Psychologie Rache ist süß – aber nur kurzfristig

Warum fühlt sich Rache zunächst so gut an? Der Frage ist der Marburger Psychologie-Professor Mario Gollwitzer in einer Reihe von Studien nachgegangen. Dabei zeigte sich, dass das Rächen den meisten Probanden tatsächlich eine Art innere Genugtuung brachte.

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Rache – das Gefühl ist so alt wie die Menschheit und lieferte bereits zahlreiche Vorlagen und Plots für gesellschaftliche Untergänge und Shakespeare’sche Tragödien. Sei es Hamlet, der den Tod seines Vaters zu sühnen versucht; Krimhild im Niebelungenlied, die die Rache an den Mördern ihres Gatten Siegfried gleich über mehrere Jahre plant. Oder Alexandre Dumas’ "Graf von Monte Christo", der sich die Vergeltung seines Unrechts zur kostspieligen Lebensaufgabe macht, nachdem ihn das Glück aus dem Gefängnis rettete. "Menschen sind im selben Maß dankbar, wie sie rachsüchtig sind", erkannte schon der englische Dichter Alexander Pope. Der Kultregisseur Quentin Tarantino indes verweist in seinem zweiteiligen Vendetta-Epos "Kill Bill" auf ein altes klingonisches Sprichwort, das ursprünglich aus Mario Puzos Roman „Der Pate“ stammt und sagt: "Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird."

Und wer – wenn er ehrlich ist – kennt nicht die Rachephantasien, wenn man sich im Büro von einem anderen ungerecht behandelt, betrogen oder hintergangen fühlt: Dann dem intriganten Kollegen heimlich ein ultrastarkes Abführmittel in den Kaffee kippen – das wär’s doch! Oder den tyrannischen Chef einfach mal bei der Presse verpfeifen, für seine Spesenbetrügereien und Bilanzierungstricks – herrlich!

Die meisten von uns haben nicht nur vergleichbare Rachegelüste – sie sind auch davon überzeugt, dass es ihnen hernach deutlich besser geht, wenn sie es dem Fiesling so richtig heimgezahlt haben. Sühne ist eben eine Mischung aus Selbsthilfe und Schadenausgleich und deshalb auch sprichwörtlich süß.

Aber warum ist das so? Warum fühlt sich Rache zunächst so gut an? Der Frage ist der Marburger Psychologie-Professor Mario Gollwitzer in einer Reihe von Studien nachgegangen. Dabei zeigte sich, dass das Rächen den meisten Probanden tatsächlich eine Art innere Genugtuung brachte – vor allem weil sie so eine zuvor als ungleichgewichtig empfundene Beziehung oberflächlich wieder ins Lot brachten. Entscheidend für die emotionale Befriedigung war aber auch, dass der zuvor unfair Handelnde seinen Fehler erkannte und die Strafe verstand.

Schon 2004 fanden Wissenschaftler um den Verhaltensökonomen Ernst Fehr von der Universität Zürich heraus, dass bei derlei Rachephantasien unser Belohnungszentrum im Gehirn anspringt – so als würden wir ein gutes Essen essen oder den Lotto-Jackpot knacken. Den Balsam der Vergeltung genießen wir auch dann, wenn wir nach erlittener Ungerechtigkeit wieder auf die Beine kommen und besser dastehen als zuvor. "Die beste Rache ist massiver Erfolg", sinnierte einst Frank Sinatra. Denn in der Vorstellung ist der Plan, uns eins auszuwischen, damit nachträglich gescheitert.

Dennoch wohnt der Rache meist nur eine kurzweilige Befriedigung inne. Als etwa der Psychologe Kevin Carlsmith von der Colgate Universität in Hamilton 2008 die Züricher Experimente in einigen Variationen wiederholte, verglich er die Gefühlslage seiner rachsüchtigen Teilnehmer auf einer Skala von 1 (unbefriedigt) bis 7 (extrem befriedigt). Dabei zeigte sich: Die Rächer waren hinterher im Schnitt 1,5 Punkte unzufriedener als jene Kontrollgruppe, denen nie die Chance zu einer Vendetta gegeben wurde. Der Grund: Selbst nachdem sich die Rächer vermeintlich Genugtuung verschafft hatten, dachten sie noch immer über ihren Peiniger nach, ärgerten sich über ihn und zweifelten daran, ob sie ihre Rechnung mit ihm auch wirklich beglichen hatten.

Bestätigt wird das auch durch ein weiteres, ungewöhliches Experiment, an dem 600 College-Studenten an der Ohio State Universität in Columbus teilnahmen. Sie schrieben zunächst Essays, die dann allerdings besonders abfällig, unfair und uncharmant benotet wurden, Motto: "Das ist der mieseste Text, den ich jemals gelesen habe!" Derart provoziert, konnten sich die Teilnehmer danach abreagieren: Die einen durften auf einen Boxsack eindreschen, während sie auf ein übergroßes Foto ihres Notengebers blickten; eine zweite Gruppe sah das Bild von irgendjemandem; die Kontrollgruppe indes durfte gar nichts machen. Anschließend sollten alle einen Fragebogen ausfüllen, um ihre Wut zu messen.

Auch hier dasselbe Bild: Wer den Boxsack verprügelte und dabei seinen Peiniger erblickte, war hinterher noch viel verärgerter, stellte Studienleiter und Psychologe Brad Bushman fest. Man könnte auch sagen: So süß die Rache zunächst auch schmeckt, so bitter und lange wirkt ihr Nachgeschmack.

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