Es war ein Erfolg, der so eigentlich nicht geplant war. 1999 kaufte der französische Autokonzern Renault alle Anteile des rumänischen Herstellers Dacia. Ziel des Zusammenschlusses war es, unter der Marke preiswerte Autos für die wachsenden Märkte in Osteuropa zu bauen. Ohne Klimaanlage, Servolenkung und anderen High-Tech-Schnickschnack. Ein wenig sollten die neuen Dacias so sein, wie westeuropäische Autos vor 40 Jahren waren: robust, praktisch, zuverlässig. Mehr nicht. 2004 kam der Dacia Logan auf den Markt, das erste Produkt der neuen Zusammenarbeit.
Das 5.000-Dollar-Auto, wie der Wagen damals genannt wurde, war vom Start weg ein Erfolg. Aber nicht nur in Rumänien, Ungarn oder Russland. Die Renault-Konzernstrategen stellten verblüfft fest, dass der Logan plötzlich auch bei Händlern in Paris, Amsterdam und Berlin auftauchte. Die hatten sich den Logan als Grauimport auf verschlungenen Wegen im Osten besorgt. Der damalige Renault-Chef Louis Schweitzer, der zum Schutz von Renault einen Verkauf von Dacia im Westen blockiert hatte, musste einlenken: 2005 brachte der Konzern die Billigmarke auch in Deutschland in die Läden.
Die Krise der Autobauer
Der Erfolg hält bis heute an. Ganz neue Zahlen zeigen, dass in den ersten neun Monaten 2012 in Deutschland zwölf Prozent mehr Dacias zugelassen wurden als zur gleichen Zeit im Vorjahr. Und das in einem Markt, der infolge der Euro- und Schuldenkrise in schweren Turbulenzen steckt: PSA Peugeot-Citroën, Fiat und Opel kämpfen ums Überleben. Selbst der Riese Ford muss Autofabriken schließen. Sie alle haben zu lange zu teure Allerweltsautos produziert.
In dieser Krise fällt der Blick auf den Dacia Logan, dem ersten Vertreter einer neuen Fahrzeuggeneration: Nach seinem Vorbild konzipieren nun fast alle Autohersteller neue Billigautos. Experten rechnen damit, dass diese in den nächsten fünf Jahren sowohl Asien und Lateinamerika – aber auch Europa überschwemmen werden.
Doch der neue Billigboom wird wahrscheinlich weitgehend ohne die Arbeiter in deutschen Autowerken stattfinden. Sie sind rund neun Mal teurer als etwa ihre rumänischen Kollegen und passen damit nicht in die Kalkulationen der neuen Fahrzeugklasse.
So rechnen Hersteller in aller Welt. Renault will seinen Dacia-Erfolg mit der Kultmarke Lada in Russland wiederholen: 2013 kommt die Stufenhecklimousine Granta heraus. In Japan wiederum wird Renault-Partner Nissan die Marke Datsun wiederbeleben, um unter diesem Label Billigautos anzubieten. Daneben setzen auch Toyota, Honda, Kia, Hyundai, Suzuki und die General-Motors-Tochter Chevrolet auf das Low-Budget-Segment.
Selbst Volkswagen – dessen Käfer mit einem geplanten Verkaufspreis von unter 1.000 (Reichs-)Mark einst als Preisbrecher konzipiert war – bewegt sich: Nach dem Scheitern der Beteiligung an Suzuki arbeitet in Wolfsburg ein Team um Ex-Opel-Chef Hans Demant an einem neuen Wagen, der billiger werden soll als der knapp 10.000 Euro teure Volkswagen up.
Beginn einer Zeitwende
Details über den Low-Budget-VW, der ab 2015 für 6.000 bis 8.000 Euro auf den Markt kommen soll, verrät der Konzern nicht. Aber so viel immerhin sickerte durch: Das Auto wird in drei Karosserievarianten angeboten und die Plattform eines Polo-Vorgängermodells nutzen, die derzeit noch in Brasilien im Einsatz ist.
Einfach ist gut genug: So lautet jetzt das Motto der lange aufs Premiumsegment fokussierten Industrie.
Einen solchen Einfach-Wagen fährt der Design-Professor Paolo Tumminelli schon lange – einen 30 Jahre alten Fiat Panda. Der gebürtige Italiener hängt an der kantigen, weißen Kiste mit der spartanischen Ausstattung: keine elektrischen Fensterheber, keine Servolenkung, keine Airbags und keine Klimaanlage. Warum für etwas bezahlen, was er nie oder nur selten nutzt?
Und obwohl der Wagen nur 3,38 Meter lang ist, bietet er Platz für vier Erwachsene. Der Kofferraum schluckt bei Bedarf einen Kühlschrank, und die Sitze lassen sich notfalls auch zum Bett umbauen; man weiß ja nie. Damit hat der Panda „alles, was ein Auto braucht – und obendrein Charakter“, findet der Designer.
Als Tumminelli vergangene Woche 200 Erstsemester-Studenten an der Köln International School of Design zu seiner Vorlesung „Oberflächlichkeit des Designs“ begrüßte und ihnen von seinem Panda vorschwärmte, machte er aber eine bemerkenswerte Erfahrung: Auf seine Frage, wer aus der Runde noch ein Auto besitze, meldeten sich nur noch drei Studenten.
„So wenig waren es noch nie“, bemerkt Tumminelli. Verstehen kann er die jungen Leute ja: Auto, Steuer, Versicherung, Parkplatz und Reparaturen sind teuer. Und für Großstädter ist das eigene Auto oft ohnehin überflüssig. Mit Fahrrad, Bus und Bahn kommen sie meist schneller ans Ziel.
Hauptsache billig
Für Tumminelli sind dies Anzeichen einer Zeitenwende. Zwar herrscht in den boomenden Schwellenländern noch die alte Euphorie: So wuchsen die Automärkte vergangenes Jahr in China, in Russland und Brasilien zweistellig, während der Absatz in Westeuropa um 1,7 Prozent zurückging. Seit dem Jahreswechsel hat sich die Talfahrt auf diesem gesättigten Markt beschleunigt: Ende September betrug das Minus in Westeuropa fast acht Prozent. Und auch der deutsche Automarkt schrumpft – im September um fast elf Prozent. „Trotz einer guten Inlandskonjunktur sind die Deutschen preissensitiver beim privaten Autokauf geworden“, beobachtet der Chefanalyst der Unternehmensberatung Polk, Ulrich Winzen. „Statt eines Neuwagens kaufen sie lieber Halbjahreswagen oder Leasingrückläufer.“
Hauptsache billig. Von der Entwicklung profitieren vor allem die Anbieter der Low Budget Cars, die über niedriges Prestige, aber hohen Nutzwert verfügen – wie der Dacia Sandero, der Skoda Citigo, der Kia Picanto oder der neueste Fiat Panda. Sie sind , ab Werkals Tageszulassung oder mit Rabatt schon für weniger als 8.000 Euro zu haben.
Premiumautos sind für viele unbezahlbar
Der Trend zu kleineren und preiswerteren Autos wird sich noch verschärfen. Schon weil sich viele Kunden Premiumautos aus deutscher Produktion nicht mehr leisten können: Der durchschnittliche Neuwagenpreis hat sich laut Berechnungen des Car-Center Automotive Research (CAR) der Universität Duisburg-Essen in den vergangenen 25 Jahren auf knapp 26.000 Euro mehr als verdoppelt.
Damit halten die meisten Einkommen nicht Schritt. 1980 mussten deutsche Arbeitnehmer 9,4 Monate arbeiten, um ein solches Durchschnittsauto für fast 26.000 Euro kaufen zu können. Heute müssten sie dafür laut CAR fast 16 Monate schuften. Viele entscheiden sich da lieber für den Kauf eines Billigautos.
SUV für 11.000 Euro
„Die Bereitschaft, sich für ein neues Auto zu verschulden, ist deutlich gesunken“, sagt Christoph Stürmer vom Branchendienst IHS Automotive in Frankfurt. „Damit wächst der Bedarf an einfachen Autos zu günstigen Preisen.“ Willi Diez, Leiter des Instituts für Wirtschaft an der Hochschule Nürtingen-Geislingen, sieht „allein in Europa ein Marktpotenzial für Billigautos von bis zu 20 Prozent“. Bei rund 13,2 Millionen Pkws, die laut IHS-Prognose 2012 in Westeuropa neu zugelassen werden, wären das rund 2,6 Millionen Autos.
Noch größere Potenziale haben die Low-Budget-Autos freilich auf den Märkten in Südostasien, China, Indien, Südamerika und Afrika. Schon heute werden im Billigsegment unter 10.000 Euro weltweit mehr als acht Millionen Autos verkauft – rund 13 Prozent der Gesamtproduktion.
Günstig, aber nicht billig
Für Ferdinand Dudenhöffer, den Leiter des CAR, gibt es keinen Zweifel: Das Automobil der Zukunft ist preisgünstig. Er rechnet mit einer Vervierfachung des Weltmarktes für Low-Budget-Fahrzeuge von 6,5 Millionen im vergangenen Jahr auf 25 Millionen Autos im Jahr 2030. Dudenhöffer zählt dabei allerdings nicht nur Pkws zu Verkaufspreisen unter 7.000 Euro mit, sondern auch Billig-SUVs wie den Dacia Duster. Der ist mit einem Einstiegspreis von 10.990 Euro mehr als ein Drittel billiger als wichtige Konkurrenten in der Klasse wie der Skoda Yeti, der mindestens 18.000 Euro kostet.
Mag sein, dass auch Automanager bei VW bei dem Wort Billigauto unwillig das Gesicht verziehen, ähnlich wie Renault-Dacia-Deutschland-Chef Achim Schaible oder Hyundai-Deutschland-Chef Markus Schrick. Billig klingt zu sehr nach wertlos.
In Teilen haben sie recht. Das preisgünstigste Auto der Welt, der indische Tata Nano, gilt als abschreckendes Beispiel: schwammiges Fahrwerk, simples Billigplastik, Kurzschlüsse in der Elektrik und ein Motor, der anfangs so heiß wurde, dass er in mehreren Fällen die Papiergirlanden in Brand setzte, mit denen die Käufer ihr neues Auto feiern wollten. Da nützt auch der Kampfpreis von umgerechnet 2.000 Euro wenig. Der Absatz blieb mit 70. 000 Stück im Jahr 2011 weit hinter den Erwartungen zurück. Tata hatte auf eine Jahresproduktion von einer Million Exemplaren gehofft.
Damit haben die Hersteller ihre Lektion gelernt: Viele Kunden wollen zwar ein preiswerteres Auto, aber keine billige Kiste.
Wo beim Billigauto gespart wird
Die Erkenntnis haben die Entwickler bei der neuen Low-Budget-Klasse umgesetzt: „Der Automobilbau hat ein so hohes Niveau, dass heute niemand im Billigauto Angst um sein Leben haben muss“, sagt Hochschuldozent Diez. Die neuen Modelle verfügen selbstverständlich über Airbags, ABS und Abgas-Katalysator – alles erprobte Techniken, die das Autofahren sicher und umweltverträglich machen.
Aber wie sieht ein erfolgreiches Billigauto aus? Wie ist es technisch möglich, dass Kunden heute so billig an Autos kommen wie seit Jahren nicht – und dennoch sicher unterwegs sind?
Kantige Karosserie
Egal, ob Tata Nano, Toyota Etios, Dacia Sandero, Lodgy, Peugeot 301 oder Nissan Pixo: Hingucker sind die Sparmobile nicht. Der Grund dafür ist die „eingebaute Hässlichkeit“, glaubt Designexperte Tumminelli.
Tatsächlich stehen die Gestalter der Billigwagen vor einem Dilemma: Die Karosserie soll möglichst preisgünstig zu fertigen sein und ihr Design gebührenden Abstand zu den teureren Autos im Konzern signalisieren. Andererseits kaufen auch preissensible Kunden keine Autos, für deren Aussehen sie sich schämen müssen.
Design transportiert zudem Markenbewusstsein. Moderne Autos wie der 3er-BMW oder die Mercedes A-Klasse haben jede Menge Linien und Kanten im Außenblech. Teilweise dient dies der Aerodynamik. Vor allem aber wollen die Designer das Fahrzeug so aufregend und unverwechselbar machen.
Das Problem: Jedes Designelement bedeutet, dass die Bleche umgeformt werden müssen. Bis zu fünf Mal passiert das bei neuen Autos wie dem genannten 3er-BMW oder dem Golf 7. Das ist teuer.
Bei günstigen Autos wie dem Dacia müssen drei Arbeitsgänge reichen. VW will bei seinem Budget Car sogar nur mit zwei Umformungen auskommen. Die Sparsamkeit spiegelt sich in der Außenhülle der Wagen wider: Weniger Kanten bedeuten klarere Formen. Das muss kein Nachteil sein, findet Tumminelli mit seinem Faible für die Optik des alten Panda. Vielleicht entsteht in der neuen Billigklasse dadurch ja sogar eine neue Generation von Retro-Autos.
Ältere Plattformen
Wie baut man ein Billigauto? Nicht durch den Griff in die Trickkiste. Sondern durch einen Griff ins Teileregal. Volkswagen und Toyota haben das Prinzip Baukasten in den vergangenen Jahren perfektioniert. Fast alle Teile, Lichtmaschinen, Getriebe oder Lenkungen können in verschiedenen Modellen genutzt werden.
Volkswagen hat sogar einen modularen Baukasten entwickelt, der die Plattformen und Komponenten der Modellreihen vereinheitlicht. Der neue Golf 7 und der neue Audi A3 etwa nutzen diesen Baukasten bereits, was die Herstellung der Fahrzeuge um rund 20 Prozent billiger macht.
Aber auch die alten Plattformen werden nicht weggeschmissen: „Wer kann sich das schon erlauben?“, fragt VW-Chef Martin Winterkorn. Samt den Werkzeugen könnten sie für den Bau neuer Billigautos an anderen Standorten genutzt werden – aus einem Audi A4 wurde auf diese Weise bereits 2009 ein Seat Exeo.
Einfache Technik
Moderne Autos wie der neue Golf 7, der Ford Focus oder die E-Klasse von Mercedes fahren über Schlaglöcher, Querrillen und Längsfugen, fast ohne dass der Fahrer das bemerkt. Selbst die Korrektur ärgster Fahrfehler bringt das Fahrwerk nicht aus der Spur. Der Grund: Meist haben diese Autos sogenannte Mehrlenkerachsen. Die Räder sind an bis zu fünf beweglichen Lenkern aufgehängt und so extrem flexibel. Die Mehrlenkerachse kostet allerdings mindestens 250 Euro mehr als die etwas einfachere und nur geringfügig unkomfortablere Verbundlenkerachse, die VW 1974 als erster Hersteller im Golf 1 einsetzte.
Die gibt es immer noch, und wahrscheinlich merken nur versierte Testfahrer den Unterschied. VW etwa setzt im neuen Golf beide System ein: die Verbundlenkerachse gibt es für die Basismodelle, die Mehrlenkerachse nur für die PS-stärkeren Versionen. Das ermöglicht preiswerte Einstiegsmodelle für den Grundbedarf.
Wenn es noch billiger werden muss, ersetzen Hersteller gerne auch die hintere Scheibenbremse durch simple Trommelbremsen – so etwa Volkswagen beim Kleinwagen VW up und Renault bei den Familienlastern Dacia Dokker und Lodgy.
Daneben kommen in den Spar-Mobilen kaum moderne Sechs-Gang- oder gar neue Automatikgetriebe zum Einsatz, sondern nur deren Vorläufer, die kostengünstigen Fünf-Gang-Schaltungen.
Alte Motoren
Weil Platz und Preis in der Billigklasse mehr zählen als Pferdestärken, findet sich in Autos wie den Budget Cars von VW, Toyota oder Dacia eine besondere Form des Recyclings: Motoren, deren Grundkonstruktionen schon seit Jahrzehnten eingesetzt werden, sind für die Hersteller erste Wahl. Die Motoren haben ihre Robustheit bewiesen, der immense Aufwand für die Entwicklung komplett neuer Triebwerke fällt weg.
Trotzdem glaubt etwa VW, dass auch die Oldies mit geringem Aufwand noch an die strenge Euro-6-Abgasnorm angepasst werden können. Dafür brauche es nicht einmal eine aufwendige Benzindirekteinspritzung in die Zylinder oder teure Turbolader.
Renault zeigt bereits, wie erfolgreich das Prinzip der Wiederverwertung sein kann. Den Familienvan Dacia Lodgy und den neuen Hochdachkombi Dokker etwa bewegen Motoren aus einer früheren Generation des Familienvans Renault Scenic.
Merkt der Fahrer, dass er letztlich angejahrte Technik unter der Motorhaube hat?
Verzicht spielt bei Billigautos die entscheidende Rolle
Eher nicht. Die meisten Kunden erwarten von Einstiegsmodellen wie dem Dacia Lodgy ohnehin nicht mehr als eine automobile Grundversorgung. Denn die Fahrer der Billigautos wollen keine Rekordzeiten auf der Rennstrecke brechen, sondern einfache Mobilitätsbedürfnisse erfüllen.
Ein weiterer Vorteil der Diät: Die Preisbrecher vom Schlage der Dacias oder des Hyundai Eon sind in der Regel deutlich leichter – weil auch die Motoren selbst kleiner und damit leichter sind.
Zweckmäßiger Innenraum
Wer den Familienvan Lodgy von Dacia zum werbewirksamen Einstiegspreis von knapp 10.000 Euro kauft, muss vor allem verzichten: Nicht nur auf Zentralverriegelung, Handschuhfach, Radio und Klimaanlage, sondern auch auf einen Innenraum mit weichen Kunststoffen und edlen Sitzbezügen à la Audi. Stattdessen erwartet den Besitzer ein schlichtes Armaturenbrett aus einem harten – aber immerhin zweifarbigen Kunststoff. Schokoladen-, Bonbon- oder Eisflecken? Kein Problem. Die Plastikblende vermittelt den Eindruck, als wenn sie selbst eine Hochdruckreinigung unbeschadet überstehen würde.
Überhaupt spielt Verzicht eine wichtige Rolle bei der Konstruktion der neuen Preisbrecher: Moderne Assistenzsysteme wie Notbremssysteme oder intelligente Tempomaten finden Kunden nur in den seltensten Fällen in den Fahrzeugen.
Auch haben sie keine große Wahl der Außenfarbe. Selbst elektrische Fensterheber gibt es oftmals nur als Sonderausstattung. Aber wer nur ein funktionierendes Auto braucht, kann gut darauf verzichten. Auf dicke Ledersitze allemal.
Mehr Platz
So viel Kunden bei den neuen Low-Cost-Fahrzeugen auch verzichten müssen – sie haben auch Vorteile: Neben dem Preis profitieren sie oft von einem größeren Platzangebot. Vorreiter dieser Entwicklung ist wiederum Dacia. Der Hersteller zeigt, dass billig nicht zwingend klein bedeutet: Der Familienvan Lodgy beispielsweise bietet mit 2.617 Litern ein fast unschlagbares Stauvolumen. Der Platzhirsch in dieser Klasse, der VW Touran, schafft nur knapp 2.000 Liter, sogar den eine Nummer größeren VW Sharan mit 2.430 Litern übertrifft der Lodgy.
Nun legt Dacia nach: mit einem bei Familien und Handwerkern gleichermaßen beliebten Hochdachkombi mit Schiebetüren namens Dokker, der Anfang 2013 auf den Markt kommt. Damit greift das Unternehmen die Marktführer VW Caddy, Renault Kangoo oder Citroën Berlingo an. Der Dokker lockt mit einem Einstiegspreis von knapp 9.000 Euro. Der günstigste VW Caddy kostet fast doppelt so viel.
Doch so sehr sich die westeuropäischen Kunden über die neue Einsteigerklasse freuen: Die Billigwelle hat gravierende Folgen für den Automobilstandort Deutschland. Das ist „kein Ort für die Produktion von Billigautos“, sagt Experte Diez von der Hochschule Nürtingen-Geislingen.
Handarbeit zum Dumpingpreis
Lada produziert in Russland, Toyota und Suzuki in Indien, Dacia in Rumänien und Marokko und VW demnächst in Indien: Die Hersteller der Preisbrecher weichen in Billiglohnländer aus, wo nicht in erster Linie teure Roboter die Autos fertigen, sondern auch Handarbeit durch deutlich geringere Löhne noch bezahlbar ist.
In Rumänien waren die Arbeitskosten 2010 pro Stunde mit 4,50 Euro europaweit mit Abstand am niedrigsten, in Polen kostet die Stunde 7,10 Euro, in Tschechien schon 10,50 Euro und in Deutschland immerhin 30,10 Euro.
Kleinwagen wie der VW Polo, Opel Corsa und Ford Fiesta werden daher längst nur noch teilweise in Deutschland hergestellt – in Zukunft könnten sie komplett aus Korea, der Türkei oder Marokko kommen.
Dort stehen inzwischen Fabriken, die für die Produktion von Billigautos bis ins Detail optimiert sind, wie IHS-Spezialist Stürmer aus eigener Anschauung weiß: „Die funktionieren so einfach wie eine Abfüllanlage für Coca-Cola.“ Die Abläufe sind standardisiert, die Produktionskosten niedrig.
Das erhöht wiederum den Druck auf die Autowerke in Wolfsburg, Köln und an anderen deutschen Standorten. VW-Betriebsratschef Osterloh und Hartmut Meine, Bezirksleiter der IG Metall in Niedersachsen, wollen noch keine Gefahr erkennen: Ein Verkauf der Billig-Volkswagen in Westeuropa, sagt VW-Chef Martin Winterkorn, sei „momentan“ nicht geplant.
Doch wir erinnern uns: Auch der Dacia Logan aus Rumänien war ursprünglich nur für Autokäufer in Osteuropa bestimmt.
Die Angst vor der Kannibalisierung
Zugleich ist die Sorge, dass die Billigmarke den Absatz der Kernmarke kannibalisiert, nicht von der Hand zu weisen. Wie viele Kunden kaufen künftig statt eines VW Golf oder eines Renault Scenic das entsprechende preisgünstigere Modell der Konzern-Billigmarke? „Der Verlust ist größer als null, aber niedriger als zehn Prozent“, sagt Achim Schaible, der Chef von Renault Deutschland.
„Es wird nicht ganz ohne Kannibalisierung gehen“, glaubt Stefan Bratzel, Professor für Automobilwirtschaft an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach. Aber die Gefahr, nichts zu tun, warnt er, könnte noch größer sein: „Ohne ein eigenes Billigauto-Angebot wechselt der Kunde zur Konkurrenz.“
Wie sich eine solche Strategie erfolgreich umsetzen lässt, zeigt der südkoreanische Autobauer Hyundai. Für den indischen Markt haben die Entwickler einen fünftürigen Kleinwagen auf Diät gesetzt. Der vor wenigen Monaten vorgestellte Zwerg Eon misst lediglich 3,50 Meter. Zum Vorwärtskommen reichen ihm 57 PS.
Kampf um die Kunden
Damit kostet der Winzling umgerechnet weniger als 4.000 Euro und ist nach dem Tata Nano das weltweit zweitbilligste Auto. Hyundai traut dem Wagen einen Absatz von 150.000 Stück pro Jahr zu.
Das kann VW nicht gefallen. Denn für die globalen Expansionspläne der Wolfsburger sind solche Fahrzeuge eine Bedrohung. Wer erst die Einstiegskunden in den boomenden Schwellenländern gewinnt, hat später auch wohlhabende Kunden im Showroom.
Bis der Billig-VW auf dem Markt ist, versucht der Konzern daher, etablierte Marken auf günstig zu trimmen. So bringt die tschechische Tochter Skoda eine konservativ gezeichnete Stufenhecklimousine namens Skoda Rapid zum Einstiegspreis von knapp 14.000 Euro heraus. Die gleiche Technik nutzt die spanische Schwestermarke Seat für den neuen Seat Toledo, der Ende des Jahres auf den Markt kommt.
Zweiklassengesellschaft
Beide Autos markieren eine Trendwende zu deutlich billigeren Modellen. Daimler hingegen und auch BMW können da nicht mithalten: Smart und Mini sind als Lifestyle-Produkte positioniert und mit Preisen jenseits von 10.000 Euro immer noch Luxusprodukte.
„Wir sind auf dem Weg zu einer Zweiklassengesellschaft“, glaubt Polk-Berater Winzen: rustikale Einfachautos für den Massengeschmack – und Premiummobile für die gehobene Oberklasse und die Dienstwagenfahrer. Schon heute sind nach Auswertungen des Branchendienstes Dataforce 60 Prozent aller in Deutschland zugelassenen VW Passat Firmenwagen. Und bei Luxusautos sieht es noch krasser aus: Autos vom Kaliber eines Audi A8 werden nur zu etwa 30 Prozent auf Privatkäufer zugelassen. Das Volk fährt einfache Sparmodelle.
Denn längst ist der Besitz eines Billigautos kein gesellschaftlicher Makel mehr: „Ein Dacia oder Skoda ist längst sozial akzeptiert, ihr Besitz gilt heute fast schon als Beweis von Cleverness“, sagt Ralf Kalmbach, Leiter des Kompetenzzentrums Automotive bei Roland Berger. Einen ähnlichen Wandel erlebten die Aldi-Märkte. Früher kaufte dort, wer rechnen musste – heute, wer rechnen kann.
„Vielleicht“, spekuliert Tumminelli, „sind die Billigautos von heute ja die Normalfahrzeuge von morgen.“