Vor dem Kauf des Gebrauchtwagens noch schnell das Tachometer nach unten setzen, ist überaus beliebt. Denn durch die niedrigeren Kilometerstände im Auto, lassen sich Gebrauchtwagen oft für tausende Euro mehr weiterverkaufen. Auf etwa sechs Milliarden Euro jährlich beläuft sich der wirtschaftliche Schaden laut Angaben der Bundespolizei alleine in Deutschland - das sind im Schnitt 3000 Euro pro Auto.
Dazu kommen Extra-Kosten für Schäden, die nicht rechtzeitig erkannt werden. „Etwa wenn der Zahnriemen reißt, weil er aufgrund des falschen Kilometerstandes nicht rechtzeitig gewechselt wurde“, sagte ADAC-Präsident Peter Meyer bereits im vergangenen Herbst. Dadurch könnten Rechnungen bis zu 10.000 Euro anfallen.
Eines der kleinsten Länder in Europa hat nun einen effektiven Weg gefunden, den Betrügereien entgegen zu steuern: Belgien ist es mit dem Non-Profit-Projekt „Car-Pass“ gelungen, das Problem massiv einzudämmen.
Bereits seit dem Jahr 2000 sind die Werkstätten in dem Benelux-Land angehalten, die aktuellen Zählerstände der Autos ihrer Kunden aufzuzeichnen. Dadurch fielen einigen Mechanikern die Tacho-Betrügereien verstärkt auf. Als Folge schoben die Gebrauchtwagenhändler gemeinsam mit den Automobilherstellern und der Politik eine größere Datenanalyse an. Sie ergab, dass mindestens 60.000 der 750.000 Gebrauchtwagen im Land mit weniger Kilometern auf dem Tacho weiterverkauft wurden, als sie eigentlich gefahren wurden.
„Am Ende standen die Gebrauchtwagenhändler vor dem Problem, dass sie aufgrund des harten Wettbewerbs bei den Schummeleien mitmachen mussten. Entweder sie haben selbst manipuliert oder sich aus dem Geschäft zurückgezogen“, sagt Michel Peelman, Geschäftsführer von Car-Pass. Als Reaktion taten sich alle beteiligten Organisationen am Markt zusammen, um Car-Pass zu gründen. Die Organisation sollte eine Lösung bereitstellen, die den Markt möglichst gut kontrolliert, ohne dabei unnötige bürokratische Hürden zu schaffen.
„In einem ersten Schritt haben wir 2006 die Strafen für Tacho-Betrug verschärft“, sagt Peelman. Inzwischen können belgische Richter für das Delikt eine Gefängnisstrafe von einem Jahr verhängen. Zum anderen sei jeder, der professionell an Autos arbeitet, dazu verpflichtet worden, die Tachostände abzulesen und an eine zentrale Datenbank zu schicken. Werkstätten, TÜV-Stellen, Unfallhelfer – alle Instanzen machen mit. Außerdem sind in der Datenbank alle in Belgien registrierten Autos aufgeführt. „Dadurch können wir die Kilometerstände von Anfang an sehr engmaschig festhalten“, sagt der Car-Pass-Chef. Betrug sei so zwar nicht komplett ausgeschlossen, werde aber doch deutlich erschwert.
Ein internationales Problem
„Wer einen Gebrauchtwagen kaufen will, kann sich von uns diese Datenübersicht zuschicken lassen. Tauchen Unregelmäßigkeiten auf, deutet das auf Betrüger hin, denen deutlich schneller auf die Schliche gekommen werden kann“, sagt Peelman. Auch internationale Polizeistellen wenden sich im Zuge ihrer Ermittlungen mittlerweile an Car-Pass.
Die Arbeit der vergangenen acht Jahre kann sich sehen lassen. 2013 sind in Belgien nur noch 1100 Fälle von Tacho-Schummeleien bekannt geworden.
„Allerdings wissen wir nichts über die importierten Autos“, schränkt Michel Peelman ein. Und gerade der Gebrauchtwagenmarkt sei international. Ein konkretes Bespiel: Erst kürzlich hat Peelman eine E-Mail aus Polen erhalten. Darin fragte ein Gebrauchtwagenhändler den Tachostand eines noch in Belgien registrierten Fahrzeugs an. In Polen sei das Auto mit angeblich 115.000 gefahrenen Kilometern gelandet. Laut Car-Pass-Datei hatte der Wagen aber schon mindestens 250.000 Kilometer hinter sich.
Unterm Strich wissen die Kunden bei Gebrauchtwagen belgischer Herkunft also sehr genau, wie es um das Auto bestellt ist. Die Händler hingegen konkurrieren weiter mit den Wagen, bei denen am Tacho gedreht wurde.
„Der Großteil der Gebrauchtwagen wird aus dem Ausland bezogen. Besonders aus Deutschland“, sagt Peelman. Entsprechend sei zumindest eine europaweite, einheitliche Einigung sinnvoll. Car-Pass hat sich mit seinem Modell bereits an die Europäische Kommission gewandt. Dort habe man das Thema als relevant wahrgenommen, wie es konkret weitergeht, ist derzeit nicht klar.
„Wir können unseren Nachbarn nicht vorschreiben, was sie tun sollen. Aber ein ähnliches Vorgehen, dass einen Austausch der Daten erlaubt, wäre überaus hilfreich“, so Peelman. Erfreulicherweise hätten inzwischen zumindest die Niederlande nachgezogen. Und auch mit Vertretern des deutschen ADAC sei man im Gespräch. Was einen Vorstoß in der Bundesrepublik angeht, ist Peelman jedoch eher vorsichtig. „Man sagte uns, dass sich so eine Datenbank in Deutschland aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht einfach so umsetzen ließe“, sagt Peelman.
Wirklich nachvollziehbar findet er das Argument nicht. „Unser System schützt die Privatsphäre. Wir speichern lediglich eine Fahrzeugnummer und den Kilometerstand“, sagt der Car-Pass-Chef. Weder der Name des Fahrzeughalters noch das offizielle Nummernschild würden hinterlegt. Außerdem dürften die Daten nicht zu kommerziellen Zwecken an Dritte weitergegeben werden.
Technische Lösung dank Chip denkbar
Auch der ADAC kritisiert massiv, dass in Deutschland bisher keine Lösung in Sicht ist. Dabei gäbe es sogar eine einfache technische Lösung, um die Kilometerstände der einzelnen Fahrzeuge besser zu überwachen – und das ganz ohne Datenbank. Tests des Automobilclubs haben ergeben, dass in den Autos bereits Chips mit einer sehr guten Sicherheitstechnologie verbaut werden – wie zum Beispiel SHE (Secure Hardware Extension).
Vereinfacht handelt es sich dabei um eine Art Speicherfunktion auf dem Chip. Damit könnte der Kilometerstand in gewissen Abständen festgehalten werden. Er wäre auf diesem Chip dann nicht mehr zu verändern. Wer einen Gebrauchtwagen kauft, könnte sich also den dort erfassten Wert einfach anzeigen lassen und wüsste, wie viele Kilometer das Fahrzeug wirklich schon gefahren wurde. Diese Funktion haben die Hersteller derzeit jedoch noch nicht aktiviert.
„Wir nehmen an, dass nach Probefahrten im Werk der Tacho ‚zurückgedreht‘ wird, um dem Kunden ein ungefahrenes Neufahrzeug zu übergeben“, sagt Markus Sippl vom ADAC. Dabei seien diese Testfahrten, die gerade einmal bei jedem 100. Auto stattfinden, zu begrüßen. Es gäbe keinen Grund sie zu verschleiern.
Warum bleiben viel große Hersteller also passiv? „Weil sie keinen finanziellen Schaden haben – im Gegenteil“, sagt Sippl. „Durch die hohe Zahl manipulierter Fahrzeuge steigt der durchschnittliche Wert, was eine besonders hohe Wertbeständigkeit suggeriert.“ Zudem hätten die Autobauer meist keine direkte Geschäftsbeziehung zu den Gebrauchtwagenkunden, entsprechend bekämen sie die Auswirkungen auch kaum zu spüren.
Finanzielle Gründe, die zum Teil schon vorhandene Technik zu aktivieren, gibt es nicht. Mehrere Chip-Hersteller haben dem ADAC versichert, dass der Aufwand für eine vernünftige Lösung sehr überschaubar ist. Die Infrastruktur – wie zum Beispiel die Server der Hersteller – sei bereits vorhanden. Der Aufwand läge bei weniger als einem Tausendstel des durchschnittlich verursachten Schadens – die Rede ist also von Eurobeträgen.
Fazit
Es scheint also, als sei dem Problem nur mit politischem Druck beizukommen – oder die deutschen Gebrauchtwagen-Händler werden hier ebenso aktiv wie in Belgien.