So tief greifend die neuen Regelungen die Autobranche verändern werden – die verschiedenen Hersteller werden sie ganz unterschiedlich treffen. Zumindest die deutschen Premiumanbieter etwa scheinen trotz hoher Dieselverkäufe vergleichsweise glimpflich davonzukommen „BMW, Audi, Mercedes-Benz treffen die zusätzlichen Kosten kaum. Deren Margen sind so hoch, dass ein paar Hundert Euro mehr nicht ins Gewicht fallen“, sagt Greg Archer von der nicht staatlichen Umweltorganisation Transport & Environment mit Sitz in Brüssel. „Schwieriger wird es für die Hersteller mit preissensiblen Kunden und Modellen etwa in der Golf-Klasse.“
So könnte VW die "Dieselgate"-Kosten schultern
Der Abgas-Skandal kratzt nicht nur am Image des Volkswagen-Konzerns - er dürfte vor allem sehr teuer werden. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Kosten des Skandals und wie VW sie stemmen könnte.
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Darüber rätseln Beobachter derzeit. Bislang bekannt ist: Volkswagen hat 6,5 Milliarden Euro für Kosten aus dem Abgas-Skandal zurückgelegt. Das Geld ist aber wohl in erster Linie für eine technische Umrüstung der Autos mit Manipulations-Software bestimmt, wie Finanzchef Hans Dieter Pötsch laut dem Fachblatt „Automobilwoche“ kürzlich vor VW-Managern erklärte. Unklar ist, welche Strafzahlungen auf VW zukommen. Dazu dürften noch mindestens drei andere mögliche Kostenblöcke kommen: Strafzahlungen, Schadenersatzforderungen, Anwaltskosten. Wie hoch diese Ausgaben sein werden, lässt sich derzeit nur grob schätzen. Die Landesbank Baden-Württemberg rechnet derzeit mit einem Schaden von 47 Milliarden Euro für den Konzern. Ein möglicher Imageverlust und damit verbunden ein Rückgang der Autoverkäufe ist dabei noch nicht eingerechnet. Allerdings werden die Kosten wohl nicht auf einmal anfallen, sondern sich über Jahre verteilen.
Vergleichsweise viel. VW hat sich in den vergangenen Jahren ein stattliches Kapitalpolster zugelegt. Zur Jahresmitte hatte der Konzern rund 18 Milliarden Euro Bargeld auf dem Konto. Das ist mehr als ganze Dax-Konzerne wie Adidas oder Lufthansa einzeln an der Börse wert sind. „Über den Daumen gepeilt kann VW davon die Hälfte verwenden, um mögliche Kosten zu begleichen“, sagt Nord-LB-Analyst Frank Schwope. Dazu kommen bei VW noch schnell veräußerbare Wertpapiere über 15 Milliarden Euro und Schätzungen zufolge mindestens 5 Milliarden Euro aus dem Verkauf der Beteiligungen am ehemaligen Partner Suzuki und an einer niederländischen Leasingfirma.
Das ist sehr unwahrscheinlich. VW könnte sich über Anleihen und Kredite Geld leihen, auch wenn einige Ratingagenturen ihre Bewertungen der Kreditwürdigkeit des Konzerns zuletzt angepasst hatten. Wenn es irgendwann hart auf hart käme, könnte Volkswagen immer noch sein Tafelsilber verkaufen. Am einfachsten ließen sich wohl die Luxusmarken Bentley, Bugatti und Lamborghini aus dem Konzern herausnehmen. Nord-LB-Analyst Schwope schätzt den möglichen Verkaufserlös für die drei Marken und den Motorradhersteller Ducati auf 5 bis 10 Milliarden Euro. Durch einen Verkauf der Lastwagenbauer MAN und Scania ließen sich nach seinen Berechnungen sogar 30 bis 35 Milliarden Euro erzielen. Das wertvollste Juwel in der Sammlung, den Sportwagenbauer Porsche, dürften die VW-Anteilseigner kaum abgeben wollen.
Nur begrenzt. Eine Kapitalerhöhung - also die Ausgabe neuer Aktien - ist bei VW nicht so leicht wie in anderen Konzernen. Damit die Familien Porsche und Piëch sowie das Land Niedersachsen als Anteilseigner ihre Macht im Konzern nicht verlieren, darf sich deren jeweiliger Anteil an den Stammaktien nicht stark verringern. Vor allem Niedersachsen dürfte aber derzeit kaum ein Interesse daran haben, weitere Stammaktien zu kaufen und Geld in den VW-Konzern zu stecken. VW könnte deshalb wohl höchstens neue Vorzugsaktien ausgeben, das sind Aktien ohne Stimmrecht auf der Hauptversammlung des Konzerns. Laut Aktiengesetz darf die Zahl dieser Vorzugsaktien die Zahl der Stammaktien allerdings nicht übersteigen. VW könnte deshalb höchstens rund 114 Millionen neue Aktien ausgeben und damit auf Basis derzeitiger Kurse rund 11 Milliarden Euro einsammeln.
In der Regel setzen Sparmaßnahmen bei großen Konzernen zuerst bei den Mitarbeitern an: Weniger Gehalt, Einstellungsstopps, bis hin zu Stellenstreichungen und Entlassungen. Bei Volkswagen wäre das allerdings nicht so einfach. Die Arbeitnehmervertreter haben in Wolfsburg deutlich mehr Macht als in anderen Konzernen. Einfacher wäre die Kürzung geplanter Investitionen. Hier hatte Volkswagen angepeilt, bis 2019 eine Summe von mehr als 100 Milliarden Euro in Standorte, Modelle und Technologien zu stecken. Laut Experte Schwope könnte VW hier den Rotstift ansetzen und so 2 Milliarden Euro jährlich sparen, vor allem bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Nur: Dann besteht die Gefahr, von der Konkurrenz abgehängt zu werden. Der Zeitpunkt wäre denkbar ungünstig - die Autoindustrie steht durch Digitalisierung und Elektroantriebe vor einem Umbruch.
Dazu kommt, dass Renault etwa Harnstoffkatalysatoren bisher nur in den Nutzfahrzeugen Trafic und Master einbaut, nicht aber in den in Deutschland meistverkauften Kompaktwagen Mégane und Scénic. Die Aufrüstung wird teuer.
Ford liefert die Hälfte seines Bestsellers, des Golf-Rivalen Focus, als Selbstzünder aus. Der US-Hersteller rechnet mit erheblichen Mehrkosten. Das ohnehin defizitäre Europageschäft – im dritten Quartal verlor Ford dort umgerechnet rund 166 Millionen Euro vor Steuern – würde durch schrumpfende Verkäufe beim Focus noch unattraktiver.
Bei Opel war 2014 jedes dritte in Europa verkaufte Fahrzeug ein Diesel. Unter der Haube steckt zwar bei allen Wagen bereits ein Harnstoffsystem. Trotzdem könnten zusätzliche Entwicklungskosten etwa für größere Harnstofftanks nötig werden.
Die PSA-Marken Peugeot und Citroën hingegen, die Hersteller mit dem höchsten Dieselanteil nach der deutschen Edelriege, bauen bereits seit 2013 selbst in kleinsten Motorisierungen Katalysator, Partikelfilter und eine Anlage zur Verringerung von Stickoxiden mit einer Harnstofflösung ein. „Eine Extrabelastung sehen wir nicht“, erklärt ein Sprecher des französischen PSA-Konzerns denn auch folgerichtig.
Ganz anders sieht das beim Volkswagen-Konzern aus, der die ebenso kurzfristige wie drastische Verschärfung der Abgasvorschriften durch seine Tricksereien beschleunigt hat. VW verkauft bisher gut 55 Prozent aller Fahrzeuge in Europa mit Dieselantrieb und würde durch höhere Preise unter Druck geraten.
Noch ist ungeklärt, welche unmittelbare Verantwortung der geschasste Vorstandschef Martin Winterkorn tatsächlich an Dieselgate trägt. Eine seiner noch vor Bekanntwerden des Skandals verkündete Entscheidung aber könnte sich für VW auszahlen. Bis 2020, so kündigte Winterkorn an, werde sein Unternehmen 20 neue reine Elektromodelle oder Wagen mit Hybridantrieb aus Verbrennungs- und Elektromotor auf den Markt bringen.
Trotz aller erforderlichen Sparmaßnahmen im Konzern, um Strafzahlungen, Rückrufmaßnahmen und Nachrüstkosten für die Schummeldiesel zu finanzieren – an Winterkorns E-Initiative wird in Wolfsburg niemand rütteln. „Inzwischen haben alle verstanden, dass Zögern bei diesem Thema ein Selbstmord aus Angst vor dem Tod wäre“, so ein VW-Manager.