Alle reden vom Elektroauto. Bernhard Heil nicht. Der 51-Jährige liebt Motoren, die satt und sonor klingen. So wie sein Mercedes CLS 500 mit Acht-Zylinder-Motor und 525 PS. „Der kraftvolle Sound eines hubraumstarken Motors ist einfach unvergleichbar“, sagt Heil. Eigentlich ein Unding in Zeiten von Benzinpreis- und CO2-Debatte. Aber Heil darf das. Denn er ist Chef-Motorenentwickler bei Daimler. Und Heil bringt Diesel- und Ottomotoren das Sparen bei, damit sie noch eine Zukunft haben.
Gerade steht Heil am Motorenprüfstand im Entwicklungslabor in Stuttgart-Untertürkheim. Leise läuft ein neuer Vier-Zylinder-Motor im Dauerbetrieb, er ist mit Messgeräten verdrahtet, seine Abgase strömen über ein Rohr ins Freie. Heil kontrolliert, ob der Motor, den Mercedes in den kleinen Baureihen einsetzt, wirklich sparsamer ist als dessen Vorgänger.
Ist er. Und das ist keineswegs das letzte Aufheulen einer sterbenden Technik. Denn trotz aller gegenwärtigen Begeisterung für Elektromobilität in Politik und Autobranche werden uns Verbrennungsmotoren noch Jahre lang transportieren.
Reine Elektroautos sind weiterhin keine Alternative
Umso dringender müssen sich die Explosionstriebwerke radikal ändern. Wenn sich in diesen Tagen die ganze Branche auf dem Auto-Salon in Genf trifft, sind die Benzinpreise auf rund 1,70 Euro geschossen, und das, nachdem Sprit schon vergangenes Jahr im Durchschnitt mit 1,53 Euro pro Liter für Autofahrer in Deutschland so teuer war wie nie zuvor.
Trotzdem sind reine Elektrowagen absehbar noch keine vollwertige Alternative: Mit Kaufpreisen weit über 30.000 Euro sind sie schmerzhaft teuer, und ihre Reichweite ist mit nicht einmal 200 Kilometer für Universalwagen inakzeptabel. Für zusätzliche Ernüchterung sorgte der Batteriebrand des Hybridautos Chevrolet Volt, den Opel baugleich als Ampera auch in Deutschland verkauft.
Die Verkehrssicherheitsbehörde in den USA hatte den Volt, der bis zu 80 Kilometer rein elektrisch fahren kann, schon im Mai 2011 einem Crashtest unterzogen. Der demolierte Wagen stand mehr als drei Wochen lang unbeachtet herum, ohne dass wie vorgeschrieben die Batterie entladen wurde – bis Feuer ausbrach.
Der Hersteller verstärkte daraufhin vorsorglich die Karosserie und die Kühlung der Batterie. Doch das Vertrauen der Amerikaner in die Technik hat trotzdem gelitten. Die Bestellungen lagen mit knapp 8.000 hinter den erwarteten 10.000 im vergangenen Jahr zurück. Deshalb stoppte Mutterkonzern General Motors die Produktion des Volt bis zum 23. April. In Deutschland liegen 7.000 Bestellungen für den 42.900 Euro teuren Ampera vor, 10.000 will Opel dieses Jahr verkaufen. Das Elektrozeitalter lässt also noch auf sich warten.
Der Verbrauch muss sinken
Die Autos der Zukunft, da sind sich die Hersteller im Prinzip einig, werden daher noch sehr lange einen Verbrennungsmotor haben – sie müssen jedoch drastisch weniger verbrauchen.
Damit das gelingt, nehmen sich die Motorenentwickler von BMW, Ford, Mercedes, VW & Co. gerade jeden Winkel ihrer Antriebe vor. Sie optimieren die Verbrennung im Zylinder, verbessern die Turbolader, schalten Zylinder ganz ab und konstruieren so sparsame Antriebe wie nie: Kombinieren Techniker den Verbrennungsmotor mit einem Elektroantrieb zu einem sogenannten Hybridfahrzeug, lässt sich der Verbrauch gar halbieren, glauben die Entwickler bei den Autoherstellern und Zulieferern wie Bosch, Continental und Magna.
Verschärfte Grenzwerte für Schadstoffe
Für die Automobilhersteller wird das zur Überlebensfrage. Denn der Europäische Rat verschärft die Regeln für Verbrauch und Schadstoffausstoß immer weiter: Schon im September 2014 drohen mit der Abgasnorm Euro 6 allen Neufahrzeugen deutlich strengere Grenzwerte für Schadstoffe. Und bereits 2015 dürfen alle von einem Hersteller produzierten neuen Modelle im Schnitt höchstens 130 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen, 2020 nur noch 95 Gramm, und für 2025 sind sogar nur noch 70 Gramm in der Diskussion.
Bis dahin ist es ein weiter Weg. Zum Vergleich: Mercedes hat mit seinen vielen leistungsstarken Autos heute noch einen Flottenverbrauch von 189 Gramm CO2 pro Kilometer, BMW von 160 und Audi von 176 Gramm.
Ansätze wie bessere Automatikgetriebe, die die Drehzahlen senken oder das Reduzieren des Gewichts (siehe Grafik Seite 101) reichen nicht. Zwar haben moderne Autos dank Klimaanlagen, Fahrassistenzsystemen und Navigationsgeräten viel Speck angesetzt: So wog ein Basismodell des VW Golf vor gut 15 Jahren 960 Kilogramm, heute bringt er mehr als 1.200 Kilogramm auf die Waage. Doch das größte Spritsparpotenzial bietet der Motor.
Wie die Hersteller auf die Herausforderung reagieren, zeigt eine Reise durch einen weitgehend unbekannten Kosmos, den Motor. Sie zeigt die wirklichen Einsparpotenziale des modernen Verbrennungsmotors auf.
Direkt Einspritzen
Die wichtigste Technologie ist die sogenannte Direkteinspritzung. Dabei spritzen feinste Düsen, sogenannte Piezo-Injektoren, den Kraftstoff durch Öffnungen, 100 Mal kleiner als ein menschliches Haar, bis zu 200 Mal pro Wimpernschlag in homöopathischen Dosen in den Brennraum. Diese Technik hat bereits bei den Dieselmotoren den Verbrauch reduziert und die Leistung gesteigert.
Die Direkteinspritztechnik für Benziner gibt es zwar bereits eine Weile, aber: Zu Anfang glichen die Motoren eher Mogelpackungen, weil sie beim Beschleunigen und bei hohen Geschwindigkeiten sogar mehr verbrauchten als ihre Vorgänger, die Saugmotoren. Das merkten einst vor allem die Fahrer von Mitsubishis Carisma GDI oder des Golf FSI. Jetzt aber sinkt der Verbrauch dank verbesserter Direktein- » » spritzung und neuen Turboladern deutlich. Motoren der TFSI-Baureihe von VW, CGI bei Mercedes und Efficient Dynamics bei BMW verbrauchen nicht nur weniger, sie sind auch noch leistungsstärker.
Potenzial: bis zu 15 Prozent Spritersparnis
Besser Verbrennen
Die zweite wichtige Stellschraube ist die sogenannte Magerverbrennung. Das Ziel der Ingenieure ist eine Gemischwolke im Brennraum der Zylinder, die aus viel Luft und nur wenig Benzin besteht. Damit die im Zylinder im genau richtigen Augenblick zündet, drücken die Piezo-Injektoren der Direkteinspritzung das Gemisch unter ungeheurem Druck von 2000 Bar in den Brennraum. Das ist rund 444 Mal mehr als bei einem herkömmlichen Einspritzmotor.
Je länger ein Auto in diesem Modus fährt, desto sparsamer ist der Wagen. Erst wenn der Fahrer zum Beschleunigen Gas gibt, läuft der Motor mit einem höheren Benzinanteil in der Gemischwolke und verbraucht mehr. Logisch deshalb, dass die Ingenieure bei Mercedes gerade daran arbeiten, ihre Autos noch länger in dem sparsamen Magermodus fahren zu lassen. „Bei der heutigen E-Klasse schaffen wir das schon bis zu einem Tempo von 140 Kilometer pro Stunde“, sagt Heil. Das soll aber lange noch nicht das Ende sein.
Potenzial: bis zehn Prozent Spritersparnis
Motoren schrumpfen
Erst die Kombination dieser Techniken ermöglicht zwei weitere Sparansätze: das Abspecken der Motoren und das zeitweise Abschalten von Zylindern. Die Schrumpfkur für Motoren, auch Downsizing genannt, ist für viele Entwickler der Königsweg zu mehr Sparsamkeit. Dafür werfen die Ingenieure den alten Grundsatz, Hubraum sei nur durch noch mehr Hubraum zu ersetzen, über Bord und verringern im Gegenteil die Größe des Brennraums. Damit genügend Kraft für die zügige Beschleunigung des Wagens bleibt, kombinieren sie den abgespeckten Motor mit Turboladern, die die Energie des ausströmenden Abgases nutzen, um mehr Luft in den Brennraum zu pressen und so die Leistung zu erhöhen.
Extrem geschrumpft hat beispielsweise Ford seinen Motor für den Kompaktwagen Focus. Erstmals wagt ein Hersteller, einen Drei-Zylinder-Antrieb in ein Auto der Golf-Klasse einzubauen. Der neue Minimotor, den die Kölner im Focus 1.0 Ecoboost einsetzen, ist so klein, dass er auf ein DIN-A4-Blatt passt. Er holt aus nur einem einzigen Liter Hubraum immerhin 125 PS Leistung, verbraucht gerade fünf Liter pro 100 Kilometer und löst einen 1,6 Liter großen Vier-Zylinder ab.
Ganz sicher ist sich Ford über die Imagewirkung seines kleinen Motors auf die Kunden offenbar nicht. Denn vorsichtshalber gibt sich das Sparmodell äußerlich nicht als solches zu erkennen. Kleiner Wermutstropfen: Billiger kommt der Verzicht auf Hubraum die Kunden in der Anschaffung nicht: Der neue Einliter kostet mit 20 700 Euro immerhin 200 Euro mehr als die alte 1,6-Liter-Version.
Bisher kam die Hubraum-Diät vor allem den meistverkauften Vier-Zylinder-Motoren zugute. Doch auch wenn die großen Sechs-, Acht- und sogar Zwölf-Zylinder-Motoren in Europa als Dinosaurier gelten, sind sie vor allem in Asien gefragte Prestige-Triebwerke. China ist mittlerweile der größte Markt für Top-Modelle wie BMW 7er, Audi A8 oder die Mercedes S-Klasse.
Anspruchsvoller Kunde
Höchste Zeit also, auch die großen Motoren einer Diät zu unterziehen. „Denn die anspruchsvolle Kundschaft will alles: mehr Leistung, weniger Verbrauch und Komfort“, sagt Fritz Steinparzer, Chef-Entwickler der Benzinmotoren bei BMW. Beim bayrischen Hersteller verdrängen im neuen 3er-Modell aufgeladene Vier-Zylinder die Generation der Sechs-Zylinder-Saugmotoren erfolgreich – und zwar durchweg mit deutlich kleinerem Hubraum und dramatisch abgesenktem Verbrauch. In Einzelfällen laufen die kleinen Turbos um bis zu 30 Prozent sparsamer als die älteren Versionen mit sechs Zylindern. „Und mehr Spaß machen sie auch, weil sie ähnlich wie Diesel schon bei niedrigen Drehzahlen genug Dampf haben“, sagt Steinparzer.
Selbst der Motor im Sportwagen Mercedes SL 63 AMG, den die Stuttgarter in dieser Woche auf dem Genfer Auto-Salon zeigen, folgt der Strategie „Weniger ist mehr“: Der neue Acht-Zylinder im SL hat 537 PS bei 5,5 Liter Hubraum. Das sind 0,7 Liter weniger als der Vorgänger, aber rund zwölf Prozent mehr Leistung. Der Normverbrauch soll gar um bis zu 22 Prozent sinken.
Potenzial: bis zu ein Drittel Spritersparnis
Einfach abschalten
Wenn der schwarze VW Polo BlueGT gerade nur auf zwei Zylindern läuft, deutet das nicht auf seinen nahen Exitus hin. Der Wagen spart einfach Sprit. Auch dafür ist das Traumpaar aus Benzin-Direkteinspritzung und Turboaufladung die Voraussetzung.
Der weltweit erste Vier-Zylinder-Motor, der zeitweise zwei Zylinder schlafen legt, ist kein spaßarmer Antrieb, er hat immerhin 140 PS. Ist der Fahrer aber beispielsweise auf der Landstraße oder in der Stadt bei gleichmäßigem Tempo unterwegs, arbeiten nur noch zwei Zylinder. Drückt der Fahrer das Gaspedal zum Beschleunigen durch, weckt er die zwei Zylinder wieder – ohne dass der Motor ruckelt. Die Zylinderabschaltung spart bei dem Kleinwagen auf dem Prüfstand bis zu einem Liter Benzin pro 100 Kilometer. Anfang 2013 schaltet auch Konzerntochter Audi im neuen A3 zeitweise zwei Zylinder ab.
Potenzial: bis zu 20 Prozent Spritersparnis
Mehr Druck machen
Das Hauptaugenmerk der Motorenentwickler liegt im Moment bei den Benzinmotoren. „Die haben im Vergleich zu den Dieseln immer noch Nachholbedarf in ihrer Effizienz“, sagt Stefan Pischinger, Geschäftsführer der FEV in Aachen, einer der weltgrößten unabhängigen Motorenentwickler. Sie sollen so sparsam und durchzugskräftig werden wie Turbodiesel, aber ohne deren Ausstoß von schädlichen Rußpartikeln und Stickoxiden. Das ist möglicherweise schwieriger als gedacht. Denn durch die Benzindirekteinspritzung stoßen die neuen Motoren ähnlich wie beim Diesel mikroskopisch kleine Rußteilchen aus, die Krankheiten auslösen können.
Im Dezember hat der Europäische Rat die Grenzwerte für die Abgasnorm Euro 6 festgelegt, bis Ende März stimmt das EU-Parlament darüber ab. Danach dürfen die Benzindirekteinspritzer mehr der kritischen Rußteilchen ausstoßen als Dieselmotoren. Die Deutsche Umwelthilfe fordert aber für die Benziner genauso strenge Grenzwerte wie für die Dieselmotoren.
Dass auch der Diesel technisch noch lange nicht ausgereizt ist, beweist die Hochleistungssparte M von BMW. Sie stattet weltweit als erste einen Dieselmotor mit dreifacher Turboaufladung aus. Auch damit wollen die Entwickler hohe Leistung mit niedrigem Verbrauch kombinieren. Das Sechs-Zylinder-Triebwerk mit drei Liter Hubraum hat eine Leistung von 381 PS, beschleunigt in weniger als fünf Sekunden von null auf 100 Kilometer pro Stunde. Dabei ist der Normverbrauch mit 6,3 Litern auf 100 Kilometer beim neuen BMW M550d sensationell niedrig – der Wagen erfüllt zudem bereits die strenge Euro-6-Abgasnorm.
Potenzial: bis sechs Prozent Spritersparnis
Wärme nutzen
Ein entscheidendes Manko aller Motoren klassischer Bauart aber lösen alle geschilderten technischen Kniffe nicht: den lausigen Wirkungsgrad von Verbrennungsmotoren. Auch der modernste Motor setzt nur ein Drittel der Energie, die im Kraftstoff steckt, in Fortbewegung um. Der Rest, zwei Drittel, verpufft als Abwärme nutzlos.
Deshalb arbeiten alle Hersteller daran, wie sie diese Wärme für die Fortbewegung nutzen können. BMW entwickelt ein System namens Turbosteamer, das so bereits in Gas- und Dampfkraftwerken funktioniert. Im Auto entzieht ein Wärmetauscher dem Abgas die Wärme, wodurch eine unter Druck stehende Flüssigkeit verdampft. Dieser Dampf treibt einen Generator an, der aus der Wärmeenergie Strom erzeugt.
Herausforderung für die Zukunft
Noch ist das System technisch viel zu aufwendig für den Serieneinsatz im Auto, aber schon jetzt ist klar, dass es den Wirkungsgrad der Motoren drastisch erhöht. Doch die Entwicklung dauert noch, denn während zum Vergleich ein Kraftwerk an einem Ort bei gleicher Last läuft, muss die Technik im Auto bei Vollgas wie Schubbetrieb gleichermaßen verlässlich sein. „Das ist die Herausforderung der nächsten fünf Jahre“, sagt BMW-Motorenentwickler Steinparzer.
Dynamik, kerniger Sound, aber nur noch die Hälfte des heutigen Verbrauchs: Dann braucht nicht nur Daimlers Triebwerksspezialist Heil auch künftig nicht auf seinen imposanten Motoren-Sound zu verzichten. Auch Otto Normalfahrer schmerzt selbst ein Spritpreis von zwei Euro pro Liter nur noch halb so sehr.