Rückruf bei Hyundai Brandgefahr fürs Elektroauto-Image

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Lösung des Problems durch Zellchemie?

Große, schwere Hindernisse, die der Fahrer übersieht, extreme Buckel, tiefe Löcher, dicke Äste nach einem Sturm, oder großes verlorenes Stückgut eines Lkw, zum Beispiel, können die Schutzpanzer der Batterie in Extremfällen aber beschädigen. Wird auch die Zellwand in Mitleidenschaft gezogen, kann es zum Kurzschluss und Brand kommen. Ein Problem: Physische Unfalltests sind teuer und können im Ernstfall ein ganzes Testlabor abfackeln; bei GM in Detroit gab es 2011 einen solchen Vorfall. Akkus, Module und Zellen werden zwar, bevor sie ins Serienauto gelangen, aufwendig in Dampf-, Kälte- und Hitzekammern, auf Rüttlern und Schaukeln etc. mechanisch und thermisch gefoltert. Ganze E-Autos mit kompletten Akkus werden meist nur einfachen physischen Crashtests unterzogen. Der Gesetzgeber schreibt nur zwei Minuten im Feuer vor, in denen sich die Batterie nicht entzünden darf. Allerdings muss auch ein voller Benzintank nur zwei Minuten ins Feuer. Die meisten Tests finden virtuell statt, es sind also reine Modellrechnungen.

Elektrisch kann die Zelle sich entzünden, wenn sie über- oder unterladen wird. Lithium-Ionen-Batterien sind für eine bestimmte Menge elektrische Energie ausgelegt, die sie in einer bestimmten Zeit laden und angeben können. Wird eine dieser Grenzen überschritten (etwa zu viel oder zu schnell geladen), kann die Zellchemie degenerieren. In der Folge kann es in der Zelle zu Kurzschlüssen kommen und letztlich zu Bränden. Hier ist die Art der verwendeten Zellchemie wichtig. Es gibt Dutzende unterschiedlicher Materialkompositionen in der Lithium-Ionen-Zelle, besonders für die Kathode. Einige gängige Kathoden-Materialien neigen schneller zur Überhitzung als andere, wenn sie elektrisch überladen werden. In Lithium-Ionen-Zellen für E-Autos werden aktuell vor allem NMC (Lithium-Nickel-Mangan-Kobalt-Oxid) und NCA (Lithium-Nickel-Aluminium-Oxid) in der Kathode verwendet. Sie sind sehr stabil, überhitzen erst bei 135 Prozent Überladung. Andere Kathodenmaterialien, die in Kleingeräten wie Akkuschraubern zum Einsatz kommen, schon ab 105 Prozent.

Eine bereits seit einigen Jahren in Bussen und eLkw eingesetzte Zellchemie könnte das Brandproblem beenden, meint der Batterieforscher Maximilian Fichtner von der Uni Ulm und dem KIT in Karlsruhe: Lithium-Eisenphosphat. Diese Zellchemie galt lange als zu schwer und zu träge für Premium-Pkw und andere mobile Akkus, wie in Smartphones. Sie fand sich mehr in stationären Heimspeichern oder eben großen, schweren Nutzfahrzeugen. Vor allem chinesische Forscher haben sie jedoch in den vergangenen Jahren weiter entwickelt. BYD setzt sie bereits im Pkw ein. Tesla zog bei seinen in China gebauten Model 3 und Model Y nach, verwendet dort ebenfalls Li-Eisen. Und siehe da: die Technik hat neben der fehlenden Brandgefahr weitere Vorteile. Sie benötigt zum Beispiel auch keine teuren und heiklen Rohstoffe wie Kobalt und Nickel.



Der gefürchtete Thermal Runaway

Um sicher zu arbeiten, muss die Batterie in einem bestimmten Temperaturbereich gehalten werden, in der Regel zwischen minus 25 und plus 75 Grad. Fällt das dafür zuständige Kühl- und Heizsystem aus, ist auch Hitze eine potenzielle Brandursache. Ebenso große Kälte, bei der sich Gase und so genannte Dendriten – fingerförmige geballte Ansammlungen von Lithium-Atomen – bilden und Explosionen beziehungsweise einen Kurzschluss verursachen können. Gefürchtet bei Feuerwehren ist der so genannte Thermal Runaway: eine Kettenreaktion, die durch zu hohe Temperaturen in der Zelle ausgelöst wird. Übersteigt die Temperatur eine bestimmte Schwelle, löst sie chemische Reaktionen in der Zelle aus, die wiederum die Zelltemperatur weiter anheizen und sie noch schneller steigen lassen. Ab einem gewissen Punkt wird der Prozess unkontrollierbar. Solche Brände sind dann schwer zu löschen. Auch über Fälle, in denen sich bereits gelöschte E-Autos auf dem Abschleppwagen oder in der Werkstatt erneut entzündeten, wurde berichtet – wenn auch weltweit in den vergangenen zehn Jahren weniger als zehn. Analog zum Überladeschutz gilt: Thermomanagement-Systeme werden extrem aufwendig getestet und enthalten in Autos mehrere Sicherheitsredundanzen, ein Restrisiko aber bleibt.

Besonders viel mediale Aufmerksamkeit erregen brennende E-Autos, die nicht bei einem Unfall, sondern beim Laden oder gar nachts beim Parken scheinbar von selbst anfangen zu brennen. „Es gibt auch Spontanbrände“, sagt Winter. Fast immer sind sie auf Produktionsfehler der Hersteller zurückzuführen, wenn eine Ursache ermittelt werden kann. So kann eine unsauber gefertigte Zelle zum Beispiel schief geschnitten oder unsachgemäß gewickelt worden sein. Dann könnten positiv und negativ geladene Teile der Zelle in Kontakt kommen. „Die gleiche Wirkung haben kleine Metallspäne, die beim Schneiden in das Innere der Zelle gelangt sind“, so Winter.

„Meist stellt sich nach einer scheinbar spontanen Selbstentzündung bei den Ermittlungen heraus, dass der Akku eben doch irgendwann zuvor mechanisch beschädigt wurde“, sagt Batterieforscher Winter. Von 21 Brandfällen, die von US-Feuerweheren und Staatsanwälten seit 2013 genauer untersucht wurden, waren elf die direkte Folge eines Verkehrsunfalles. Bei sechs weiteren stellte sich heraus, dass der Akku doch zuvor beschädigt wurde, meist ohne, dass der Besitzer dies merkte – oder es zugeben wollte.

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Eindeutige Statistik

Unabhängig von der Antriebsart geht die Zahl der Auto-Brände seit den 1970er Jahren zurück. 15.000 im Jahr brennen aber immer noch aus, insgesamt zählen Versicherungen und Feuerwehren gar 40.000 Fahrzeugbrände, kleine Schmor- und Kabelbrände mitgezählt. Pro Milliarde gefahrener Kilometer gibt es 65 Autobrände bei Diesel und Benzinern. Und E-Autos? Hier ist die Statistik noch dünn. Aber die Tendenz ist klar. Sie brennen weniger oft. Drei Tesla brennen pro Milliarde Kilometer, hat Martin Winter von der Uni Münster errechnet. Also rund 22 Mal seltener als andere Autos. Eine Untersuchung aus den USA von 2018 zählte 21 brennende Tesla bei bis dahin etwa 350.000 verkauften Modellen. Ebenfalls 20 Mal weniger Brände je verkauftem Auto als bei Verbrennern. Aber: „Elektroautos sind das Neue, das wird zu Recht besonders kritisch unter die Lupe genommen“, schreiben schwedische Forscher in einer Studie, in der sie die Brandgefahr durch Elektroautos untersucht haben.

Besonders kritisch war unlängst die fränkische Stadt Kulmbach: Nachdem ein in Brand geratener Benziner dort eine Tiefgarage schwer beschädigt hatte, wurde sie nach der Sanierung für bestimmte Autos gesperrt: für E-Autos.

Mehr zum Thema: E-Autos brennen nicht häufiger und nicht heftiger als Benziner oder Diesel. Aber sie müssen anders gelöscht werden. Wie sich deutsche Feuerwehren derzeit auf E-Auto-Brände vorbereiten.

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