Sebastian Thrun über das autonome Auto „Deutschland sollte besser keine Zeit mehr verlieren“

Sebastian Thrun leitete bei Google das Programm für selbstfahrende Autos. Die heutige Google-Schwester Waymo ist weltweit führend im Bereich autonomes Fahren. Quelle: Presse

Forscher Sebastian Thrun sieht in selbstfahrenden Autos die Zukunft. Ein Gespräch über die Vorteile von Robotaxis, die Rolle von KI für die Mobilität der Zukunft und die Folgen für die Autonation Deutschland.

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Sebastian Thrun ist einer der wichtigsten Forscher am selbstfahrenden Auto. Der gebürtige Solinger war Professor für Robotik und Künstliche Intelligenz an der Stanford University und begründete die Aktivitäten Googles im autonomen Fahren, die heute als Waymo weltweit führend sind. 2012 reihte ihn die US-Fachzeitschrift Foreign Policy unter die „100 einflussreichsten Denker der Welt“ ein – auf Platz vier.

WirtschaftsWoche: Herr Thrun, wir haben Hunger, Kriege, Klimawandel, also eine Menge drängender Probleme. Wozu braucht die Menschheit da ein selbstfahrendes Auto?
Sebastian Thrun: Natürlich kauft niemand ein Roboauto für einen erheblichen Aufpreis, nur damit es dann für ihn lenkt und bremst. Das autonome Auto wird aber nicht einfach das Auto mit Lenkrad ersetzen. Es wird auch nicht mehr, wie fast alle Autos heute, an Einzelkunden verkauft werden.

Sondern?
Autonome Autos ergeben langfristig nur als Lieferwagen und Robotaxi richtig Sinn: Sie melden ihren Fahrtwunsch an. Ein Algorithmus bündelt ihn mit den Fahrtwünschen anderer Menschen und bringt möglichst viele gemeinsam möglichst schnell von A nach B.

So etwas wie der Vater des selbstfahrenden Autos: Sebastian Thrun. Quelle: REUTERS

Kann das nicht auch ein Sammeltaxi mit Fahrer?
Der Preis pro Kilometer wird entscheidend sein. Der wäre nur schwer konkurrenzfähig, wenn man dauerhaft auf menschliche Chauffeure angewiesen wäre. In den USA gibt jeder Bürger im Schnitt 10.000 Dollar pro Jahr für Mobilität aus. Darin sind die Rate fürs eigene Auto und der Kraftstoff in der Regel der dickste Batzen. Wir glauben, dass selbstfahrende Autos diese Summe auf 6000 Dollar pro Jahr senken wird. Für junge Leute und Geringverdiener, die sich in einer Metropole wie Hongkong oder New York derzeit sowieso kein Auto leisten können, eröffnet das Robotaxi zudem die Chance, jenseits von Fahrrad und ÖPNV mobil zu sein. Dasselbe gilt für Menschen, die zu krank, zu alt oder zu jung sind, ein eigenes Auto zu fahren. Hinzu kommt: Das Auto selbst zu besitzen ist schon heute in Metropolen wie Tokio, Seoul oder Paris mit sehr hohen Kosten und vor allem Unannehmlichkeiten verbunden: Citymaut, Parkverbote, mehr Spuren für Busse und Radfahrer.

Es gibt Studien, etwa aus New York, Chicago und Boston, die weniger optimistisch sind. Demnach nahm der Autoverkehr durch neue Pool-Dienste wie Uber sogar um mehr als zehn Prozent zu.
Das ist typisch für die Kinderjahre von neuen Verkehrsmitteln. Die Eisenbahn machte ab 1850 Fernreisen für viele erstmals erschwinglich, die sich das mit Postkutschen nicht leisten konnten. Das ändert sich aber, wenn das Robotaxi-Angebot so gut ist, dass Kunden ohne Komfortverlust auf das eigene Auto verzichten können. Diesem Ziel wird die Industrie schnell näher kommen. Wenn es genügend solche Robotaxis gibt, muss fast niemand mehr ein eigenes Auto besitzen, da Sie immer ein Mobilitätsangebot finden, das für Sie genauso schnell oder schneller, aber günstiger und sicherer sein wird.

Viele denken, man sollte die Milliarden lieber in den Nahverkehr und die Bahn stecken.
Die dürfen dort, wo sie funktionieren, nicht kannibalisiert werden. Aber sie erfüllen viele Mobilitätsbedürfnisse eben nicht. Sonst hätten ja nicht so viele Menschen ein eigenes Auto, obwohl es immer teurer und umständlicher wird. Trotz aller Staus und steigender Kosten nimmt die Zahl der mit Autos zurückgelegten Personenkilometer weltweit rasant zu, die auf der Schiene steigt nur sehr langsam oder sie stagniert sogar.

Woran liegt das?
Am Kapazitätsproblem. Die Eisenbahn ist eine Idee des 19. Jahrhunderts. Sie hat auch heute ihre Berechtigung, lässt sich aber für die moderne Welt meist nicht flexibel genug auf Bedarfsschwankungen anpassen. Züge, U-Bahnen und große Omnibusse können nur ein kleines Stück des Bedarfsraums abdecken, meist sternförmig in die Städte hinein. Wer abseits der Haltestellen wohnt oder außerhalb der dicht getakteten Stoßzeiten fahren muss, hat meist Pech. Hinzu kommen extrem hohe Kosten und übrigens auch Emissionen von Kohlenstoffdioxid (CO2): Der Ressourcenverbrauch durch fast leere Züge oder Gelenkbusse in den Nebenzeiten ist immens. Noch schlechter ist die CO2-Bilanz, wenn man Stahl und Beton einrechnet, die es bräuchte, um das Schienennetz signifikant zu erweitern. Es ist trotz der technischen Herausforderungen am Ende viel einfacher und billiger, Autos autonom zu machen, als überall neue Gleise und Busspuren zu bauen.

Jetzt nehmen Sie uns Deutschen nach dem geliebten Auto auch noch den Glauben, mit Bahnfahren immer etwas fürs Klima zu tun.
Das ist zu pauschal: Da, wo es eine Bahnstrecke bereits gibt, sollte man sie nutzen. Aber ein Roboauto, das mit lernfähigen Algorithmen und der Unmenge an Geodaten, die wir alle mit unseren Smartphones ständig produzieren, geschickt individuelle Fahrtwünsche bündelt, ist überlegen: Es kann das sehr viel weiter verzweigte Asphaltnetz nutzen. Es gibt Studien, wonach bereits einige zehntausend Robotaxis in einer Stadt wie München oder Berlin mehrere Hunderttausend PKW überflüssig machen können. Werden es, wie eben diskutiert, insgesamt sehr viel weniger Robo- als heutige Autos, sinken auch die Instandhaltungskosten dramatisch, weil Fahrbahnbeläge und Brücken etwa weniger belasten werden. Ein Auto verursacht beim Bau rund sieben bis neun Tonnen CO2. Derzeit parkt das Auto durchschnittlich 23 Stunden pro Tag. Und wenn es fährt, dann im Schnitt mit nur 1,4 Menschen. Das Ziel muss sein, gerade im Hinblick auf Probleme wie Ressourcenknappheit und Klimawandel, die Autos viel stärker auszulasten. Statt nur eine Stunde am Tag 1,4 Menschen zu befördern, müssen sie drei, fünf und schließlich zwanzig Stunden pro Tag rollen und dabei durchschnittlich drei oder vier Menschen fahren. Dann ist seine Gesamtbilanz in Sachen CO2 weit besser als die von Bus und Bahn.

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