Naturphilosoph Bernd-Olaf Küppers "Moral ist Gift für die Gesellschaft"

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Und wenn die Mehrheit gar nicht in einer Wissensgesellschaft leben will?Es wird ihr gar nichts anderes übrig bleiben. Wir leben in einer Welt des Wettbewerbs, und wir bekommen täglich zu hören, dass das Wissen unser einziger Rohstoff sei. Die Wirtschaft muss, um konkurrenzfähig zu bleiben, in der Lage sein, mit den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung konstruktiv umzugehen und sie gegebenenfalls in neue Produkte und Technologien umzusetzen. Andernfalls droht der wirtschaftliche Niedergang.

Übertreiben Sie nicht?Eins dürfen wir nicht vergessen: dass wir auch mal Exportweltmeister im Wissen waren. Von den großen Entdeckungen deutscher Naturforscher und Ingenieure zehren wir noch heute. Sie waren und sind die Grundlage unseres wirtschaftlichen Erfolgs. Nur dank Wissen und Innovation stehen wir im internationalen Wettbewerb immer noch so gut da.

Die Theologen und Gläubigen gegen sich aufzubringen reicht Ihnen offenbar nicht. Auch der Artenschutz – für viele Menschen ein moralischer Wert – scheint Ihnen nicht zu passen. Sie fordern, der Mensch habe im Mittelpunkt seines eigenen Interesses zu stehen.Es gehört zur Natur der Lebewesen, sich eigennützig zu verhalten.

In einem zentralen Punkt unterscheiden wir uns doch aber: Tiere entziehen dem Menschen nicht die Lebensgrundlage.Die Natur ist keine Wertegemeinschaft, sondern ein gigantisches Räuber-Beute-System – auch der Mensch leidet gelegentlich unter anderen Lebewesen. Denken Sie nur an Bakterien und Viren. Allerdings können wir uns dank der Wissenschaft gegen deren Angriffe heute weitgehend wehren. Unser Umgang mit der Natur unterliegt auch nicht reiner Willkür, sondern wir greifen in die Natur ein, um uns zu ernähren oder unseren Lebensraum zu erweitern. Die Wissenschaft wird uns sicher dabei helfen können, die notwendigen Eingriffe in die Natur möglichst schonend zu gestalten. Aber die Vorstellung, die Natur sei so etwas wie ein Museum der Schöpfung, in dem wir nichts verändern dürfen, ist eine Illusion. Sie ist völlig irrational und unwissenschaftlich.

Also weg mit dem Artenschutz?Nein, aber wir stecken letztlich in einem unvermeidlichen Dilemma. Einerseits müssen wir, wie alle anderen Lebewesen auch, zwangsläufig in die Natur eingreifen, andererseits stören wir damit das ökologische Gleichgewicht...

...die Basis unserer Existenz...Aber das ist ein völlig normaler Vorgang. Das ökologische Gleichgewicht war noch nie ein statisches Gleichgewicht, sondern stets ein dynamisches Gleichgewicht, in dem sich Zerstörung und Erneuerung die Waage halten.

Und die Menschen, die dort leben, wo der ökologische Wandel das Leben ungemütlich macht, die haben dann Pech gehabt?Mit der Emotionalisierung der Probleme kommen wir nicht weiter. Vielmehr müssen wir uns der Frage zuwenden, wie wir die menschlichen Eingriffe in die Natur so gestalten, dass das dynamische Gleichgewicht hinreichend stabil bleibt. Aber dieses schwierige Problem lässt sich nicht mit dem Schöpfungsglauben oder einer irgendwie gearteten Naturromantik lösen, sondern nur mit intensiver wissenschaftlicher Grundlagenforschung.

Sie sind ein Optimist.Ich bin lieber ein Optimist, der an den Fortschritt glaubt, als ein Pessimist, der immerzu befürchtet, der Optimist könne recht behalten. Aber im Ernst: Auch wir werden nur eine flüchtige Episode im fortwährenden Weltgeschehen bleiben. Je früher wir uns damit abfinden, umso ehrlicher werden wir unsere Zukunft gestalten können.

Auf dem Weg dahin haken wir schnell noch ein paar Stichpunkte ab. Sind Sie dafür oder dagegen: Kernenergie?Ich habe nichts gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie. Gleichwohl sollten wir so lange ein Moratorium einhalten, bis die Probleme hinsichtlich der Endlagerung des radioaktiven Mülls geklärt sind.

Nächstes Thema: Embryonenforschung?Ist für den medizinischen Fortschritt unverzichtbar.

Stammzellforschung?Auch.

Tierversuche?Wenn sie nicht gerade der Kosmetikindustrie dienen, sondern der medizinischen Forschung, dann bin ich dafür.

Tierklone?Damit habe ich kein Problem.

Klonen von Menschen?Ich halte es da mit dem Molekularbiologen Gunther Stent. Der hat einmal geschrieben, er könne sich gut vorstellen, Marilyn Monroe zur Nachbarin zu haben. Aber der Gedanke, ihr auf Schritt und Tritt in der Stadt zu begegnen, würde bei ihm wahre Albträume auslösen.

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