der holländischen Flugautoschmiede Pal-V, zum Flugplatz am Rande von Freiburg und rollt seinen Gyrokopter aus dem Hangar. Auch der Zwei-Personen-Helikopter ist so etwas wie die Vorstufe des fliegenden Autos, und Hess nutzt ihn, um zu Geschäftsterminen zu fliegen. Hochtrabende Werbevideos gibt es davon nicht, aber wenn Hess ins Meeting geht, hat er schon Flüsse, Wälder und Dörfer aus der Luft gesehen.

Demokratisierung für 299 000 Euro?

Er will das jetzt vielen anderen zugänglich machen – und zwar in einer aufgemotzten Version: Der Flieger von Pal-V klappt nach der Landung einfach den Propeller zusammen und rollt wie ein gewöhnliches Auto auf der Straße weiter, bis hinein in die heimische Garage. „Sie könnten künftig wählen“, sagt Hess, „ob Sie durch den Stau fahren oder über ihn hinwegfliegen.“ Für Start und Landung brauchen die Privatpiloten ein paar Dutzend Meter Platz und müssen darum künftig einen der 700 Flugplätze in Deutschland ansteuern.

Immerhin dürfte Pal-V eines der ersten Unternehmen sein, das tatsächlich ein fliegendes Auto auf den Markt bringt. 2018 sollen die ersten Schlüssel übergeben werden. Es gebe schon eine Reihe von Vorbestellungen. Vor allem Geschäftsreisende und Piloten interessieren sich für das Fluggerät.

Das ist die Alphabet-Holding
Logo Google Quelle: dpa
Ballon in der Stratosphäre, Googles "Project Loon" Quelle: AP
Rauchmelder der Firma Nest Quelle: dpa
CalicoDie Gesundheitsfirma Calico - kurz für California Life Company - soll vor allem das Altern erforschen - um es eventuell bremsen zu können. Das Unternehmen wurde 2013 von Google gegründet. Leitung: Arthur Levinson Quelle: dpa
Google Rechenzentrum Quelle: AP
SidewalkDer Spezialist Sidewalk ist auf die Infrastruktur moderner Städte fokussierte. Es soll unter anderem darum gehen, den Verkehr effizienter zu machen, Energieverbrauch und Lebenshaltungskosten zu senken oder die Stadtverwaltung zu verbessern. Leitung: Dan Doctoroff Quelle: Fotolia
Logo Google ventures Quelle: dpa

Für das Vergnügen müssen die Kunden ordentlich in die Tasche greifen: Ab 299 000 Euro ist der Flieger demnächst zu haben. Hinzu kommen Kosten für Wartung, den Sprit, etwa 15 Liter pro 100 Kilometer Flug, und ein paar Euro Landegebühren auf Flugplätzen.

Mit der aus dem Valley schon ausgerufenen „Demokratisierung der Luftfahrt“ hat das noch nichts zu tun. Und wenn Flugshuttles massenhaft den Verkehr entlasten sollen, müssen noch radikalere Konzepte her: Der Pilot sollte aus dem Cockpit verschwinden.

„In der Luft autonom zu fliegen ist viel einfacher, als mit einem selbstfahrenden Auto zu fahren. Die Maschine kann weiter sehen und dreidimensional ausweichen“, sagt etwa Frank Thelen, Vorstandschef der Risikokapitalfirma e42, der in das Flugtaxi-Start-up Lilium investiert hat. „Es gibt technologische Sprünge, die Industrien komplett verändern“, sagt der Investor. „Und das erleben wir jetzt beim Transport.“

So will etwa das Start-up e-Volo aus Bruchsal bei Karlsruhe nächstes Jahr eine Drohne für Passagiere präsentieren: Der Volocopter, ein Flieger mit 18 Propellern, kann zwei Menschen in die Lüfte heben und bis zu einer halben Stunde lang fliegen, komplett batteriebetrieben. „Nächstes Jahr“, sagt Co-Gründer Alexander Zosel, „wollen wir den Shuttle-Betrieb starten.“

In diesen Situationen möchten die Deutschen autonom fahren

Wenn eine Großstadt irgendwo auf der Welt mitspielt, dann will e-Volo Passagiere quer über Straßen und Hochhäuser hinweg transportieren – eine Art Buslinie in der Luft. Der Volocopter könnte auch schon computergesteuert fliegen, sagt Zosel. Gezeigt hat das bisher freilich noch niemand.

Airbus und ein Auto namens Pop.Up

Die Gründer haben nicht das Marketingbudget von Google, aber sie meinen es ernst: Eine Finanzierungsrunde ist im Gange, das Team soll bis Ende des Jahres von 20 auf mehr als 50 Mitarbeiter wachsen. Schon bald, sagt Zosel aller praktischen Probleme zum Trotz, könnten Flugtaxis zum normalen Bild in Innenstädten werden.

Autonom fliegende Autos, Shuttle-Betriebe – der Fahrtenvermittler Uber will bald sogar Taxifahrten durch die Lüfte billiger anbieten als auf der Straße. Doch noch sind nicht einmal für rollende Autos die Voraussetzungen geschaffen, dass sie sich fahrerlos fortbewegen. Wie soll das dann bei fliegenden Autos funktionieren?

"Das fliegende Elektroauto als Massenverkehrsmittel wird es nicht geben"

Gerade in der Autobranche blicken deshalb noch besonders viele skeptisch auf den Enthusiasmus: „Das fliegende Elektroauto als Massenverkehrsmittel wird es nicht geben“, sagt etwa ein Forscher bei einem der führenden deutschen Autokonzerne. „Der Energieverbrauch der Passagierdrohnen wäre viel zu hoch, um damit größere Strecken zurückzulegen.“ Auch der starke Wind, verursacht durch die Propeller, spreche dagegen, dass Flugautos bald in jedem Vorgarten landen.

Victor de la Vela, Strategiechef von Airbus, lässt sich von Skepsis nicht aufhalten. Er lässt ganze Teams an mehreren Konzepten für Flugtaxis arbeiten. Eine besonders futuristische Version namens Pop.Up sieht wie ein Kleinwagen aus – so lange, bis ein Element aus acht fliegenden Propellern auf ihm landet, andockt und den Wagen in die Luft hebt wie ein Greifvogel ein Kaninchen. In zwei Jahren soll es einen Prototyp geben. „Fliegende Taxis werden bald über den Städten schwärmen wie Schneeflocken durch eine Schneekugel“, sagt de la Vela.

Stadtbewohnern dürfte es schon grauen vor Schwärmen am Himmel, die ihnen dröhnend den Schlaf rauben und ihnen auf den Kopf zu fallen drohen. Die Gründer und Ingenieure aus Europa versuchen deswegen mit vielen Mitteln dagegen zu kämpfen, dass niemand ihnen vorwerfen kann, Spielzeuge für Reiche, die auf Kosten der Restbevölkerung ihre Freiheit ausleben, zu bauen. Ihre Devise: Alles wird in Zukunft technisch beherrschbar sein.

Das wichtigste Argument ist der Elektroantrieb. Und das Unternehmen, das am meisten Erfahrung gesammelt hat, sitzt in Slowenien. Dort fertigt der Luftfahrtspezialist Pipistrel Elektroflugzeuge in Serie. Ende April sind die Slowenen eine Partnerschaft mit Uber eingegangen, um die Technik in einen Senkrechtstarter für die Stadt einzubringen.

„Der Elektroantrieb verursacht keine Emissionen“, sagt Ivo Boscarol, Chef von Pipistrel. Die Ingenieure arbeiteten zudem an neuen Propellern, die leiser seien als ein Helikopter: „Wenn so ein Lufttaxi 300 Meter hoch fliegt, wird es vom Boden aus unmöglich zu hören sein.“ Für Start und Landung müssen sich die Planer dennoch Orte aussuchen, an denen mehr Lärm akzeptabel ist.

Schon heute, sagt Boscarol, könnten Elektroflieger 100 Kilometer weit kommen – per Tempo 300 und mit vier Personen an Bord. Fortschritte in der Akkutechnik könnten die Leistung der Flieger noch verbessern.

Böse Buben in den Behörden

Und die Sicherheit? Ein paar Propeller könnten problemlos ausfallen, heißt es bei Lilium, der Jet habe viele Systeme mehrfach integriert und sei besonders ausfallsicher. Notfalls gleite er am Fallschirm sanft zu Boden. Airbus-Stratege de la Vela setzt auf Big Data: „Mit Software und Sensoren erkennen wir künftig Fehler, bevor sie auftauchen.“

Die größte Hürde liegt für den Airbus-Manager in der Organisation des Luftraums. Dafür seien die schnellen Mobilfunknetze der nächsten Generation enorm wichtig. Denn via 5G könnten die Flieger nicht nur mit einer Verkehrszentrale ihre Routen abstimmen – sondern sich auch zentimetergenau orten, viel präziser als per GPS.

Bessere Batterien, urbane Landestationen, schnelle Mobilfunknetze: Es ist ein ganzer Mix an neuen Technologien, der bereitstehen muss, um den Traum vom Lufttaxi wahr werden zu lassen.

Und am Ende müssen die Aufsichtsbehörden grünes Licht geben – für Airbus-Mann de la Vela die größte Hürde. Dabei äußerte sich die US-Flugaufsichtsbehörde FAA erst kürzlich gegenüber der Zeitung „USA Today“ kritisch, die Technologie stecke noch im Entwicklungsstadium. Und in Deutschland kämpft Uber bis heute dafür, dass Privatpersonen einfach nur einander durch die Stadt kutschieren dürfen.

Dass die Behörden ausgerechnet mit Tamtam à la Silicon Valley zu überzeugen sind, glaubt niemand in der Branche. Die Europäer wollen lieber ihren eigenen Weg gehen. Zumindest Brin scheint aus Fehlern gelernt zu haben. Neulich sickerte durch, dass er an einem neuartigen Fluggefährt arbeitet, das einem Zeppelin ähneln soll und in einem Hangar nahe der Google-Zentrale parkt.

Auf die Frage, ob dies ein Hobby oder ein neues Geschäftsmodell sei, ließ Brin ausrichten, er habe derzeit zu dem Thema nichts zu sagen.

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