Motorsport Grüne Rennwagen: Formel 1 ab 2009 mit Hybridantrieb

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Hybrid-Rennwagen Quelle: WirtschaftsWoche-Grafik

Die Herausforderungen für sein Team sind enorm: „Wir haben es jetzt nicht nur mit einem komplizierten Verbrennungsmotor zu tun, sondern mit einem komplexen System aus Verbrennungsmotor, Generator, Elektroantrieb, Speichereinheiten und Elektronik“, weiß Theissen. Als Techniker an der Teamspitze begrüßt er die Herausforderung: „Das gibt der Formel 1 mal wieder die Gelegenheit, sich als Entwicklungsträger für Straßenautos zu beweisen.“

Die drastischen Abrüstungsmaßnahmen, die von der FIA aus Kostengründen verhängt wurden, hatten die Formel 1 vor allem im Elektronikbereich hinter den Stand von Mittelklasse-Limousinen zurückgeworfen – eine Traktionskontrolle ist auf der Rennstrecke ebenso verboten wie Servolenkung und ESP. Doch nun übernehmen die Renningenieure wieder die Rolle der Pioniere. „Jetzt klopfen meine Kollegen aus der Serie wieder bei uns an und interessieren sich für unsere Lösungswege“, berichtet der Münchner, der sehr große Ziele verfolgt, „was die Leistung pro Gewicht angeht“. Dies soll dem Unternehmen später beim Bau von Hybridfahrzeugen für den normalen Straßenverkehr zugute kommen. Konzernchef Norbert Reithofer hätte dann auch gute Argumente, wenn auf der Hauptversammlung der BMW-Aktionäre wieder einmal Rennsport-Etats von 200 bis 250 Millionen Euro pro Jahr gegeißelt werden.

Aber zunächst einmal verschlingt die „grüne Revolution“ eine Menge Geld: Der hohe Anspruch und die Kürze der Entwicklungszeit sorgen für Zusatzinvestitionen, die sich nach Expertenschätzungen auf zweistellige Millionenbeträge summieren. Kein Wunder, dass es in manchen Rennställen Widerstand gegen die neue Technik gibt – Renault, Mercedes und Toyota hätten den FIA-Plan am liebsten gekippt. Der Aufstand scheiterte aber. „Nun geht es mit Macht voran“, sagt FIA-Berater Göschel: „KERS kommt 2009, dabei bleibt es.“

Nur in einem Punkt ist man etwas zurückgerudert: 2009 steht es den Teams noch frei, mit oder ohne Energierückgewinnung zu fahren. Wer auf das System verzichtet, dem fehlt dann allerdings der Boost-Vorteil, der nach Simulationen am Computer etwa drei Zehntelsekunden pro Runde beträgt. Dem gegenüber steht allerdings das Zusatzgewicht für das KER-System, das sich in Zeitverlusten von bis zu einer Sekunde pro Runde niederschlagen könnte.

Die meisten Rennställe gehen deshalb auf Nummer sicher und bereiten für die kommende Saison Autos vor, die mit KERS fahren, aber auch ohne das System wettbewerbsfähig sind – was die Kosten natürlich noch einmal erhöht.

Und die FIA zieht die Schrauben weiter an. Stufenweise soll das System in den kommenden Jahren ausgebaut werden. Auch ist vorgesehen, den Kraftstoffdurchfluss zu begrenzen. Ob die weitere Rückgewinnung aus der Abwärme vom Kühlsystem oder von der Auspuffhitze kommt – die Formel-1-Techniker sind in den nächsten drei Monaten aufgerufen, ihre Ideen für ein besseres Reglement selbst festzuschreiben. Das Ziel steht jedoch fest: Bis 2015 soll der Benzinverbrauch der Formel 1 halbiert werden. Heute werden während einer Saison von allen Teams rund 200.000 Liter Sprit verbrannt.

Ein ehrgeiziges Ziel und ein ambitioniertes Timing. Dennoch sind viele Detailfragen offen. Beispielsweise die nach der Kühlung der Systeme. Noch drängender ist die Lösung des Batterieproblems: Die etwa 250.000 Euro teuren Lithium-Ionen-Akkus, die von den meisten Teams als die effektivste Lösung angesehen werden, haben derzeit nur eine Lebensdauer von einem Rennwochenende. Wohin aber mit all den Altbatterien? Werden sie an der Rennstrecke entsorgt oder von den Teams wieder mitgenommen? Und dürfen die Hochleistungsbatterien, die sich unter bestimmten Umständen leicht überhitzen und in Flammen aufgehen können, zusammen mit dem übrigen Material per Flugzeug transportiert werden? Manche Experten halten es aus dem gleichen Grund auch für zu gefährlich, die Batterien im Auto in unmittelbarer Nähe zum Benzintank zu montieren.

Frank Williams, der letzte klassische Garagist in der Formel 1, hat sich deshalb gegen den Elektro-Hybrid und für ein Fahrzeugkonzept entschieden, das den Verbrennungsmotor mit einem Zusatzantrieb per Schwungrad kombiniert. Williams beteiligte sich dazu mit zwei Millionen Pfund an dem britischen Unternehmen Automotive Hybrid Power aus Norwich, das die überschüssige Energie wie Flybrid auf kinetische Art einfangen und speichern will – mit Verbund-Schwungscheiben, die sich mit 100.000 Umdrehungen pro Minute drehen. Eine Technik aus dem 19. Jahrhundert für das neue Rennsportjahrtausend. Vorsichtshalber hat die FIA den Saisonstart 2009 um vier Wochen nach hinten verlegt. Damit auch alle fertig werden mit den Vorbereitungen für die grüne Revolution.

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