„Zykluserkennung“ ist das Zauberwort, das sich Volkswagen für seine Manipulationen bei Abgastests in den USA zu Nutze machte. Eine Software reichte scheinbar aus, damit die VW-Modelle den dortigen Abgasnormen entsprachen – allerdings nur während der offiziellen Testläufe.
Denn mithilfe von Sensoren kann eine kluge Software erkennen, dass sich das Auto im Testlauf befindet und dann im richtigen Moment sozusagen auf das Sauber-Programm schalten. Dieser Technik bedienten sich die VW-Ingenieure. „Die Software sagt dem Auto in diesem Fall, fahr so, wie es den Richtlinien entspricht“, erklärt es Gerd Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher des ökologischen Verkehrsclubs VCD und Experte für Antriebstechnik und Emissionen.
Der Effekt: Die Volkswagen-Modelle blieben auf dem Prüfstand unter den gesetzlichen Grenzwerten. Im Realbetrieb auf der Straße überschritten sie diese jedoch um das 40-fache, wie die US-Umweltbehörde EPA berichtet. Ein klarer Verstoß gegen den Clean Air Act, der in den USA die Grenzwerte für Abgase regelt.
Für den Hauptschadstoff Stickoxid sind in den Vereinigten Staaten die zulässigen Obergrenzen viel niedriger als in Europa. Während in der EU nach der seit September 2015 geltenden Euro-6-Norm maximal 80 Milligramm pro Kilometer erlaubt sind, sieht die vergleichbare Norm der US-Umweltbehörde EPA ein Limit von 70 Milligramm pro Meile, also etwa 1,6 Kilometern vor. Daran wollte VW sich offenbar aber nicht halten und nutzte mithilfe der Manipulations-Software die Möglichkeit, die Grenzwerte zu reißen, bei den Tests aber trotzdem zu bestehen.
Die EPA
Die Environmental Protection Agency, kurz EPA, ist so ziemlich die letzte US-Aufsicht, mit der Unternehmen sich anlegen wollen. Die 1970 als unabhängige Umweltschutzbehörde der US-Regierung gegründete Institution gilt als knallharter Regulierer. Politiker - vor allem aus dem Lager der Republikaner - kritisieren die weitreichenden Kompetenzen der EPA immer wieder und sehen die große Macht der Aufseher als Gefahr für die Wirtschaft. Die EPA verteidigt Umweltschutzgesetze wie etwa den „Clean Water Act“ oder den „Clean Air Act“ - gegen den der deutsche Autobauer Volkswagen verstoßen haben soll - teils auch mit drastischen Mitteln wie Milliardenstrafen und strafrechtlicher Verfolgung.
Der Betrug durch Volkswagen flog auf, weil die US-Umweltbehörde dort neben den klassischen Tests auf dem Rollenprüfstand auch Untersuchungen im Realverkehr machte – die Fahrzeuge also während den Tests ganz normal auf den Highways unterwegs waren. Weil die Täuschungssoftware in dieser Situation nicht startete, um die Ergebnisse zu verfälschen, zeigten sich die realen Stickoxid-Werte und damit der extreme Unterschied zu den Prüfstandmessungen.
Die ausführlicheren Tests der Volkswagen-Modelle waren auf Betreiben der kalifornischen Luftschutzbehörde CARB (California Air Resources Board) und der EPA veranlasst worden - fernab der in Europa üblichen Rollprüfstände. Wohl nur dadurch konnten die Manipulationen aufgedeckt und öffentlich gemacht werden, wie sie in einem ausführlichen Schreiben an Volkswagen USA erläutern.
Warum Volkswagen überhaupt manipuliert
Die Motivation für die Abgas-Schummelei dürfte zum einen wohl in den Mehrausgaben liegen, die Autobauer für entsprechende Abgasreinigungssysteme investieren müssen. Die Systeme sind ausnahmslos teuer und nahezu alternativlos. Deshalb dürfte der Einsatz von Manipulationssoftware für Volkswagen in erster Linie eine Kostenersparnis sein. Denn je effektiver die Abgasreinigungssysteme im Regelverkehr sein müssen, wenn sie ständig zum Einsatz kommen, desto teurer ist ihre Ausrüstung. Wenn man aber ein solches System installiert und es dann nur in Einzelfällen zum Einsatz kommt, ist die Abnutzung geringer und die Lebensdauer länger - klarer Kostenfaktor also.
Es gäbe schließlich eine einfache Methode, um die Stickoxide in Diesel-Abgasen zu reduzieren, aber das ist eine Imagefrage, sagt Diesel-Kritiker Lottsiepen. Denn dabei geht es um die Zuführung von Harnstoff. (Um dieses fiese Wort nicht zu verwenden, umschreibt die Branche es als „Ad Blue“ – klingt schöner als Harnstoff.) Die Rechnung geht im Grunde dann ganz einfach: Harnstoff sorgt für eine Filterung der Stickoxide. Das heißt mehr Harnstoffe, weniger Stickoxide. Der muss aber regelmäßig nachgefüllt werden. Technisch ist das kein Problem und eigentlich an der Tankstelle möglich.
Stimmen zum Abgas-Skandal bei VW
Osterloh fordert im Skandal um manipulierte Abgastests in den USA ein entschiedenes Durchgreifen auch innerhalb des Konzerns. „Das muss jetzt mit aller Konsequenz und Offenheit aufgeklärt werden; und wir müssen Konsequenzen daraus ziehen“, sagte er dem Magazin „Stern“. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Osterloh, der als einer der mächtigsten Männer bei Volkswagen auch Mitglied des Aufsichtsrats ist, äußerte sich geschockt über die Vorwürfe und forderte: „Wir müssen verloren gegangenes Vertrauen bei unseren Kunden zurückgewinnen.“ Vor allem Konzernchef Martin Winterkorn stehe dabei nun in der Pflicht.
„Eine Manipulation von Emissionstests ist völlig inakzeptabel und durch nichts zu rechtfertigen“, sagte der SPD-Politiker, der als amtierender Regierungschef in Niedersachsen Mitglied im Präsidium des Aufsichtsrates von VW ist. „Es muss selbstverständlicher Anspruch des VW-Konzerns sein, die gesetzlichen Vorschriften einzuhalten.“ Er habe die Nachricht "mit Besorgnis zur Kenntnis genommen. Die gegen VW in den USA erhobenen Vorwürfe wiegen schwer“, sagte Weil. Er gehe davon aus, dass diese Vorfälle „schnell und gründlich aufgeklärt werden. Erst danach kann über mögliche Folgen entschieden werden."
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat eine rasche und volle Aufklärung der Abgas-Manipulationen des Volkswagen-Konzerns gefordert. Merkel sprach sich „angesichts der schwierigen Lage“ für „volle Transparenz“ aus und forderte: „Ich hoffe, dass möglichst schnell die Fakten auch auf den Tisch kommen.“
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat die Abgas-Manipulationen scharf kritisiert. Der Vizekanzler geht aber von keinem nachhaltigen Schaden für die deutsche Industrie insgesamt aus. „Dass das ein schlimmer Vorfall ist, ist glaube ich klar“.Natürlich gebe es Sorge, dass der exzellente Ruf der deutschen Automobilindustrie und vor allem von Volkswagen darunter leidet: „Ich bin aber sicher, dass das Unternehmen schnell und restlos den Fall aufklären und die denkbar eingetreten Schäden wieder gut machen wird.“ Der Fall sei aber nicht typisch. „Der Begriff „Made in Germany“ ist weltweit ein Qualitätsbegriff.“ Deshalb müsse schnell aufgeklärt werden: „Aber ich glaube nicht, dass das ein dauerhafter und prinzipieller Schaden für die deutsche Industrie ist.“ Gabriel sprach sich dafür aus, Messfehler oder Manipulationen vielleicht einmal insgesamt zu überprüfen.
Die Bundesregierung fordert von den Autoherstellern „belastbare Informationen“, um mögliche Manipulationen bei Abgastests auch in Deutschland prüfen zu können. Diese Überprüfung müsse durch das Kraftfahrtbundesamt vorgenommen werden, sagte ein Sprecher des Umweltministeriums. Er forderte zudem die Hersteller auf, eng mit den US-Behörden zusammenzuarbeiten, um eine „lückenlose Aufklärung“ zu ermöglichen. Der Sprecher sagte, seinem Haus lägen „keine weiteren Kenntnisse über mögliche Schummeleien deutscher Automobilproduzenten vor“.
CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt hat Volkswagen aufgefordert, Kunden "vollumfänglich aufzuklären", um dadurch Vertrauen zurückzugewinnen. Er betonte, die Regierung wolle selbst aktiv dafür sorgen, dass derartige Manipulationen in Zukunft nicht wieder vorkämen.
Volkswagen-Chef Martin Winterkorn kann nach Meinung von Autofachmann Ferdinand Dudenhöffer angesichts des Abgas-Skandals in den USA nicht im Amt bleiben. Winterkorn, in dessen Verantwortung auch die konzernweite Forschung und Entwicklung falle, habe entweder von den Manipulationen gewusst oder aber er sei ahnungslos und habe seinen Geschäftsbereich nicht im Griff, sagte der Direktor des CAR-Instituts der Universität Duisburg-Essen der „Frankfurter Rundschau“. „In beiden Fällen würde ich sagen, dass Winterkorn an der Konzernspitze nicht mehr tragbar ist.“ Der „Westdeutschen Allgemeinen“ sagte er: „Jeder Politiker könnte bei einer solchen Angelegenheit nicht in seinem Amt bleiben.“
In Europa werden die Auto-Abgaswerte nach Angaben des TÜV Süd bereits während der Produktion streng überwacht. „Da gibt es klare Regeln“, sagte ein Sprecher. Für alle Fahrzeuge, die in der EU zugelassen werden sollen, müssten die Hersteller externe Kontrollen sicherstellen. „Die Fahrzeuge werden nach dem Zufallsprinzip vom Band genommen und kontrolliert“, sagte er. Allein der TÜV Süd nehme pro Jahr mehr als tausend dieser Kontrollen vor.
BMW ist nach eigenen Angaben von dem Skandal nicht betroffen. Bei Überprüfungen eines Dieselfahrzeugs habe es keine auffälligen Abweichungen der Werte gegeben, erklärte das Unternehmen. Bei BMW habe sich die EPA nicht gemeldet, hieß es in München. Wie sich der Skandal auf den Absatz von Diesel-Fahrzeugen in den USA auswirken werde, lässt sich nach Einschätzung von BMW noch nicht beurteilen. Für BMW machen diese Fahrzeuge bislang erst einen kleinen Anteil aus: In den letzten Jahren habe der Absatz von Dieselwagen in den USA drei bis sechs Prozent des gesamten Absatzes ausgemacht - höchstens rund 20.000 Fahrzeuge jährlich.
Daimler ist nach eigenen Angaben nicht von den Ermittlungen der US-Umweltschutzbehörde EPA wegen Abgas-Manipulationen betroffen. "Es gibt nach unseren Erkenntnissen keine Untersuchungen zu Mercedes-Benz", teilte der Stuttgarter Konzern am Montag mit.
Nach Meinung von Experten des DIW wird der VW-Abgasskandal im schlimmsten Fall auch die deutsche Konjunktur belasten. "Die Autoindustrie ist technologisch eine der Schlüsselbranchen, es ist die Leitindustrie schlechthin in Deutschland", sagt Industrieexperte Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. "Wenn es zu Absatzeinbußen kommt, könnte es auch Zulieferer treffen und damit die gesamte Wirtschaft."
Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, hat von VW eine schnelle Aufklärung des Abgasskandals gefordert. "Wir kritisieren jegliche Manipulation scharf", sagte er. "Jedes Unternehmen muss sich an die geltenden Regeln halten." Er begrüße aber, dass VW die Vorwürfe von unabhängigen Fachleuten prüfen lassen wolle. "Jedes Fehlverhalten muss lückenlos aufgeklärt werden. Jetzt helfen nur Transparenz, Offenheit und Tempo."
Bislang ist das Nachfüllen in der Regel aber ein Werkstattservice, der den Autofahrern überhaupt nicht bekannt ist, weil er während der routinemäßigen Inspektionen erfolgt. „Ein höherer Verbrauch von Harnstoff macht damit aber häufigere Inspektionen notwendig“, so Lottsiepen „und genau das widerspricht dann einer gewünschten Werbebotschaft VWs: VW-Modelle brauchen nur wenige Inspektionen.“
Vermintes Gelände – Volkswagen und die USA
In China, dem wichtigsten Automarkt der Welt, stampft VW ein Werk nach dem anderen aus dem Boden. In den USA zählt Europas Branchenprimus erst eines, vieles läuft dort noch nicht rund. Eine Chronologie.
VW-Chef Martin Winterkorn spricht zur Automesse in Detroit erstmals von einem neuen SUV-Modell speziell für die USA.
Nach 31 Monaten auf steilem Expansionskurs muss Volkswagens Kernmarke für den April 2013 erstmals wieder rückläufige Verkäufe melden. Seitdem finden die Wolfsburger nicht in die Spur.
Im schwelenden Streit um einen Betriebsrat für das einzige US-Werk von Volkswagen in Chattanooga droht der mächtige Konzernbetriebsrat damit, weiteres Wachstum dort zu blockieren.
Michael Horn löst Jonathan Browning als Chef von Volkswagens US-Sparte ab. Medien spekulieren, Browning müsse wegen der Verkaufszahlen gehen. Volkswagen nennt „persönliche Gründe“.
Winterkorn kündigt das neue SUV-Modell für 2016 an. „Amerika ist der weltweit härteste Automarkt“, räumt er ein. Als mögliche Produktionsorte gehen Chattanooga und Mexiko ins Rennen.
Die VW-Mitarbeiter in Chattanooga votieren gegen den Vorschlag, sich von der US-Autogewerkschaft UAW vertreten zu lassen. Damit kann VW zumindest vorerst nicht die vom Betriebsrat geforderte Arbeitnehmervertretung nach deutschem Vorbild aufbauen.
Betriebsratschef Bernd Osterloh meldet sich zu Wort. Er könne sich „durchaus vorstellen“, dass ein weiterer Standort in den USA „nicht unbedingt wieder in den Süden gehen muss“.
VW teilt mit: Der Cross Blue geht nach Chattanooga.
VW zeigt auf der Messe in Detroit neben dem bereits bekannten großen Geländewagen Cross Blue eine Coupé-Variante. Martin Winterkorn verspricht, in den USA wieder in den Angriffsmodus zurückkehren zu wollen.
Die Verkäufe gerade der Marke VW fallen nach den beiden schlechten Jahren 2013 und 2014 in den USA noch einmal schlechter aus. Von Januar bis August verkaufte in den USA 238.100 Autos und damit 2,8 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.
Quelle: dpa, scc
Gemunkelt wird schon lange, dass Autobauer vergleichbare Software nutzen, um in Tests optimal abzuschneiden und Experten sind sich schon lange sicher, dass solche Verfahren in der Branche üblich sind. Verboten sind sie grundsätzlich erst einmal nicht – außer sie vertuschen illegale Machenschaften. Denn Werbeversprechen von beeindruckend hohen Reichweiten und geringem Spritverbrauch (natürlich im Testmodus) beeindrucken auch weniger gewiefte Autokäufer heute kaum noch. Sie sind eben hinreichend bekannt. Dass Verbrauchswerte meist höher liegen, als der Prospekt und die Konzerntests behaupten, ist kein Geheimnis. Die Manipulation von Volkswagen in den USA betrifft aber ein anderes Metier. Es geht nicht um verschönerte Verbrauchswerte für den Verkaufsprospekt. Der Autobauer verstößt damit gegen Emissionsgesetze.
Den Verkauf von Diesel-Wagen jedenfalls hat VW in den USA vorerst komplett gestoppt. Die Schlüssel von aktuellen Jetta, Beetle, Passat, Golf und Audi A3 wandern also nicht mehr über den Händler-Tresen. VW will bis auf weiteres selbst keine gebrauchten Fahrzeuge der fraglichen Modellen mehr verkaufen. Stattdessen wartet der Konzern darauf, welche weiteren Ergebnisse die Untersuchungen der Umweltschutzbehörde EPA ergeben. Die hatte nämlich nicht ausgeschlossen, noch weitere Manipulationen und Verstöße gegen den Clean Air Act zu finden.
Grundsätzliche Diesel-Diskussion wieder entflammt
Zudem droht den Wolfsburgern im eigenen Heimatland Ungemach. Wer in Übersee manipuliert, macht das auch in Deutschland, lautet der Vorwurf. Entsprechend deutlich greift das Bundesumweltministerium den Autobauer an. "Wir stehen vor einem Fall von eklatanter Verbrauchertäuschung und Umweltschädigung", erklärte Staatssekretär Jochen Flasbarth. "Ich erwartet, dass VW lückenlos aufklärt."
Diesel-Kritikern reicht das freilich nicht. Sie fordern eine grundsätzliche Diskussion um den Kraftstoff. So kritisiert die Deutsche Umwelthilfe, dass Diesel-Autos nach wie vor extrem gesundheitsgefährdende und giftige Abgase ausstoßen – und fordert ein Fahrverbot.
Der Autoverband VDA setzt trotz des Skandals um manipulierte Abgastests in den USA uneingeschränkt auf Diesel-Fahrzeuge. „Der moderne Diesel ist für die weitere CO2-Reduzierung ein ganz wichtiger Baustein. Ohne den Diesel sind die anspruchsvollen CO2-Ziele in der EU nicht zu erreichen“, erklärte der Verband. Der Diesel sei für den Klimaschutz sehr wichtig.
Mit Material von dpa