
Für Ken Melamed ist es der vorläufige Höhepunkt seiner Karriere. Der klein gewachsene Mann mit dem schütteren rotblonden Haar ist Bürgermeister der kanadischen 10 000--Seelen-Gemeinde Whistler. Und in wenigen Tagen werden hier, zwischen den meterhoch mit Schnee bedeckten Bergriesen der Coast Mountains, zwei Stunden Autofahrt nördlich von Vancouver, die 21. Olympischen Winterspiele ausgetragen. Zehntausende Besucher werden erwartet. Fernsehkameras aus aller Welt werden die mit viel Holz, Erkern und Türmchen gebauten pittoresken Häuser abfilmen. Melameds Städtchen wird im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit stehen.
Und doch seien die Spiele nur eine Durchgangsstation für ein weit größeres Ziel, betont Melamed, der vor mehr als 20 Jahren in Whistler die erste Umweltgruppe gegründet hat. „Wir wollen die erste Gemeinde weltweit sein, die ihre natürlichen Ressourcen nicht stärker nutzt, als sie sich regenerieren können.“ Schon 2020 soll es so weit sein. Dafür hat die Gemeinde ein 607 Maßnahmen umfassendes Programm aufgestellt.
Bürgermeister Melamed und sein Plan stehen für eine Bewegung, die ganz Kanada erfasst hat. Nach Jahren des Raubbaus an der Natur suchen Politiker und Unternehmer nach einer Formel, die beides ermöglicht: Wohlstand und Ökologie. Gelingt der Umbau, könnte ihr Engagement zum globalen Modell für eine nachhaltige Wirtschaft werden. Die Winterspiele sollen dabei aller Welt zeigen, dass Kanada es ernst meint mit seinem Wandel vom Umweltfrevler zum ökologischen Musterknaben und es sich nicht um eine bloße PR-Schau handelt.
Kanada strebt Führung der Umwelttechnologie an
Die kanadische Bundesregierung fördert den grünen Aufbruch mit umgerechnet zwei Milliarden Euro. Die Gelder fließen vor allem in die Entwicklung erneuerbarer Energien, von Biokraftstoffen und in die Elektromobilität. Bei Brennstoffzellentechnik und der unterirdischen Speicherung des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) strebt Kanada sogar die weltweite Technologieführerschaft an. Und die Chancen dafür sind gut.
Überall auf der Welt stützen Regierungen die Wirtschaft mit grünen Konjunkturpaketen. Doch in kaum einem Land wird das Thema derzeit so beherzt angegangen wie in Kanada.
Höchste Zeit. Lange hatten sich nur wenige Kanadier an der Ausplünderung der Umwelt gestört – sei es beim Fischfang, der Ölförderung oder mit der -Vorliebe für PS-starke Spritfresser. Das nach Russland zweitgrößte Land der Erde hatte Natur im Überfluss, so die allgemeine Überzeugung. Wozu dann Umweltschutz?
Mit dieser Ignoranz avancierten die Kanadier bis 2007 mit einem Pro-Kopf-Ausstoß von 17,4 Tonnen zum drittgrößten CO2-Sünder weltweit. Neuere Zahlen liegen nicht vor. Während der Nachbar USA, Klimaverschmutzer Nummer eins, es schaffte, die jährlichen Emissionen gegenüber 1990 um knapp zwei Prozent zu senken, pustete jeder Kanadier noch einmal elf Prozent CO2 mehr in die Atmosphäre.
Massenhaftes Waldsterben
Doch inzwischen bedrohen der Raubbau an der Natur und der Klimawandel zunehmend Kanadas Wirtschaft. In der westlichen Provinz British Columbia etwa haben ausbleibende Frostperioden die explosionsartige Vermehrung einer Art Borkenkäfer begünstigt. Die Folge: massenhaftes Waldsterben. Im Sommer fressen sich dann verheerende Waldbrände durch die ausgetrockneten Gebirgsketten. Häuser, Ausflugsgebiete und landwirtschaftliche Flächen werden zerstört.
Dieser Winter ist so mild, dass Schneemangel die Snowboard- und Freestyle-Wettbewerbe auf Vancouvers Hausberg Vypress Mountain gefährdet. „Das Problem ist real“, sagt Barry Penner, Umweltminister in British Columbia. „Wir mussten handeln.“
Das ist inzwischen allen Provinzpolitikern des Landes klar. British Columbia will die jährlichen CO2-Emissionen bis 2020 gegenüber 1990 um 14 Prozent drücken, Ontario hat sich für diesen Zeitraum 15 Prozent zum Ziel gesetzt, das französisch-sprachige Quebec sogar 20 Prozent.