Was John Jay Rogers plant, klingt in der von Großkonzernen dominierten Autowelt wie ein Totalschaden mit Ansage. Der 40-jährige Finanzanalyst mit dem markanten Kinn und dem militärisch kurzen Haarschnitt will das Geschäftsmodell der Branche mit seinem Start-up Local Motors kurzerhand auf den Kopf stellen. Statt der üblichen Großserien von Zigtausenden Fahrzeugen will der vor Selbstbewusstsein strotzende Harvard-Absolvent individuelle Autos exakt nach Kundenwunsch in Rekordzeit produzieren. Ganz gleich, wie klein der Kundenkreis ist.
Ein erster spektakulärer Schritt ist dem Mann, den US-Medien bereits als Henry Ford des 21. Jahrhunderts feiern, gerade geglückt. Der Strati, ein fahrfähiges E-Mobil entstand in nur fünf Tagen – auf einem 3-D-Drucker. Während Monteure sonst Wagen aus rund 10.000 Einzelteilen zusammensetzen, besteht der Buggy-artige Renner, Ende September in Chicago vorgestellt, aus nur 50 Komponenten.
In 44 Stunden schmolz ein 3-D-Drucker in der Größe eines Schiffscontainers 227 Lagen des schlagfesten Kunststoffs Acrylnitril-Butadien-Styrol (ABS) übereinander. 15 Stunden dauerte es dann, die Grate per CNC-Fräsen zu entfernen. Noch zwei Tage später – nach dem Einbau von Batterie, Elektronik und 45-Kilowatt-Elektromotor aus dem Renault Twizy – war der Wagen fertig.
Die Hauptsache: Der Wagen fährt
So flott ging das noch nie. Und zwar nicht nur verglichen mit dem traditionellem Autobau – bei dem zwischen den ersten Entwürfen und fertigen Fahrzeugen schon mal vier Jahre Entwicklung liegen. Selbst beim Urbee 2, einem der ersten mit 3-D-Druckverfahren produzierten Pkw-Prototypen, brauchten die Maschinen vor zwei Jahren noch rund 2500 Stunden, bis die Karosse fertig war. Grund für diese drastisch beschleunigte Produktion ist der enorme Leistungssprung der 3-D-Drucker.
Auch wenn der Strati an eine Kreuzung aus Strandbuggy, VW Käfer und Smart Roadster erinnert und Kritiker die teils noch welligen Oberflächen bespötteln – der Wagen fährt. Der US-Journalist Lance Ulanoff lenkte ihn durch New York und befand, „das Plastik-Chassis fühlt sich extrem stabil an“. Gründer Rogers strotzt denn auch vor Zuversicht: „Tesla hat den Elektroantrieb weltberühmt gemacht – wir werden das ganze Auto verändern.“
Tatsächlich stecken in seinem Geschäftsmodell weitere Innovationen. Local Motors mit Sitz in Arizona und Massachusetts hat nur rund 100 Mitarbeiter, nutzt aber die Ideen einer Online-Community von mehr als 45.000 Entwicklern aus 130 Ländern. Darunter sind Ingenieure und Techniker ebenso wie Amateure, die auf alle Baupläne zugreifen und sie weiterentwickeln können. Schreibt ein Kunde auf der Plattform von Local Motors sein Wunschfahrzeug aus, werden sie aktiv: Wer liefert das beste virtuelle Concept Car? Für die überzeugendsten Lösungen gibt es jeweils ein paar Tausend Dollar aus dem Projektbudget.
Expansion nach Europa
Die Fahrzeuge will Rogers nicht in großen Werken bauen wie etablierte Autohersteller, sondern in Kleinfabriken voller 3-D-Drucker. Die ersten stehen in Phoenix und in Las Vegas. Weitere, auch in Deutschland, sollen folgen. „In zehn Jahren wollen wir mehr als 100 Standorte haben“, sagt Damien Declercq, der gerade in Berlin die Europa-Dependance von Local Motors aufbaut. Ob Pizzawagen, Strandbuggy oder Oldtimer wie der Trabi – alles ließe sich so schnell dezentral produzieren.
Das US-Militär interessiert sich bereits für die schnelle Entwicklung von Sonderfahrzeugen, Autohersteller beäugen die Idee dagegen noch skeptisch. Allein BMW nutzte die Plattform von Local Motors vor zwei Jahren, um Ideen für künftige Fahrzeugmodelle zu sammeln. Mehr als 400 innovative Konzepte kamen so zusammen.
Rogers dagegen will den Strati schon kommendes Jahr im Handel haben – zu Preisen von rund 18.000 Euro. Dafür allerdings braucht er nicht nur gefälligere Oberflächen. Viel wichtiger ist, dass die gedruckten Autos bei einem Unfall nicht wie Papier in sich zusammenfallen. Mit den Tests will Rogers jetzt beginnen.