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Das Bild sollte sich ändern. Nachdem die Probanden die beiden Shows gesehen hatten, erinnerten sie sich deutlich besser an die Sponsorlogos als an die Nicht-Sponsorlogos. Aber dann kamen wir zum seltsamsten und möglicherweise wichtigsten Ergebnis von allen. Die SST-Resultate zeigten, dass Coca-Cola besser im Gedächtnis blieb als Cingular Wireless und erheblich besser als Ford. Aber Ford schnitt nicht einfach nur schlecht ab. Die nach Betrachten der Shows durchgeführten Tests zeigten, dass die Teilnehmer sich nun weniger an die Ford-Werbung erinnerten als ganz zu Anfang, als sie ins Studio kamen. So vertreibt man potenzielle Kunden! Das Anschauen der mit Coke-Werbung übersättigten Show hatte tatsächlich die Erinnerung der Probanden an die Ford-Werbung unterdrückt. So wie es aussah, investierte der Automobilhersteller als Sponsor jährlich 26 Millionen US-Dollar – und verlor dabei Marktanteile.

Wieso war die Strategie von Coke erfolgreich, die von Ford dagegen nicht? Um die Ergebnisse zu verstehen, muss man berücksichtigen, wie die Werbung in das Programm integriert war. Coke füllte 60 Prozent der Showzeit mit geschickt platzierten Bechern, Möbeln, die an Coke-Flaschen erinnerten, und Wänden in Coca-Cola-Rot aus. Ford dagegen machte nur herkömmliche Werbung in den Pausen und tauchte in der eigentlichen Show nicht auf.

Produkte, die fester Bestandteil eines Programminhalts sind – wie Coke – bleiben nicht nur besser im Gedächtnis haften, sie verringern auch unsere Fähigkeit, uns an andere Marken zu erinnern.

Aber durch welche Vorgänge in unserem Gehirn bleibt ein Produkt so viel besser im Gedächtnis und ist so viel ansprechender als andere? Im Jahr 1992 untersuchten der italienische Wissenschaftler Professor Giacomo Rizzolatti und sein Forscherteam in Parma die Gehirne einer bestimmten Affenart – der Makaken –, um herauszufinden, wie das Gehirn das motorische Verhalten steuert. Sie konzentrierten sich dabei auf eine Hirnregion, die Neurowissenschaftler als F5 oder prämotorische Rinde bezeichnen und die bei bestimmten Handlungen aktiv wird, beispielsweise beim Aufheben einer Nuss. Interessanterweise stellten die Wissenschaftler fest, dass sie nicht nur ein Aufleuchten der prämotorischen Neuronen beobachten konnten, wenn die Affen tatsächlich nach der Nuss griffen, sondern auch, wenn die Tiere sahen, dass andere Affen nach einer Nuss griffen – eine echte Überraschung für Rizzolattis Team, denn die Neuronen im prämotorischen Kortex reagieren üblicherweise nicht auf eine visuelle Stimulierung.

An einem besonders heißen Sommernachmittag beobachteten Rizzolatti und seine Leute etwas sehr Merkwürdiges. Als einer von Rizzolattis Studenten mit einer Tüte Eiscreme ins Labor kam, starrte ihn ein Makake geradezu sehnsüchtig an. Als der Student das Eis zum Mund führte und daran leckte, wurde der Monitor, der mit den Elektroden verbunden war, welche die Aktivitäten in der prämotorischen Rinde des Affen maßen, aktiv: biep, biep, biep.

Der Makake hatte überhaupt nichts getan. Er hatte weder seinen Arm bewegt noch Eiscreme geschleckt, er hielt nicht einmal irgendetwas in der Hand. Allein aufgrund der Beobachtung, dass der Student ein Eis zum Mund führte, hatte das Gehirn des Affen geistig die gleiche Aktivität imitiert.

Dieses bemerkenswerte Phänomen sollte Rizzolatti als „Spiegelneuronen bei der Arbeit“ definieren – Neuronen, die aktiv werden, wenn eine Handlung ausgeführt wird oder wenn die gleiche Handlung beobachtet wird. Die Spiegelneuronen der Affen wurden aber nicht bei jeder Bewegung aktiv, die ein Student oder ein anderer Affe machte. Rizzolattis Team konnte nachweisen, dass die Spiegelneuronen der Makaken nur auf „gezielte Bewegungen“ reagierten – das heißt auf Aktivitäten, die sich auf ein Objekt bezogen, sei es das Aufheben einer Nuss oder das Führen der Eiscremetüte zum Mund, aber nicht auf andere Bewegungen wie das Durchqueren eines Raumes oder das Verschränken von Armen.

Funktioniert das menschliche Gehirn auf die gleiche Weise? Gehirnscans derjenigen Regionen, in denen man Spiegelneuronen vermutet, deuten darauf hin.

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