Porsche 911 Die Evolution eines Klassikers

Klassiker weiterzuentwickeln, ist eine der schwierigsten Aufgaben für Designer. Porsche versucht mit der siebten Generation des 911 den schwierigen Balanceakt. Aufder IAA stellt der Autobauer das Ergebnis vor.

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Porsche-Design Quelle: PR

Weissach ist in diesen Tagen im Vergleich mit Zuffenhausen nicht nur landschaftlich das reinste Idyll. Während sich die Mitarbeiter in der Porsche-Zentrale im tristen Stuttgarter Industriegebiet von Zuffenhausen mit Regressansprüchen verärgerter Anleger und mit Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Börsenmanipulation 2009 plagen, leben die Mitarbeiter des Porsche-Entwicklungszentrums am Rande der grünen Heckengäugemeinde Weissach bereits die Zukunft.

Im Lichthof des Designcenters parkt der Prototyp des neuen Kompakt-Geländewagens Cajun, der 2013 in den Handel kommt. Ein paar Schritte weiter, von einem weißen Tuch bedeckt, steht den Konturen nach zu urteilen der geplante Supersportwagen, mit dem Porsche ab 2014 Jagd auf Ferrari machen will. Während der Besucher noch versucht, Details des Wagens zu erraten, saust ein schwarzer Sportwagen heran – die Front vertraut, die Silhouette klassisch, das Heck irritierend anders.

Kein Zweifel: Das ist der neue 911, Nummer 991 im Porsche-internen Werksverzeichnis. Auf der IAA in Frankfurt erlebt die siebte Generation des Sportwagenklassikers in diesen Tagen seine Weltpremiere – 48 Jahre nach der Präsentation des von Ferdinand Alexander („F.A.“) Porsche gezeichneten Urtyps, der noch eine 901 am Heck trug und nach Protesten von Peugeot, die ebenfalls mit dreistelligen Typennummern mit einer 0 in der Mitte arbeiteten, in 911 umgetauft wurde.

Der Sportwagen ist seit der Weltpremiere des „Urelfers“ 1963 mehr als nur ein Auto. Für Porsche ist er seit bald fünf Jahrzehnten die tragende Säule des unternehmerischen Erfolges und der Kern der Markenidentität, für die Nachkommen des Firmengründers ein Heiligtum. Für zahllose Liebhaber in aller Welt ist der 911 der perfekte Sportwagen, mit dem man am Wochenende eine schnelle Runde auf der Renn‧strecke dreht und später zum Shoppen in die City fährt.

Und für Experten wie den Professor für Design an der Kölner International School for Design, Paolo Tuminelli, sind die Proportionen des 911 so etwas wie der Goldene Schnitt: „Sie sind das Idealmaß im Sportwagenbau.“ Für Designhistoriker Peter Zec, den Leiter des NRW-Designzentrums, gibt es keine Diskussion: „Das Auto gehört in den Olymp des Designs.“

Michael Mauer Quelle: PR

Michael Mauer, der ein Jahr vor der Geburt der Auto-Legende das Licht der Welt erblickte und nach Stationen bei Mercedes, Smart und Saab inzwischen das Design von Porsche leitet, wusste um die besondere Verantwortung, die auf ihm und den Mitgliedern seines internationalen Teams lastete, als sie sich vor etwa fünf Jahren daranmachten, dem neuen 911 Gestalt zu geben: „Wir bewegten uns in einem Hochspannungsfeld zwischen Tradition und Moderne“, sagt Mauer. „Es gibt kaum ein Auto, das eine ebenso ungebrochene, durchgängige Historie hat wie der 911. Da fragt man sich dann schon, wie weit man den Stein in die Zukunft werfen kann. Und zwar so, dass unsere Kunden ihn auch wiederfinden können.“

Und nicht nur die Kunden: Die Arbeit wird ungleich schwieriger, wenn einem die Enkel des Firmengründers auf die Finger schauen. „Das ist eine ganz besondere Situation, die sicherlich einzigartig in unserer Branche ist.“

Hüftschwung der Cola

Ferdinand Porsche Quelle: Porsche

Denn Wolfgang Porsche und sein Cousin Ferdinand Piëch wissen nur zu gut, was die Marken-DNA und einen echten 911 ausmacht. Die Legende ist ihnen stets präsent: „Wenn ich mir heute einen frühen 911 betrachte, bin ich stets aufs Neue von der Ästhetik der von meinem älteren Bruder geschaffenen Linien, der Perfektion der Form beeindruckt – es dürfte nur wenige Automobile geben, die über diesen langen Zeitraum nichts von ihrer ursprünglichen Qualität verloren haben“, schwärmt Wolfgang Porsche heute noch vom feingliedrigen Urelfer aus den Sechzigerjahren.

Bei Diskussionen über eine Formgebung, die in einer solchen starken Tradition steht, geht es für Designer schnell um Themen wie Respekt und Anpassung, Selbstbehauptung und Konfrontation. „Bei allem Respekt vor der Vergangenheit möchte ich am Schluss noch in den Spiegel schauen können und sagen können: Ich habe mich nicht selbst aufgegeben“, umreißt Mauer das Problem seiner Zunft in derartigen Konstellationen.

Wie weit, wie stark kann man einen Klassiker verändern, ohne die Verbindung zur Vergangenheit reißen zu lassen, aber andererseits auch nicht den Anschluss an die Zukunft zu verlieren? Wie entwickelt man eine Marke oder ein Produkt bei allen Veränderungen, die aus technischen, verkäuferischen oder auch gesetzlichen Gründen notwendig werden, konsistent weiter, ohne dass die Strahlkraft leidet?

Design der Coca-Cola-Flasche Quelle: PR

„Das Einfachste für einen Designer ist es, innovativ zu sein und etwas völlig Neues zu schaffen. Die Differenzierung im Markt bei zeitgemäßer Fortführung der Form ist die weitaus größere Herausforderung“, beschreibt Designexperte Zec das Spannungsfeld zwischen der Last der Vergangenheit und der Lust am Neuen. Gut gelungen, findet der Mitbegründer des Red-Dot-Design-Award, sei dies dem US-Spielzeugkonzern Mattel in den zurückliegenden 50 Jahren bei der Evolution der Barbie-Puppe. Gute Beispiele findet der Designhistoriker auch im Werbe- und Verpackungsdesign – der Hüftschwung der Cola-Flasche wurde über die Jahrzehnte ebenso immer wieder dezent dem Zeitgeschmack angepasst.

Gleiches gilt für das Logo des Mineralölkonzerns Shell oder der Zigarettenmarke Marlboro. Weitaus größer, so Zec, sei jedoch die Zahl der Beispiele, wo eine Marke im Laufe der Zeit bis zur Unkenntlichkeit modernisiert wurde. Mit gelindem Schrecken denkt Zec etwa an die Degenerierung des Ford Mustang, des ebenso legendären US-Sportwagens von 1964, in 40 Jahren Modellgeschichte.

„Im Design gilt es immer, die Balance zu finden zwischen dem historisch Vertrauten und dem Innovativen – selbst bei ganz neuen Produkten“, predigt Hartmut Esslinger. Der Gründer von Frog Design und Gestalter des ersten Macintosh von Apple, ist ein bekennender Elfer-Fan. Bei einem Design, das in einer gewissen Produkthistorie stehe, gelte es, „das Wesentliche eines guten Konzepts zu erhalten und das Neue dann als klare Verbesserung zu meistern“. Für Esslinger ist „die Entwicklung und Erhaltung einer charakteristischen Marken-DNA die größte strategische Leistung im Design“ – die Identität eines Produkts sei in Zeiten immer kürzer werdender Innovationszyklen und wachsenden Konkurrenzdrucks umso wichtiger.

Gleiches Muster, andere Form

Design zwischen Last und Lust: Das Problem plagte schon Mauers Vorgänger. Auch F.A. Porsche kämpfte Ende der Sechzigerjahre damit, als er den Nachfolger des Porsche 356, den ersten Porsche-Sportwagen noch auf Käferbasis, entwickelte. „Muss man einen neuen Porsche wie den alten aussehen lassen?“ Seine Antwort damals: „Natürlich muss es ein neuer Porsche sein, genauso gut wie oder besser als der alte, nach dem gleichen Muster, aber nicht notwendigerweise von gleicher Form.“

In allen Belangen besser als der Vorgänger, zukunftsweisend in Form und Technik, modern, aber ein typischer 911: Die Vorgaben des damaligen Porsche-Chefs Wendelin Wiedeking an Michael Mauer und sein Designerteam für die siebte Generation des Sportwagen-Klassikers waren so einfach wie fordernd. Am Grundlayout – 2+2-sitziges Coupé mit Heckmotor – durfte auf keinen Fall gerüttelt werden.

Barbie-Design und Nivea-Cremedosen-Design Quelle: PR

Um den Faden aufnehmen zu können, den frühere Generationen gelegt hatten, statteten Mauer und seine Mitarbeiter zunächst der historischen Fahrzeugsammlung von Porsche einen Besuch ab. Mauer: „Eigentlich scheue ich immer davor, intensiv zurückzuschauen, weil es mehr einschränkend wirkt als inspirierend. Aber um die Designphilosophie zu verstehen, musste ich mich intensiv mit der Historie auseinandersetzen.“

Mauer interessierten speziell die Brüche und Zäsuren in der Geschichte des Elfer. Der Übergang vom luft- zum wassergekühlten Boxermotor war 1998 ein solcher Zeitpunkt. Denn bei dem wegen seiner „Spiegelei“-förmigen Scheinwerfer viel gescholtenen Modell 996 waren zum ersten Mal die Proportionen grundlegend verändert worden. Der Radstand wuchs, der damalige Chefdesigner Harm Lagaay führte ein Wechselspiel von konkaven und konvexen Linien ein: „Die Oberflächenbehandlung wurde dadurch sehr viel komplexer und anspruchsvoller.“

Macht der Proportionen

Die weichen Linien, die damals entstanden und die das Auto heute etwas pummelig erscheinen lassen, wurden in der nächsten Entwicklungsstufe wieder gestrafft und sind nun gänzlich verschwunden. Was wie ein leichtes Spiel erscheint, war ein aufwendiger Prozess mit vielen Diskussionen, Hunderten von Computerentwürfen und Dutzenden Tonmodellen. „Die Grundsilhouette des 911 ist ja ganz schnell gezeichnet, aber wenn es an die Details geht, ist es eines der schwierigsten Autos überhaupt, das extrem sensibel auf jede kleinste Veränderung reagiert – vielleicht, weil er schon so wohlproportioniert ist.“

Mit einem Computerprogramm, das gezielte Verzerrungen von Bildern ermöglicht, wurden auf der Basis des Vorgängermodells zunächst die Proportionen verändert. „Wir haben das Design des 997 genommen und es am Computer gemorpht“, erzählt Mauer und zeichnet dabei auf einem Stück Papier mit flinkem Strich die Etappen des Entstehungsprozess nach. „Das Auto bekam größere Räder, es wurde ein wenig flacher und bekam eine breitere Spur. Wir erkannten: Den Proportionen würde ein längerer Radstand gut tun. So haben wir uns Schritt für Schritt an die neue Proportion herangearbeitet.“

Die Festlegung der Proportionen ist für ihn der wichtigste Teil im Designprozess. „Ich sehe das Auto eigentlich als Skulptur. Darauf folgen das Styling und die Arbeit an den Details“. Ans Styling der „Kraftlinien“ ging es in Weissach erst, als durch einen längeren Radstand, eine breitere Spur vorne und eine niedrigere Dachlinie die richtigen Proportionen gefunden waren. Die Gestaltung der Scheinwerfer und Heckleuchten, des Heckfensters und der Frontmaske sind wichtig für die visuelle Botschaft des Autos, aber noch mehr für die Markenidentität.

Außen und innen hui

Den größten Sprung nach vorn macht das Design des neuen Elfer allerdings im Innenraum: Die wichtigsten Bedienelemente, Taster und Schalter sind hier auf einer nach vorne ansteigenden Mittelkonsole zusammengefasst. Der Sportwagen-Purismus der frühen Jahre ist passé. „Früher war das Interieur etwas, was der Kunde schlucken musste – Begehrlichkeit wurde allein durch das Exterieur geweckt. Heute kann ein schlechtes Interieur ein Grund sein, ein Auto nicht zu kaufen“, weiß Mauer.

Traditionelles bleibt

Traditionalisten werden einige Minuten brauchen, um sich im neuen 911 zurechtzufinden und die Vielzahl der Knöpfe den Funktionen zuzuordnen. So wurde der klassische Handbremshebel bei der Aufräumaktion gegen einen Knopf ausgetauscht, der eine elektrische Parkbremse auslöst. Immerhin: Die klassische Anordnung der fünf Instrumente im Cockpit mit dem zentralen Drehzahlmesser blieb.Und noch an eines wagten sich die Designer nicht heran: die Position des Zündschlosses. Gestartet wird der 911 weiterhin links vom Lenkrad – um wie schon vor 48 Jahren beim Zünden des Motors gleich einen Gang einlegen zu können.

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