
Manchmal fehlt zur Perfektion nur eine Fingerbreite. Ron Dennis ärgert sich heute noch, damals die Pläne von Stararchitekt Norman Forster nicht sorgfältig genug studiert zu haben. Denn als der Rohbau des McLaren Technology Centre im südenglischen Woking fertig war, zeigte sich, dass die Gasse, durch die die Formel-1-Boliden zum Transporter geschoben werden, einige Zentimeter zu breit war. Folge: Die Bodenfliesen konnten nicht bündig mit der Wand verlegt, sondern mussten geschnitten werden. Ein solcher Fehler wird dem millionenschweren Chairman von McLaren Automotive sicher nicht noch mal unterlaufen. Nicht beim Neubau der Autofabrik, die gerade in Woking hochgezogen wird. Und auch nicht beim neuen Sportwagen MP4-12C, der dort von April an montiert wird, dem ersten reinrassigen McLaren für den Straßenverkehr.
Kompromisse sind Dennis ein Graus. Davon hat er in den 14 Jahren während der Kooperation mit Teilhaber Mercedes im Motorsport und bei der gemeinsamen Produktion des Mercedes SLR zu viele schließen müssen. Aus dem reinrassigen Sportwagen, lästert man in Woking, sei durch die Eingriffe der Stuttgarter ein Monstrum geworden. Nach 2200 Exemplaren wurde die Produktion des 435.000 Euro teuren Flitzers Ende 2009 eingestellt.
Mercedes-McLaren ist Geschichte, in der Formel 1 wie im Automobilbau gehen beide Unternehmen nun getrennte Wege. Durch Rückkauf ist der Anteil von Daimler an der McLaren Group von 40 auf 16 Prozent gesunken. Spätestens Ende 2011 regiert in Woking Dennis, der dann 25 Prozent der Anteile halten wird, zusammen mit Mansour Ojjeh von der Investmentfirma TAG (25 Prozent) und der Staatsholding Bahrain Mumtalakat (50 Prozent).
In 8,9 Sekunden von Null auf 200 km/h
Die Gruppe mit 1700 Beschäftigten ist so finanzstark, dass sie für die Entwicklung des Sportwagens und den Bau der Fabrik – ein Investment von 930 Millionen Euro – keine Kredite benötigte. "Wir haben einen sehr konservativen Businessplan und aufregende Produkte – wir erwarten, sehr schnell profitabel zu sein", sagt Dennis.
Der MP4-12C tritt am Markt gegen starke Konkurrenten an wie den Porsche Carrera Turbo und den Mercedes SLS – Autos und Marken mit starkem Image. "Ein Auto dieser Preisklasse kauft man nicht als Fortbewegungsmittel, sondern als Statussymbol", sagt Thomas Mawick vom Marktforschungsinstitut Polk. Das wusste auch Designer Stephenson, als er sich am Computer und im Windkanal an das Sportwagen-Ideal heranarbeitete: schmal, flach, leicht – und atemberaubend schnell. Die Spitzengeschwindigkeit beträgt 330 km/h, in 8,9 Sekunden hat der 1,3 Tonnen leichte Flügeltürer Tempo 200 erreicht.
Der 600 PS starke Acht-Zylinder-Motor wird beim britischen Rennspezialisten Ricardo gebaut – konstruiert wurde er von den Formel-1-Spezialisten von McLaren. "Wir haben den leistungsstärksten Motor seiner Klasse mit den geringsten Emissionswerten", behauptet Projektleiter Mark Vinnels. Im Datenblatt des McLaren steht ein Wert von 279 Gramm CO2 pro Kilometer, was einem Durchschnittsverbrauch von 11,7 Liter Super entspricht.
Kohlefaser in Serie
Einzigartig machen den McLaren ein elektrohydraulisches Fahrwerk und eine Fahrgastzelle aus Karbon, die nur 78 Kilogramm wiegt. Mit dem Material kennen sich die McLaren-Ingenieure aus: 1981 schickten sie den ersten Formel-1-Boliden ins Rennen, dessen Chassis aus Kohlefasern bestand. Neue Fertigungsverfahren haben das Material serientauglich und bezahlbar gemacht. Zulieferer von McLaren ist Carbotech aus Salzburg, eine Tochter des Autozulieferers Mubea aus Attendorn.
Im Mai wird das erste Auto des neuen Typs ausgeliefert. Vertriebsleiter Christian Marti will in diesem Jahr 1000 Stück zum Basispreis von rund 200.000 Euro verkaufen. Mercedes wird bei solchen Zahlen sicher nicht nervös: Vom SLS wurden 2010 etwa dreimal so viele Exemplare verkauft.
Beim 12C soll es jedoch nicht bleiben. Eine Cabrio-Version ist in Vorbereitung, ein kleineres sowie ein größeres Modell angedacht: Alle zwölf Monate, verrät Produktionsmanager Alan Forster, soll künftig aus Woking ein neues Auto kommen.