
Taxifahrer lieben Dieselautos. Sie sind sparsam, billig im Unterhalt und halten ewig. Auch Dennis Klusmeier schwor auf diese Antriebstechnik. Doch vor sechs Jahren kam die alte Liebe ins Wanken. Denn Klusmeier fing an zu rechnen.
Die Stadtwerke Düsseldorf machten dem Chef der lokalen Taxigenossenschaft ein unwiderstehliches Angebot: 5000 Kilo Erdgas wollte ihm der Energieversorger schenken - was dem Energiegehalt von 6.500 Liter Diesel entspricht -, wenn er einen Teil seiner Flotte auf Gasantrieb umstellt.
Klusmeier, mehr kühler Rechner als heißblütiger Autonarr, kaufte daher als Test einige VW Touran und Opel Zafira mit Erdgasantrieb. Heute fahren 275 der fast 1.200 Autos mit Erdgas. Damit hält die Taxigenossenschaft Düsseldorf eine der größten Erdgasflotten in Deutschland, zudem eine eigene Tankstelle sowie eine Werkstatt für Gasfahrzeuge auf dem Betriebsgelände.





Das Wichtigste aber: Die Treibstoffkosten der Düsseldorfer Gasflotte sind um rund ein Drittel niedriger als bei Dieselautos. "Wer rechnen kann, fährt mit Gas", sagt Klusmeier.
Weltweit wächst die Zahl der Fahrzeuge mit Erdgasantrieb: 2000 waren gerade einmal 1,2 Millionen Gasautos auf den Straßen unterwegs. Vergangenes Jahr waren es über 16 Millionen. Und die Zahl steigt laut dem Branchenverband Natural & Bio Gas Vehicle Association jedes Jahr um 25 Prozent. Die stärksten Zuwächse beobachten Experten in Südamerika und Asien.
Die Gründe für den Boom sind vielfältig: Die Technik ist ausgereift, die notwendigen Änderungen sind im Vergleich zum Benzinantrieb gering: kaum mehr als Gastank und Steuerungselektronik sind nötig. Die Sicherheit der Druckgasbehälter gilt als genauso groß wie die der Benzintanks und der Aufpreis gegenüber einem konventionell angetriebenen Benziner ist auf etwa 2000 Euro geschrumpft. Zudem verbrennt Erdgas um bis zu 80 Prozent schadstoffärmer als Benzin und Diesel.
Vor allem aber kostet der gasförmige Kraftstoff an der Tankstelle nur etwa halb so viel wie Benzin.
Wie weit kommen die unterschiedlichen Antriebe mit 10 Euro?
97 km
*Basis: Opel Zafira Tourer (vergleichbare Motorisierung, 130 bis 150 PS), Verbrauchs- und Kraftstoffdurchschnittswerte, Stand: Januar 2013; Quelle: Erdgas mobil
148 km
169 km
201 km
Das liegt auch daran, dass der deutsche Fiskus für Erdgas nur 18 Cent Steuer je Kilogramm kassiert - bei Benzin fallen 65,5 Cent je Liter an. Derzeit prüfen Brüssel und Berlin, ob die Steuerbegünstigung, die 2018 endet, bis 2025 verlängert werden soll. Grundsätzlich signalisieren die Bürokraten aber, dass sie Erdgas als umweltfreundlichen Treibstoff für förderungswürdig halten. Eine Entscheidung wird aber wohl erst 2014 fallen.
Der Gasboom hatte nur ein Problem: Es gab zu wenig wirklich attraktive Fahrzeuge.
Doch nun haben die Hersteller das Potenzial erkannt. Ob Opel, Fiat, Volkswagen, Mercedes, Suzuki oder Tata: Viele großen Hersteller bringen neue Erdgasautos auf den Markt. Ende des Jahres wird selbst Audi mit dem A3 g-tron erstmals in seiner Geschichte mit einem für Erdgasbetrieb entwickelten Motor auf den Markt kommen.
Flottenverbrauch senken





Erdgas ist für viele Ingenieure die ideale Brückentechnik ins Zeitalter der Elektromobilität. Denn bis die Stromer alltagstauglich und für jedermann erschwinglich sind, bis Ladestationen an allen Tankstellen stehen und bis regenerativ erzeugter Strom in ausreichenden Mengen verfügbar ist, werden noch Jahre vergehen.
"Wir müssen das Thema Erdgas viel intensiver angehen", fordert deshalb der Chef des Volkswagen-Konzerns, Martin Winterkorn. Denn mit kaum einer anderen Antriebstechnik ließen sich die Flottenverbräuche mit so geringem technischem Aufwand senken.
Es ist ein Geschäft mit Zukunft. Zumindest für einige Jahrzehnte. Denn der Gaspreis koppelt sich vom steigenden Erdölpreis ab, weil die Fördermengen in vielen Ländern größer sind als angenommen. Ursache dafür sind neue Methoden der Gasförderung. Beim sogenannten Fracking pumpen Maschinen Wasser und Chemikalien unter Druck ins Gestein, um das dort eingeschlossene Erdgas freizubekommen. Die Folge des wachsenden Gasangebots: In den USA ist der Rohstoff mehr als ein Drittel billiger als in Europa.
Präsident Barack Obama hat das Ziel gesetzt, die Vereinigten Staaten zum größten Energieproduzenten der Welt und zum Nettoexporteur von Gas zu machen. Im Mai hat er deshalb die Genehmigung erteilt, im Bundesstaat Texas ein Terminal für Erdgas so umzurüsten, dass es ab 2017 keine Annahmestelle für Gaslieferungen aus dem Ausland mehr ist, sondern ein Export-Ventil für das in den USA produzierte Gas.
Wachsendes Angebot
Die Förderunternehmen könnten dann einen Teil des Energieschatzes auf minus 163 Grad Celsius herunterkühlen und als sogenanntes Liquified Natural Gas (LNG) per Schiff in alle Welt verkaufen.
Bald sollen zwei weitere Gasterminals genehmigt werden. Eines in Richmond im Bundesstaat Virginia, ein anderes im kalifornischen San Diego. Dann startet die große US-Erdgas-Exportoffensive. "Das ist ein großer Schritt hin zu einem Weltmarkt für Erdgas", sagt Heiko Kaiser, Produktmanager Erdgas beim Autozulieferer Bosch, der seit gut zehn Jahren auf Erdgas als Antrieb setzt. Die Folge des steigenden Angebots werden mittelfristig sinkende Preise sein.
Doch sinkende Preise allein reichen nicht, um das Gaszeitalter in der Automobilbranche beginnen zu lassen. Erst die wesentlich verbesserte Technik macht dieses neue Mobilitätszeitalter möglich.
Als Dieselmotoren Anfang der Neunzigerjahre serienmäßig mit Turbos aufgeladen wurden, war das ihr Durchbruch, weil sie schneller und sparsamer wurden.
Ähnliches geschieht nun bei Gasfahrzeugen. Ausgestattet mit doppelten Turboladern und komfortablerer Technik, werden sie zu Alternativen für jedermann, selbst für Autofahrer, die gern etwas sportlicher unterwegs sind.
Bessere Motoren





Das Problem vieler Gasfahrzeuge war: Sie kamen an der Ampel nicht vom Fleck.
Das löst Volkswagen nun mit dem neuen VW Passat 1.4 TSI. Der Konzern hat dafür einen Abgasturbolader mit einem Kompressor kombiniert. Der Kompressor verdichtet beim Anfahren die Luft, um das Gasgemisch im Zylinder besser verbrennen zu können. Das ermöglicht eine bessere Beschleunigung beim Anfahren.
Der Abgasturbolader verrichtet einen ähnlichen Job - allerdings bei höheren Drehzahlen, was den Fahrzeugen mehr Dynamik bei höheren Geschwindigkeiten verleiht. Für die Verwendung von Erdgas ist das ideal, denn dadurch kann der Motor sowohl bei hoher wie niedriger Drehzahl mit guter Füllung und hoher Verdichtung und damit sparsam arbeiten.
Die weiterentwickelte Technik hat auch die Reichweiten der Fahrzeuge verbessert. Damit die Fahrer nicht liegen bleiben, wenn das Gas ausgeht, haben praktisch alle Fahrzeuge einen zusätzlichen Benzintank an Bord, auf den etwa der VW Passat oder die B-Klasse von Mercedes automatisch umschaltet. Mit einem solchen bivalenten Antrieb kommen Fahrzeuge dann locker auf Reichweiten um die 1000 Kilometer.
Damit Erdgasfahrzeuge ihr Image vom braven Wagen für Pfennigfuchser loswerden, hat sich VW eine ganz besondere Marketingmaßnahme einfallen lassen: Im Scirocco R-Cup, einer Rennserie, die der Konzern zusammen mit Gazprom als Sponsor im Programm der Deutschen Tourenwagen Meisterschaft austrägt, kommt ein neuer Zwei-Liter-Turbomotor zum Einsatz, der 285 PS leistet.
Rennfahrer wie der ehemalige Formel-1-Weltmeister Damon Hill sollen zeigen, dass Erdgasautos richtig schnell unterwegs sein können. Mit Turbo-Nachdruck soll der Gasantrieb das Image der schwerfälligen Spaßbremse abstreifen.
"Es ist schwer, zu verstehen, warum Erdgas auf wenig Akzeptanz stößt. Die Ursache liegt wahrscheinlich in der mangelnden Emotionalität", vermutete BMW-Entwicklungsvorstand Herbert Diess jüngst auf dem 34. Internationalen Wiener Motorensymposium.
Lediglich knapp 100.000 Erdgasfahrzeuge sind auf deutschen Straßen unterwegs - allerdings wurden im ersten Halbjahr 2013 mit 4.300 so viele zugelassen wie noch nie.
Die Alternative
Das zeigt, wie sehr Erdgasautos als Baustein der Mobilität von morgen unterschätzt wurden. In der öffentlichen Debatte spielen sie bis heute keine wirkliche Rolle. Dabei sind sie - im Gegensatz zu Elektroautos - schon jetzt verfügbar, technisch ausgereift und alltagstauglich, zudem: einigermaßen preiswert und auch für längere Strecken geeignet.
Die Stromer haben bei allen technischen Fortschritten noch immer große Schwächen: Ihre Reichweite ist mit maximal 200 Kilometern stark eingeschränkt, ihre Verfügbarkeit begrenzt - und ihr Preis macht sie zu Luxusartikeln: Der viersitzige E-Kompaktwagen Nissan Leaf etwa kostet rund 30.000 Euro. Und der neue BMW i3, der Ende des Jahres zu einem Basispreis von 35.000 Euro auf den Markt kommt, ist auch nicht gerade ein Schnäppchen.
Die ökonomisch bessere Wahl





Ein Erdgasauto ist also eigentlich die ökonomisch bessere Wahl. Aber: "Erdgas hat nicht den gleichen Neuigkeitswert wie die Elektromobilität", sagt Stephan Kohler, Chef der Deutschen Energie-Agentur (Dena). "Dabei ist es ein alltagstauglicher Energieträger."
Relativ leicht könnten die Autohersteller damit ihre Flottenverbräuche und den CO2-Ausstoß senken. Im Jahr 2012 lag der durchschnittliche Ausstoß aller deutschen Neuwagen noch bei 141,8 Gramm CO2 pro Kilometer. Bis 2020 möchte die EU-Kommission die CO2-Emissionen aller Autos auf durchschnittlich 95 Gramm senken.
Verborgener Schatz
Konventionelles Erdgas stammt meist aus Feldern oberhalb von Ölquellen und lässt sich relativ leicht ausbeuten
Schiefergas gehört zu den unkonventionellen Reserven, es ist in Schiefergestein eingeschlossen
Fracking heißt die Technologie, mit der das Tongestein bei der Gasförderung aufgebrochen wird
Flüssigerdgas (LNG) entsteht, wenn Erdgas - egal, aus welcher Quelle - auf minus 161 Grad gekühlt wird
Eine Million BTU heißt die international gängige Maßeinheit für Gas. Sie entspricht etwa 26,4 Kubikmetern
VW-Chef Martin Winterkorn weiß, warum Erdgas dafür der "ideale Treibstoff" ist: Der Hauptbestandteil, das geruchlose brennbare Gas Methan, verbrennt in den Zylindern der Motoren nicht nur sauberer, sondern im Gegensatz zu Diesel auch praktisch ohne gesundheitsgefährliche Rußteilchen und Stickoxide.
Wie ernst Winterkorn den alternativen Antrieb nimmt, wird immer klarer. Nach und nach erobern Erdgasautos sämtliche Modellkategorien seines Konzerns: Der VW up mischt die Kleinwagenklasse mit 68 PS auf, der Audi g-tron mit seinen 110 PS die Mittelklasse, ebenso sein technikgleicher Bruder VW Golf und der Seat Leon.
Audi geht noch einen Schritt weiter und zeigt damit das Potenzial von Erdgas als umweltfreundlicher Energieträger: Im niedersächsischen Werlte betreibt Audi seit Neuestem eine Gasproduktion. In der Anlage wird aus Windkraft synthetisches Methan, sogenanntes E-Gas, hergestellt.
Zwar reichen die 1000 Tonnen Methan, die Audi pro Jahr in der Anlage produziert, nur für rund 1500 Fahrzeuge. Doch im Volkswagen-Konzern ist man von Erdgas und dem synthetisch erzeugten E-Gas überzeugt. Denn es ließe sich ebenso gut in das deutsche Gasnetz einspeisen und wäre damit flächendeckend verfügbar.
Zudem könne das Erdgasnetz große Mengen an Energie aufnehmen und wäre damit der ideale Zwischenspeicher für die Energiewende.
Leisere Lastwagen





Eine Energiewende könnte auch bei den Lastwagen anstehen. Bisher galt: Nichts geht über Diesel. Doch das scheint sich zu ändern. Verflüssigtes Erdgas ist in China und den USA bereits in Lkws im Einsatz. Die brauchen das gekühlte Erdgas, das weniger Raum einnimmt als herkömmliches Erdgas, um auf Reichweiten von 1000 Kilometern zu kommen.
Jetzt setzt auch Europa auf den Treibstoff. Die EU stellt im Rahmen des Förderprojekts "LNG Blue Corridors" acht Millionen Euro für den Bau von LNG-Tankstellen und Lkws mit Flüssigerdgastanks bereit.
Mit dabei sind die Lastwagenhersteller Iveco, Renault Trucks und Volvo Trucks.
Die Vorteile sind groß: Die Motoren sind kaum halb so laut. Zudem schaffen die LNG-Motoren ohne technische Änderung die strenge Euro-6-Abgasnorm, die ab 2014 gilt.
Abgasnormen und Verbrauch hat auch Daniel Akerson, Chef des amerikanischen Autoherstellers General Motors, bei seinen Modellen im Visier: zum Beispiel bei seinem Sportwagen Chevrolet Camaro mit mehr als sechs Liter Hubraum und 580 PS.
Akerson zählt wie viele Autofahrer zu den Liebhabern der dicken Brummer mit ihren großvolumigen Verbrennungsmotoren, schätzt deren Sound, Durchzug und seidenweichen Lauf.
Mobilität
Aber bei einem Verbrauch von mehr als 20 Liter Treibstoff pro 100 Kilometer kriegen auch Fans heftige Kopfschmerzen. Deshalb kursierten bereits überall Nachrichten vom Tod der dicken V8-Motoren. Aber das sei, beruhigt Akerson, "hochgradig übertrieben".
Seine Lösung: Erdgasantrieb in Verbindung mit Turboladern, Direkteinspritzung und Zylinder-Abschaltung. Das, verspricht Akerson, kann die Dinosaurier vor dem Aussterben retten.