VW-Abgasaffäre Was hinter dem "Clean Diesel"-Betrug steckt

Volkswagen droht wegen der Manipulation von Abgaswerten eine Milliardenstrafe. Wie der VW-Konzern schummelte, warum überhaupt und wie die US-Umweltbehörde dahinter kam.

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VW fälscht Abgaswerte in den USA. Quelle: dpa, Montage

„Zykluserkennung“ ist das Zauberwort, das sich Volkswagen für seine Manipulationen bei Abgastests in den USA zu Nutze machte. Eine Software reichte scheinbar aus, damit die VW-Modelle den dortigen Abgasnormen entsprachen – allerdings nur während der offiziellen Testläufe.

Denn mithilfe von Sensoren kann eine kluge Software erkennen, dass sich das Auto im Testlauf befindet und dann im richtigen Moment sozusagen auf das Sauber-Programm schalten. Dieser Technik bedienten sich die VW-Ingenieure. „Die Software sagt dem Auto in diesem Fall, fahr so, wie es den Richtlinien entspricht“, erklärt es Gerd Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher des ökologischen Verkehrsclubs VCD und Experte für Antriebstechnik und Emissionen.

Der Effekt: Die Volkswagen-Modelle blieben auf dem Prüfstand unter den gesetzlichen Grenzwerten. Im Realbetrieb auf der Straße überschritten sie diese jedoch um das 40-fache, wie die US-Umweltbehörde EPA berichtet. Ein klarer Verstoß gegen den Clean Air Act, der in den USA die Grenzwerte für Abgase regelt.

Für den Hauptschadstoff Stickoxid sind in den Vereinigten Staaten die zulässigen Obergrenzen viel niedriger als in Europa. Während in der EU nach der seit September 2015 geltenden Euro-6-Norm maximal 80 Milligramm pro Kilometer erlaubt sind, sieht die vergleichbare Norm der US-Umweltbehörde EPA ein Limit von 70 Milligramm pro Meile, also etwa 1,6 Kilometern vor. Daran wollte VW sich offenbar aber nicht halten und nutzte mithilfe der Manipulations-Software die Möglichkeit, die Grenzwerte zu reißen, bei den Tests aber trotzdem zu bestehen.

Die EPA

Der Betrug durch Volkswagen flog auf, weil die US-Umweltbehörde dort neben den klassischen Tests auf dem Rollenprüfstand auch Untersuchungen im Realverkehr machte – die Fahrzeuge also während den Tests ganz normal auf den Highways unterwegs waren. Weil die Täuschungssoftware in dieser Situation nicht startete, um die Ergebnisse zu verfälschen, zeigten sich die realen Stickoxid-Werte und damit der extreme Unterschied zu den Prüfstandmessungen.

Die ausführlicheren Tests der Volkswagen-Modelle waren auf Betreiben der kalifornischen Luftschutzbehörde CARB (California Air Resources Board) und der EPA veranlasst worden - fernab der in Europa üblichen Rollprüfstände. Wohl nur dadurch konnten die Manipulationen aufgedeckt und öffentlich gemacht werden, wie sie in einem ausführlichen Schreiben an Volkswagen USA erläutern.

Warum Volkswagen überhaupt manipuliert


Die Motivation für die Abgas-Schummelei dürfte zum einen wohl in den Mehrausgaben liegen, die Autobauer für entsprechende Abgasreinigungssysteme investieren müssen. Die Systeme sind ausnahmslos teuer und nahezu alternativlos. Deshalb dürfte der Einsatz von Manipulationssoftware für Volkswagen in erster Linie eine Kostenersparnis sein. Denn je effektiver die Abgasreinigungssysteme im Regelverkehr sein müssen, wenn sie ständig zum Einsatz kommen, desto teurer ist ihre Ausrüstung. Wenn man aber ein solches System installiert und es dann nur in Einzelfällen zum Einsatz kommt, ist die Abnutzung geringer und die Lebensdauer länger - klarer Kostenfaktor also.

Es gäbe schließlich eine einfache Methode, um die Stickoxide in Diesel-Abgasen zu reduzieren, aber das ist eine Imagefrage, sagt Diesel-Kritiker Lottsiepen. Denn dabei geht es um die Zuführung von Harnstoff. (Um dieses fiese Wort nicht zu verwenden, umschreibt die Branche es als „Ad Blue“ – klingt schöner als Harnstoff.) Die Rechnung geht im Grunde dann ganz einfach: Harnstoff sorgt für eine Filterung der Stickoxide. Das heißt mehr Harnstoffe, weniger Stickoxide. Der muss aber regelmäßig nachgefüllt werden. Technisch ist das kein Problem und eigentlich an der Tankstelle möglich.

Stimmen zum Abgas-Skandal bei VW

Bislang ist das Nachfüllen in der Regel aber ein Werkstattservice, der den Autofahrern überhaupt nicht bekannt ist, weil er während der routinemäßigen Inspektionen erfolgt. „Ein höherer Verbrauch von Harnstoff macht damit aber häufigere Inspektionen notwendig“, so Lottsiepen „und genau das widerspricht dann einer gewünschten Werbebotschaft VWs: VW-Modelle brauchen nur wenige Inspektionen.“

Vermintes Gelände – Volkswagen und die USA

Gemunkelt wird schon lange, dass Autobauer vergleichbare Software nutzen, um in Tests optimal abzuschneiden und Experten sind sich schon lange sicher, dass solche Verfahren in der Branche üblich sind. Verboten sind sie grundsätzlich erst einmal nicht – außer sie vertuschen illegale Machenschaften. Denn Werbeversprechen von beeindruckend hohen Reichweiten und geringem Spritverbrauch (natürlich im Testmodus) beeindrucken auch weniger gewiefte Autokäufer heute kaum noch. Sie sind eben hinreichend bekannt. Dass Verbrauchswerte meist höher liegen, als der Prospekt und die Konzerntests behaupten, ist kein Geheimnis. Die Manipulation von Volkswagen in den USA betrifft aber ein anderes Metier. Es geht nicht um verschönerte Verbrauchswerte für den Verkaufsprospekt. Der Autobauer verstößt damit gegen Emissionsgesetze.

Den Verkauf von Diesel-Wagen jedenfalls hat VW in den USA vorerst komplett gestoppt. Die Schlüssel von aktuellen Jetta, Beetle, Passat, Golf und Audi A3 wandern also nicht mehr über den Händler-Tresen. VW will bis auf weiteres selbst keine gebrauchten Fahrzeuge der fraglichen Modellen mehr verkaufen. Stattdessen wartet der Konzern darauf, welche weiteren Ergebnisse die Untersuchungen der Umweltschutzbehörde EPA ergeben. Die hatte nämlich nicht ausgeschlossen, noch weitere Manipulationen und Verstöße gegen den Clean Air Act zu finden.

Grundsätzliche Diesel-Diskussion wieder entflammt

Schon jetzt drohen VW hohe Schadenersatzforderungen und Bußgelder in Milliardenhöhe. Das Image des Konzerns ist ohnehin beschädigt. Auch die Anleger straften VW am Montag ab. Der Kurs brach zwischenzeitlich um mehr als 20 Prozent ein – knapp 16 Milliarden Dollar an Börsenwert.

Zudem droht den Wolfsburgern im eigenen Heimatland Ungemach. Wer in Übersee manipuliert, macht das auch in Deutschland, lautet der Vorwurf. Entsprechend deutlich greift das Bundesumweltministerium den Autobauer an. "Wir stehen vor einem Fall von eklatanter Verbrauchertäuschung und Umweltschädigung", erklärte Staatssekretär Jochen Flasbarth. "Ich erwartet, dass VW lückenlos aufklärt."

Nach den Ermittlungen gegen VW stehen auch die anderen deutschen Autobauer unter Zugzwang. Zumindest Daimler und BMW haben schnell erklärt, nicht von den Ermittlungen und Vorwürfen betroffen zu sein.

Diesel-Kritikern reicht das freilich nicht. Sie fordern eine grundsätzliche Diskussion um den Kraftstoff. So kritisiert die Deutsche Umwelthilfe, dass Diesel-Autos nach wie vor extrem gesundheitsgefährdende und giftige Abgase ausstoßen – und fordert ein Fahrverbot.

Der Autoverband VDA setzt trotz des Skandals um manipulierte Abgastests in den USA uneingeschränkt auf Diesel-Fahrzeuge. „Der moderne Diesel ist für die weitere CO2-Reduzierung ein ganz wichtiger Baustein. Ohne den Diesel sind die anspruchsvollen CO2-Ziele in der EU nicht zu erreichen“, erklärte der Verband. Der Diesel sei für den Klimaschutz sehr wichtig.

Mit Material von dpa

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