Robert Spaemann im Interview „Fantastische Annahmen“

Der Philosoph Robert Spaemann zu Kreationismus, Intelligent Design und zum Disput zwischen Evolutionsbiologen und Christen.

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WirtschaftsWoche: Herr Professor Spaemann, gerade wurde in den USA ein Kreationismus-Museum eröffnet, das den Menschen erklärt, die Erde sei vor 6000 Jahren von Gott geschaffen worden. Wie kann das sein – knapp 150 Jahre nach Darwins Veröffentlichung über „Die Entstehung der Arten“. Spinnen die? Spaemann: Kreationismus, darunter versteht man in Amerika heute eine fundamentalistische Richtung, die glaubt, die Bibel, auch die frühen biblischen Texte über die Schöpfung der Welt wörtlich nehmen zu müssen. Also als historische Beschreibung dessen, was statt gefunden hat. Dann kommt man darauf, dass die Welt in sechs Tagen geschaffen wurde und dieses vor etwa 6000 Jahren - das hat man von den orthodoxen Juden übernommen, die sehen das auch so. Das widerspricht aber dem, was von Anfang an die Christen bei der Lektüre dieser Texte gedacht haben. Schon bei Augustinus von Hippo kann man lesen, dass diese sechs Tage nicht sechs Tage in unserem Sinn sein können, weil nämlich sich diese Tage berechnen nach dem Umlauf der Erde um die Sonne, beziehungsweise ihrer Drehung um sich selbst. Die Sonne wird aber erst am dritten Tag erschaffen. Diese frühen Geschichten, sind Mythen, die allerdings im Unterschied zu anderen Mythen in der dortigen Region ganz bestimmte, sehr weit reichende Aussagen enthalten, zum Beispiel die Aussage, dass sich die Welt einem Schöpfungswillen verdankt, dass sie hervorgeht aus einem solchen Willen, einem vernünftigen Willen. Sie beschreiben also das Verhältnis von Welt und Gott, Mensch und Gott. Sie bedürfen einer Hermeneutik. Das wurde schon ganz früh so gesehen im Christentum? Ja, Augustinus lebte im 4. Jahrhundert nach Christus. Aber das ist nicht Allgemeingut gewesen. Im Mittelalter hat man vielfach diese Geschichten wieder wörtlich genommen. Aber das war nie obligatorisch. Anders die späteren Texte der Bibel, die sich beziehen auf historische Ereignisse. Insbesondere, wenn man zum neuen Testament kommt. Aber wir kommen ab vom Thema. Zurück zur Schöpfungsgeschichte ... Kreationismus – wissen Sie, man kann für alles argumentieren und der Kreationismus ist auch nicht dumm. Wenn Sie hinreichend fantastische Annahmen zu machen bereit sind, dann können Sie ihn gegen Einwände immunisieren. Sie können angesichts der Fossilien sagen, dass Gott die Welt mit eingebauten Fossilien erschaffen hat. Das Gegenteil können sie nicht beweisen. Sie können auch bei einem Film – ich will jetzt mal probeweise etwas zur Verteidigung sagen für diese Sicht der Dinge, obwohl das nicht meine ist – Sie können bei einem Film eine Vorgeschichte der Filmereignisse dazu erfinden. Im Film tritt ein Mensch auf, der erzählt von seiner Mutter und seiner Großmutter. Sie existieren also in der Filmgeschichte, aber nur als imaginäre Vorgeschichte der gezeigten Ereignisse. Die Filmgeschichte fängt an in dem Augenblick, wo der Film anfängt. So kann man auch sagen: Wenn ich bereit bin anzunehmen, dass Gott die Welt erschaffen hat mitsamt einer fiktiven Vorgeschichte, die die Physiker und die Biologen und die Paläontologen und die Genetiker rekonstruieren – dass das in Wirklichkeit alles erst vor 6000 Jahren angefangen hat. Dagegen gibt es keinen Beweis, verstehen Sie? Nur, es gibt auch keinen hinreichenden Grund, dies anzunehmen. Und deshalb finde ich, das ist eine Ansicht, die muss man sich selbst überlassen. Leibniz sagt einmal, jeder Beweis ist ein argumentum ad hominem, das heißt ein Beweis, der etwas voraussetzt bei dem, dem ich etwas beweisen will. Wenn ich nichts voraus setzen kann, kann ich auch nichts beweisen. Die Frage ist also, was wollen wir voraus setzen. So. Jetzt aber zum Intelligent Design, das ist eine vollkommen andere Geschichte. Das ist eine intellektuelle Bewegung in Amerika, die nimmt die Evolutionsgeschichte, so wie sie heute von der Wissenschaft erzählt wird, und sie versucht nur eine andere Erklärung dieses Prozesses. Sie versucht zu zeigen, dass die Darwin´schen Mechanismen von richtungsloser Mutation und nachträglicher Selektion des Überlebensdienlichen nicht ausreichen, um uns wirklich verständlich zu machen, was sich in der Evolutionsgeschichte abgespielt hat – bis hin zum Menschen. Das ist eine wissenschaftliche Diskussion bei der beide Seiten Argumente für sich geltend machen wo es aber nicht notwendig ist, so phantastische Annahmen zu machen wie die Kreationisten.

Und was denken Sie darüber? Meiner Meinung nach finden in der Evolution Sprünge statt – übrigens sagen dass auch die Biologen, Konrad Lorenz spricht in diesem Zusammenhang von Fulgurationen, das heißt, es entsteht plötzlich etwas Neues. Und zwar nicht eine Variante des bisherigen. Sondern etwas fundamental und kategorial Neues. Nehmen Sie zum Beispiel, das Phänomen der Zielgerichtetheit. Ich meine jetzt nicht Zielgerichtetheit des ganzen Evolutionsprozesses, sondern Zielgerichtetheit beim Menschen und bei höheren Säugetieren. Wir haben Absichten, wir benutzen Mittel, um etwas zu erreichen. So geht der Hund zum Fressnapf, weil er offensichtlich Hunger hat. Und was es heißt, Hunger zu haben, das weiß ich von mir selbst. Wenn man nun davon ausgeht, dass der Evolutionsprozess eine Kategorie wie Zielgerichtetheit überhaupt nicht kennt, sondern dass es sich in Wirklichkeit immer um Kausalprozesse handelt. Aber wie kommt es auf einmal zu einer völlig neuen Sache wie Zielgerichtetheit? Man kann zeigen, dass das Auftreten von Zielgerichtetheit in der Evolution Überlebensvorteile bietet. Man kann also die Selektion eines Phänomens wie das der Zielstrebigkeit leicht verständlich machen. Da liegt nicht das Problem. Wo denn? Das Problem liegt in der Mutation. Die Evolutionsbiologen befassen sich mindestens zu 95 Prozent nur mit der Selektion. Aber was ist mit der angeblich zufälligen Mutation? Irgendwann und irgendwo passiert irgendwas. Das ist eigentlich alles. Das heißt dann “Emergenz“ oder „Fulguration“. Und was die Wissenschaftler dann eigentlich interessiert, ist – wieso überlebt das? Welche Selektionsvorteile bietet das? Aber damit erklären sie nicht das Auftreten von etwas vollkommen neuem. Dass plötzlich in einer komplexen Struktur von Materieteilchen so etwas wie ein Trieb auftaucht, Schmerz auftaucht, Wohlbefinden auftaucht, dafür gibt es auch nicht den Hauch einer Erklärung. Und das geht dann so weiter: Das Auftauchen von Bewusstsein, von Selbstbewusstsein, schließlich das Auftauchen von moralischen Phänomenen, die nun überhaupt nichts mehr mit Überlebensdienlichkeit zu tun haben. Man kann zwar zeigen, dass kooperatives Verhalten prämiert wird in der Evolution... ... so wie der Neodarwinist Richard Dawkins das ja auch tut ... Ja, aber, das erklärt noch nicht, wieso wir uns engagieren für Wesen, die mit uns überhaupt nichts zu tun haben. Warum ich daran interessiert bin, dass Schmetterlinge im brasilianischen Urwald nicht ausgerottet werden. Das ist für mein Überleben, auch für das Überleben der auch menschlichen Gattung völlig gleichgültig. Es ist uns aber nicht gleichgültig. Wo kommt das her? Was ist das? Mitleid mag es auch bei nichtmenschlichen Lebewesen geben. Aber der Mensch verhält sich zu seinem Mitleid. Er kann helfen oder er kann sich den Leidenden vom Halse schaffen. Da fällt mir das Gedicht von Gottfried Benn ein, das ich ja auch schon anderweitig zitiert habe, das Gedicht „Ich habe Menschen gefunden“. Das schließt damit – und Benn war ja ein Agnostiker (Anmerkung: Betrachtet die Existenz eines höheren Wesens als ungeklärt, grundsätzlich nicht zu klären oder hält sie für irrelevant): „Ich habe mich oft gefragt und keine Antwort gefunden / woher das Sanfte und das Gute kommt, / weiß es auch jetzt noch nicht / und muß nun gehn.“ Woher das vollkommen Neue kommt, das ist die offene Frage. Die einen sagen, das ist eben alles Zufallsprodukt, wir dürfen nicht annehmen, dass ein Schöpfer hier den so genannten Zufall steuert in der Richtung der Entstehung sinnvoller Gebilde. In der Entstehung von Subjektivität, von Innerlichkeit. Die Wissenschaft hat es nur mit Objekten zu tun, mit der objektiven Wirklichkeit. Innerlichkeit ist etwas, das sprengt die Dimension der Wissenschaft. Sie kann zwar versuchen zu zeigen, wie ein Gehirn beschaffen sein muss, damit es leistet, was es leistet. Aber dazu setzten wir schon voraus, dass wir wissen, wozu ein Gehirn da ist. Man muss wirklich sagen, dass hier ein dogmatischer Kampf geführt wird. Der eigentlich mit Wissenschaft nichts zu tun hat. Ich denke hier beispielsweise an Daniel Dennett. Der ist ja einer der bekannten naturalistischen Bewusstseinstheoretiker. Der schreibt, ich kann das jetzt nicht wörtlich zitieren, in dem bekannten Buch über das menschliche Bewusstsein: Ich will gleich vorab bekennen, dass ich jede dualistische Position, die also noch etwas voraus setzt, das nicht in diesem Mechanismus von Mutation und Selektion erklärbar ist, von vorn herein ohne Diskussion ablehnen werde, so gut auch die Argumente sein möchten, die dafür vorgebracht werden. Er bekennt sich ausdrücklich zu einem ganz konsequent dogmatischen Naturalismus.

Dogmatismus, der Ihrer Meinung nach mit Wissenschaft nichts zu tun hat? Ja. Er sagt jede Erklärung, die aus diesem wissenschaftlichen Schema heraustritt werde ich mir gar nicht anschauen und auch die Argumente gar nicht anhören. Das ist ehrlich, aber die Frage ist, ob es vernünftig ist. Ich habe mal in dem Zusammenhang ein Bild gebraucht um verständlich zu machen, worum es sich handelt. Man wusste seit langem, dass Johann Sebastian Bach kleine, verschlüsselte Texte in seine Musik eingearbeitet hat. Bekannt ist ja die Fuge BACH. Die Musikwissenschaftlerin Helga Thoene hat nun heraus gefunden, dass die Violin-Sonate in g-Moll von Bach einen erstaunlichen verschlüsselten Text enthält. Wenn man ein bestimmtes Schema zu Grunde legt, das man zu Bachs Zeiten Geomantia nannte, das war so ein kabbalistische Verfahren, Buchstaben in Zahlen zu verwandeln, das kann ich hier jetzt nicht ausführlich beschreiben. Aber wenn jeder erste Ton mit allen anderen Tönen der jeweils ersten Takte verknüpft wird und den Noten bestimmte Buchstabenwerte zugeteilt werden, dann auf einmal springt mir der Text entgegen: Ex Deo nascimur, in Christo morimur, per spiritum sanctum reviviscimus. Aus Gott werden wir geboren, in Christus sterben wir, durch den heiligen Geist werden wir wieder erweckt. Dieser ganze lange Text? Dieser lange Text kommt heraus bei dieser wunderschönen Sonate, bei der man Jahrhunderte von dem Text gar nichts wusste und die auch für sich genommen sehr schön ist. Man muss das nicht wissen, um die Sonate schätzen zu können. Aber die Genialität von Bach besteht darin, dass eine Musik, die nach ausschließlich musikalischen Prinzipien beurteilt eine wunderbare Musik ist, noch eine vollkommen andere Codierung enthält. Ich erzähle das, um es als Metapher zu benutzen. Sie können den Evolutionsprozess beschreiben, wenn sie sich dazu entschließen, mit rein naturalistischen Mitteln. Aber der Text, der dann auf einmal herauskommt, wenn Sie einen Menschen sehen und wenn sie eine schöne Handlung sehen, wenn Sie ein schönes Bild sehen, der kann nur gelesen werden, wenn sie einen ganz anderen Code benutzen. Und wenn ein Musikwissenschaftler sagen würde, ja, das ist Zufall, diese Musik erklärt sich vollkommen aus sich. Und da kommt dann merkwürdigerweise dann dieser wunderbare lange Text heraus – das ist übrigens ein Rosenkreuzer-Text – ja, das ist Zufall. Es genügt, wir können diese Musik rein musikalisch interpretieren, ohne irgendwie an einen Text zu denken. Ja, da würden wir uns doch an den Kopf fassen. Und würden sagen, das stellt an unsere Leichtgläubigkeit einen zu hohen Anspruch. Es ist ähnlich fantastisch wie der Kreationismus. Zu sagen, der Text wäre zufällig da drin verschlüsselt, ohne jemand, der ihn verschlüsselt hat. Und so meine ich, ist es auch in der Evolution. Sie können sich beschränken auf eine naturalistische Wissenschaft. Aber dann können Sie nicht hoffen, hinterher den Text erklären zu können, der dabei heraus kommt. Und sie können auch die Gesetze der Mathematik nicht ableiten aus dem Gehirnzustand des Mathematikers. Wenn Sie sagen wollten: ich möchte jetzt verstehen, worum es sich bei dem Satz des Pythagoras handelt, und dazu muss ich das Gehirn des Mathematikers untersuchen, dann ist das natürlich Quatsch. Was Sie gerade geschildert haben, das eröffnet doch eigentlich allen Menschen alle Möglichkeiten – den Naturalisten, die sagen, diese zweite Ebene interessiert uns gar nicht. Aber auch all jenen Menschen, die gläubig sind und die diese zweite Ebene erkennen möchten. Aber man muss es ja nicht als Wissenschaft verkaufen, so wie die Intelligent-Design-Leute es tun. Ich habe Sie in Ihren Referaten und Büchern bisher immer so verstanden, dass die Trennung zwischen beidem doch sehr wichtig ist, oder? Und genau diese Trennung ist bei Kreationisten und bei ID-Verfechtern verwischt, oder? Bei den Kreationisten ist es natürlich so. Und bei den Intelligent-Design-Leuten? Also ich glaube, dass die einen Philosophen bräuchten, der mit ihnen die Sache noch mal durchgeht. Die sind da nicht ganz klar. Ich würde schon sagen, um noch mal auf mein Musikbeispiel zu kommen: der Wissenschaftler, der behauptet, dass er wirklich den Text, der da zustande kommt mit seinen Mitteln erklären kann, dem müsste man sagen, nein das kannst du nicht. Der Musikwissenschaftler kann erklären, wie die Musik zustande gekommen ist, aber nur dann, wenn er darauf verzichtet, diesen Text in Betracht zu ziehen. Nun ist es aber so, wir haben den Text ja alle vor Augen, wir können ihn nicht leugnen: Wir haben eine ganze Welt von Sinn, von Kultur, von Geist ja vor uns, mit der haben wir ja ständig zu tun. Wenn nun die naturalistische Wissenschaft den Anspruch machen würde – und den macht sie oft – uns dieses ganze Gebilde tatsächlich zu erklären, dann muss man den Anspruch zurück weisen. Denn sie haben nichts zur Hand als solche dunklen Ausdrücke wie Emergenz und Fulguration. Das heißt, aus unerfindlichen Gründen entspringt irgendwelchen materiellen Konstellationen auf einmal etwas vollkommen Neues, nämlich Innerlichkeit. Das kann die naturalistische Wissenschaft nicht leisten. Und in so fern können sie nicht einfach so friedlich nebeneinander existieren, die Wissenschaft, wenn sie sich nicht aufspreizt zu einer wissenschaftlichen Weltanschauung, kann ihr Geschäft betreiben, wie bisher. Aber sie muss auf den Anspruch verzichten, uns zu erklären, wer wir sind.

Das versuchen die Intelligent-Design-Leute anders herum aber auch. Ja, man muss fragen, was heißt erklären. Sie sagen, diese Gebilde, die in der Evolution entstehen, können sich nur einem auf die Hervorbringung dieses Gebildes gerichteten Willen verdanken. Aber das ist natürlich keine Erklärung, denn sie wissen nicht, warum dieser Wille das gewollt hat, was er will. Ich weiß offen gestanden nicht, warum der Liebe Gott die Zecken gemacht hat. Wir kommen da in viele Dunkelheiten. Der Intelligent-Design-Anhänger muss also zugeben, dass er sehr vieles überhaupt nicht erklären kann. Aber am wichtigsten ist meiner Meinung nach seine negative Funktion, seine kritische Funktion. Die Intelligent-Design-Anhänger können eben sagen, das was ihr anbietet, das ist keine Erklärung. Wir können jedenfalls mehr erklären als ihr. Wer steckt denn hinter beiden Bewegungen? Es scheinen ja doch sehr ähnliche Kreise zu sein, in dem Sinne, dass Intelligent Design einfach die etwas modernere und elegantere Form ist, um den Kreationismus unters Volk zu bringen. Nein, das würde ich nicht sagen. Wenn Sie sagen, das ist eine elegante Form, den Gedanken der Schöpfung unters Volk zu bringen, dann würde ich zustimmen. Aber Schöpfung und Kreationismus sind ganz verschiedene Dinge. Der Kreationismus glaubt, die Schöpfung müsste man sich genau so vorstellen, wie das in der Bibel steht, während die Intelligent-Design-Anhänger nur sagen: Die Welt verdankt sich als ganzes einem schöpferischen Willen. Und das ist so, als wenn sie bei einem Film sagen, der Film verdankt sich einem Projektor. Platon hat dieses Bild benutzt in seinem so genannten Höhlengleichnis. Menschen sind angekettet in einer dunklen Höhle, sie können sich nicht bewegen, sie können nicht nach links und rechts schauen, sie sehen nur, was sich auf einer Leinwand abspielt, das ist für sie die Wirklichkeit. Und dann kommt irgend jemand und erzählt ihnen, dass das nur Schattenbilder sind, was da an der Wand abläuft. Und da wehren sie sich mit Händen und Füßen und sagen, wieso, das ist doch die Welt, wir kennen sie doch. Wir sehen doch, wie sich das alles abspielt, wir haben die Gesetze verstanden, wir können doch extrapolieren, wir kennen doch die Vorgeschichte. Aber der, der einmal verstanden hat, dass es sich um Bilder handelt, die sich einem Projektor verdanken, ja, der sieht es natürlich anders. Und so haben es immerhin viele große Leute gesehen. Newton glaubte unmittelbar aus seiner Beobachtung der Naturgesetze auf Gott schließen zu können. Galilei war jemand, der glaubte, dass es einen direkten Weg von der Naturwissenschaft zu Gott gibt. Ich glaube eher, es geht um Folgendes: Die neuzeitliche Naturwissenschaft, hat sich immer stärker entwickelt in einer ganz bestimmten Richtung, und zwar ist diese Richtung am besten in einem Wort von Thomas Hobbes zusammengefasst. Der einmal schreibt: Eine Sache kennen, heisst „to know what we can do with it, when we have it”. Das heißt, hinter der neuzeitlichen Naturwissenschaft steht der Wille zur Naturbeherrschung. Sie will die Möglichkeiten entdecken, wie wir in den Naturprozess eingreifen können. Dazu müssen wir die Gesetze kennen. Sie versucht nicht zu verstehen, warum der Stein nach unten fällt, was Aristoteles verstehen wollte. Sondern sie versucht, die Gesetze zu beschreiben, nach denen er fällt. Und das ist für sie die Erklärung. Aber Wittgenstein schreibt: Es ist die große Täuschung der Moderne, dass die Naturgesetze uns die Welt erklären. Die Naturgesetze beschreiben die Welt, sie beschreiben die Gesetzmäßigkeiten. Aber sie erklären uns nichts. Auf der einen Seite steht diese Naturwissenschaft. Und auf der anderen Seite steht ein anderes Bedürfnis des Menschen –die Naturbeherrschung ist ja ein ganz wesentliches Element des menschlichen Wesens. Der Mensch kann gar nicht existieren, ohne ein gewisses Maß von Naturbeherrschung. Insofern ist diese neuzeitliche Wissenschaft Ausdruck eines fundamentalen Interesses des Menschen. Aber es gibt noch ein anderes fundamentales Interesse: Sich in der Welt beheimatet wissen und sich selbst verstehen. Das ist etwas vollkommen anderes. Und ich würde sagen, die Leute, die sich wehren gegen den Scientismus, die verteidigen unser Selbstverständnis. Sie wehren sich dagegen, dass irgendjemand uns erklärt, wir seien überhaupt nicht das, was wir zu sein meinen. Und dieser Verteidigung unseres elementaren Selbstverständnisses ohne das wir gar nicht existieren könnten, das ist auch mein Anliegen. Also mehr ein generelles Prinzip, nicht ein Erklären an jeder Evolutionsstufe? Ja, eben. Wobei allerdings für mich sich einige große Sprünge nicht durch Mutation erklären lassen. Zum Beispiel? Wenn es einfach eine vollkommen neue Kategorie ist. So wie den Text, den Bach hinein verschlüsselt hat in seine Musik. Das können sie mit noch so viel musikwissenschaftlicher Kunst und Kompositionskunst nicht erklären. Sie können das nur erklären, weil sie wissen, Bach wollte das so. Sie können den Text nicht in musikalische Kategorien zurück übersetzten.

Was wäre das übertragen auf die Evolution? Ist es die Innerlichkeit, oder die Absicht? Oder sind es auch Evolutionsstufen, wie etwa das Auge? Es gibt sicher auch Evolutionsstufen, hinter denen Absicht steht. Sagen Sie doch bitte mal ein Beispiel. Die Entstehung von Innerlichkeit ... Aber Sie sprechen dann nicht von komplexen Organe, so wie die Kreationisten das immer wieder anführen – ein Auge könne nicht zufällig entstanden sein? Das ist eine Diskussion, da muss ich passen. Das ist eine innerwissenschaftliche Diskussion. Ich bin dagegen, dass die Leute, die diese These über das Auge vertreten, von vorn herein mit den Methoden, die man heute hat, marginalisiert werden und man sie einfach nur belächelt und gar nicht ernstlich diskutiert. Man muss das diskutieren. Aber wie die Diskussion ausgeht, das kann ich nicht sagen. Ich bin kein Biologe. Diese Sache, ist für mich offen. Es würde mir aber sehr einleuchten, wenn man zeigen könnte, dass eine solche Erklärung nicht möglich ist. Und zwar deshalb, weil ich das Auge nur erklären kann im Verhältnis zu einem Wesen, dem es darum geht, Licht zu sehen. Wenn ich umgekehrt annehmen soll, das Erlebnis von Licht gibt es nur, weil zufälligerweise ein Auge entstanden ist, dann würde ich sagen, dass heißt die Sache umdrehen ... Wobei ... Ich sage nur: Das Sehen kann nicht mit den Mitteln der Physik erklärt werden. Und der Biologismus, der Naturalismus ist ja im Grunde Physikalismus. Er will ja paradoxerweise, obwohl seine Vertreter sich Biologen nennen, eigentlich den Begriff des Lebens reduzieren auf physikalische Begriffe. Und da allerdings denke ich, dass das aus kategorialen Gründen unmöglich ist. So etwas wie Innerlichkeit, Sehen, das ist etwas Inneres – es setzt ein Wesen voraus, das sieht. Das Entstehen von Innerlichkeit, scheint mir etwas zu sein, das auf gar keine Weise physikalisch erklärbar ist. Wobei wir jetzt natürlich auch über das Augentierchen Euglena viridis reden müssen. Diese einzellige Süßwasseralge besitzt einen Photorezeptor und eine Geißel und kann sowohl Licht wahr nehmen als sich auch zielgerichtet auf eine Lichtquelle zu bewegen. Ob man das nun als Sehen bezeichnet, ist eine andere Frage. Aber offensichtlich nimmt das Augentierchen den physikalischen Reiz wahr – und es ein noch sehr primitive Organismus, bei dem ich Innerlichkeit nicht unbedingt annehmen würde. Wir wissen es nicht. Ab wann ist Leben etwas anderes als seine Simulation? Wo beginnt Innerlichkeit? Lichtempfindlichkeit gibt es ja schon als simulierte. Es gibt ja Türen, die sich öffnen und schließen, wenn eine Lichtschranke überschritten wird. Aber Innerlichkeit, das heißt wirklich sehen, erleben, das ist etwas ganz anderes. Nicht mehr nur ein Apparat, der auf irgendeine Weise darauf programmiert ist, sich auf Licht zu bewegen. Das Innen des Lebendigen ist nicht ein räumliches Innen, sondern ein kategoriales Innen. Und die ganze Naturwissenschaft lebt von diesem Innen, denn die Naturwissenschaftler selbst treiben Naturwissenschaft. Und das heißt, es spielt sich innen in ihnen etwas ab. Es gäbe keine Naturwissenschaft ohne dieses Innen. Die Naturwissenschaft kann also mit anderen Worten ihre eigene Existenz nicht erklären. Aber um noch mal auf die Frage zurück zu kommen, woher die kreationistische Strömung kommt. Sie erklären das mit dem Machtanspruch mit der modernen Naturwissenschaften, habe ich Sie da richtig verstanden? Ja. Und mit dem Wunsch, die menschliche Welt zu behaupten gegen eine Destruktion in der dann die elementaren menschlichen Phänomene ihren Sinn verlieren. Es ist ja so auch dass Neurowissenschaftler Thesen vertreten über menschliche Handlungen, für die Phänomene wie Dankbarkeit, Bewunderung, Tadel, Lob, Bestrafung sinnlos werden, weil wir uns alle nur bewegen wie aufgezogene Apparate. Jeder ist so wie er ist. Jemandem danken, beruht auf einer Illusion. Und dass Menschen ein elementares Interesse daran haben, ihre menschliche Welt zu verteidigen, das heißt sich selbst ernst nehmen zu dürfen und nicht zu denken: na ja, wir erleben uns so. Aber was wir eigentlich sind, das erzählt uns irgendein Professor. Bei den Fundamentalisten, den Kreationisten, da handelt es sich um einen religiösen Wunsch. Sie glauben, sie müssten die Religion verteidigen. Aber sie glauben, sie müssen die Religion verteidigen indem sie eine bestimmte Art die Bibel zu lesen verteidigen. Dieser Biblizismus ist im Raum des Protestantismus entstanden. Der Protestantismus hat immer ein gewisses Problem, das er kein Traditionsprinzip hat und auch nicht so etwas wie eine Lehrinstanz, schwankt er oft zwischen einer liberalen Auflösung des christlichen Gehalts und einer Verteidigung jedes Buchstabens, damit nicht das Ganze ins Wanken gerät. Aber beim Intelligent Design geht es nach meinem Verständnis darum, dass wir unser Selbstverständnis verteidigen.

Aber Sie halten das wirklich für etwas grundsätzlich anderes? Ja. Dann lassen Sie uns im weiteren im wesentlichen über die Kreationisten sprechen. Denn die erfahren ja derzeit großen Zulauf, haben in USA sogar dieses Museum eröffnet. Als ich selbst Ende der 80er Jahre Biologie studierte, war das noch eine eher belächelte Randerscheinung. Nun hat es eine ganz andere Größenordnung. Immerhin wurden 27 Millionen US-Dollar in dieses Museum gesteckt, das ist ja nicht von Pappe. Wie sehen Sie das? Ist das wirklich ein Trend, der sich da entwickelt? Ja, schon. Ich glaube zwar nicht, dass dieser Trend irgendwann zu einem Mehrheitstrend werden wird. Dazu ist die Rolle, die die Wissenschaft spielt in unserer Zivilisation doch zu bedeutend, als dass sich das durchsetzen würde. Aber es kann sein, dass die Minderheit sich vergrößert. Und irgendwann wird eine Sättigung erreicht sein. Und da meine ich, muss man nun mit großer Gelassenheit reagieren. Ich werde immer nervös, wenn Leute sofort die Staatsmacht ins Spiel bringen wollen. Ein französischer Abgeordneter hat jetzt vorgeschlagen, man müsste Kreationismus mit öffentlichen Sanktionen belegen. Da stellen sich bei mir dann doch die Haare. Solche Auseinandersetzungen muss man führen auf einer intellektuellen Ebene. Was mich ein bisschen stutzig macht ist die Leidenschaft, mit der nun auf der anderen Seite der Evolutionismus verteidigt wird. Ich kann ja verstehen, dass Kreationisten eine bestimmte Vorstellung von Religion verteidigen. Aber der Evolutionismus ist eine wissenschaftliche Theorie, die immer auch Falsifikationsversuchen ausgesetzt werden sollte. Ich bin Anhänger von Popper und denke, dass wissenschaftliche Thesen nie dogmatisiert werden dürfen. Wenn man nun spricht von bewiesenen Theorien – das macht mich schon misstrauisch, denn in der neuzeitlichen Wissenschaft ist alles Hypothese. Man kann überhaupt nichts beweisen als nicht hypothetisch außer in der Mathematik. Im Bereich der Evolutionstheorie aber werden Falsifikationsversuche mit großer Nervosität betrachtet. Und es wird ein Kampf geführt, als ginge es um die Grundlage unserer Zivilisation. Also ich würde sage: Habt ihr´s nicht ein bisschen kleiner? Lasst uns doch die Diskussion führen auf der Grundlage von Argumenten und Gegenargumenten. Aber zu tun, als würde hier die Grundlagen unserer Kultur in Frage gestellt, das kommt mir sehr merkwürdig vor, denn was heißt das eigentlich für mich, für uns unser Leben? Doch eigentlich gar nichts. Wobei die Diskussion ja sehr oft um den Gedanken kreist, dass seit der Aufklärung eine klare Trennung besteht zwischen christlicher Interpretation und der Wissenschaft. Und dass das durchaus etwas ist, was es zu verteidigen gilt. Der Vergleich, dass genau dieses im Islam nie gelungen ist, und dass es ein schützenswertes Gut unseres christlichen Abendlandes ist, die beiden Dinge nicht zu vermischen. Die Diskussion mit Kreationisten wird wahrscheinlich kein Evolutionsbiologe als ernsthaften Falsifikationsversuch betrachten. Wenn mir jemand sagt, das hat Gott alles so eingebaut, das ist ja keine wissenschaftlich nachprüfbare Theorie, das ist Glaube. Ich meine, genau deshalb wird die Diskussion auch von wissenschaftlicher Seite so leidenschaftlich geführt. Von den Kreationisten? Auch von den Naturwissenschaftlern. Denn hier wird etwas zurück gedreht. Man soll mit Leuten diskutieren, die überhaupt nicht wissenschaftlich argumentieren, auch nicht mit den Intelligent-Design-Leuten. Denn sie haben ja gar keine eigenen Erklärungen, sondern suchen sich vermeintliche oder tatsächliche Erklärungslücken der Evolutionsbiologie und basteln sich daraus einen Beweis. Wenn die Erklärung dann von der Naturwissenschaft erbracht ist, suchen sie sich ein neues Beispiel. Und wenn gar nichts mehr hilft, sagen sie: Wir glauben aber nicht, dass eure Erklärungen stimmen, das kann kein Zufall gewesen sein, da muss ein intelligenter Plan dahinter stecken. Doch dann sind wir eben wieder beim Glauben, nicht bei Wissenschaft. Intelligent Design ist keine Wissenschaft, auch wenn sie sich so betrachtet. Mit diesen Leuten kann man meiner Meinung nach wirklich nicht diskutieren ... Also ich finde, das kann man von den Leuten, die unter dem Stichwort Intelligent Design operieren, nicht generell behaupten. Darunter sind ja auch ausgewiesene Wissenschaftler. Für sie gilt das nicht. Das gilt nur in Bezug auf die Kreationisten. Wobei man die auch in Frieden lassen muss. Wir erleben in Europa in den letzten zwei Jahrzehnten eine Einschränkung der Meinungsfreiheit gegenüber den 50er Jahren, die mich mit Sorge erfüllt. Unter Political Correctness werden alle möglichen Tabus aufgebaut. Ich bin zum Beispiel auch dagegen, dass man die Leugnung des Holocausts unter Strafe stellt. Wer die Leugnung dieses Verbrechens unter Strafe stellt, macht Leute, vor allem junge Leute misstrauisch. Die sagen aha, das wird bestraft, dann muss ja wohl was dran sein, sonst könnte man das ja wissenschaftlich diskutieren. Dass das längst wissenschaftlich diskutiert ist und dass das eigentlich so gut wie abgeschlossen ist, das nehmen Sie gar nicht zur Kenntnis. Das muss man aber, gerade wenn es sich um junge Leute handelt, vermitteln. Aber nicht, indem man es unter Strafe stellt.

Also Sie meinen, das macht die Sache eher interessant und auch glaubwürdig? Ja, bei vielen Menschen. Und ich kenne auch junge Leute, die dadurch misstrauisch werden. Es wird doch auch die Leugnung anderer Wahrheiten nicht unter Strafe gestellt. Der Islam behauptet ja, zum Beispiel das Jesus nicht gekreuzigt wurde – das ist für die Christen natürlich ein fundamentaler Anschlag auf ein zentrales Motiv ihres Glaubens. Aber sie würden doch nicht verlangen, jemand sollte bestraft werden, der das behauptet. Und im Übrigen, eine Frage: Ist es tatsächlich mit wissenschaftlicher Aufklärung unvereinbar, unbefangen Phänomene zur Kenntnis zu nehmen und zu behaupten, dass die von der Wissenschaft angebotenen Erklärungen die Welt nicht wirklich erklären? Wittgenstein zum Beispiel sagte das. Ist das anti-wissenschaftlich? Das kann ich nicht sehen. Denn nehmen wir mal an, es wäre tatsächlich so, dass einige dieser Sprünge in der Evolution, insbesondere in der Entstehung von Innerlichkeit oder in der Entstehung von Selbstbewusstsein sich aus Zufällen der Mutationen nicht erklären lassen. Und dass im Hintergrund ein Wille steht, der wollte, dass wir sein sollten. Gesetzt den Fall, es wäre so. Was wäre das für eine Wissenschaft, die sagte: Ja aber, wir müssen weiter auf unserer Ebene erklären, auch wenn es uns nie gelingt. Das wäre so wie der Musikwissenschaftler, der sagt, ich weigere mich zur Kenntnis zu nehmen, dass bestimmte Noten deshalb so angeordnet sind, weil da dieser Text heraus kommen sollte. Das ist keine musikalische Betrachtungsweise. Das ist ein Fremdkörper. Und den will ich nicht in Rechnung stellen. Das wäre eigentlich doch nicht wissenschaftlich, oder? Er würde dann ja sagen: Musik darf man nur musikwissenschaftlich erklären. Aber was ist, wenn die Musik nur deshalb so ist, wie sie ist, weil sie einen verschlüsselten Text enthält? Gut, aber das schöne an dem Beispiel Bach ist ja, dass man eine Erklärung gefunden hatte, eben dieses Verschlüsselungsverfahren. Aber was Sie voraussetzen, dass bei diesen Sprüngen doch ein Wille dahinter steht, dass muss ich dann als Glauben in die Wissenschaft einfügen, das kann ich wissenschaftlich nicht nachweisen. Wissenschaftlich zu arbeiten, bedeutet aber, nur Annahmen zu treffen, die sich auch beweisen – oder falsifizieren – lassen. Aber dieses Moment einzufügen, da muss etwas anderes sein, das lässt sich wissenschaftlich nicht überprüfen. Es gibt ja unheimlich viele Entwicklungsschübe in der Wissenschaft, wo man Phänomene nicht erklären konnte und geforscht hat und geforscht hat und irgendwann ist einer drauf gekommen und hat eine Erklärung gefunden. Dass heißt, es wäre doch völlig unwissenschaftlich, zu sagen, gut wir kommen hier nicht weiter und fügen jetzt einfach den göttlichen Willen ein. Dann bräuchte man ja gar nicht mehr weiter zu forschen. Das ist natürlich der klassische Einwand gegen alle teleologischen Erklärungen. Das Argument der „faulen Vernunft“, wie Leibniz und Kant das nannten. Also ich würde sagen: Zum einen, die Wissenschaft tut vollkommen recht daran, auch weiter nach der materiellen Infrastruktur der „Sprünge“ zu suchen. Aber wenn die Vermutung, hier sei noch etwas anderes im Spiel uns ein zusätzliches Licht aufsteckt, warum dieses Licht abweisen? Frau Thoene hat ihre Entdeckung ja nun gemacht. Sie hat das ja nur heraus bekommen, weil sie davon ausging, dass es so etwas gibt und dass Bach so etwas gemacht hat. Sie wäre niemals durch Zufall darauf gestoßen. Ein Musikwissenschaftler könnte hunderte von Jahren daran forschen, ohne darauf zu stoßen. Aber sie wusste, dass Bach in ganz einfachen Fällen wie bei BACH so etwas gemacht hat. Und so hatte sie eine Vermutung, und hat deshalb die Sache hin und her gewälzt. Bis sie plötzlich diesen Text herausgekommen hat. Wenn man ihr verboten hätte, nach diesem Text zu suchen, weil es nichts mit Musikwissenschaft zu tun hat, hätte sei ihn nie gefunden, dann wäre es nie heraus gekommen.

Wo liegen die Ursachen dieser Strömung? Sie sprachen vom Verteidigen der Menschlichkeit. Spielen da moderne Forschungsgebiete wie Reproduktionsbiologie, Klonen, Stammzellforschung eine Rolle? Also die Lebensschaffung und -Gestaltung, das Gendesing – ins Leben einzugreifen? Kreationismus wird dadurch nicht befördert, aber wohl eine kritische Einstellung gegenüber der Leistungsfähigkeit der Naturwissenschaft in Bezug auf Erklärung. Da spielt das wirklich eine Rolle. Ich bin tatsächlich der Meinung, dass ein durch die Wissenschaft heute mögliches Eingreifen ins menschliche Genom unbedingt verhindert werden sollte. Denn wir verfügen nicht über Kriterien dafür, was ein wünschenswerter Mensch ist. Wenn man eine bestimmte Krankheit eliminieren könnte auf genetischem Weg ohne irgendetwas anderes in Mitleidenschaft zu ziehen, dann würde ich noch mit mir reden lassen. Aber das ist heute nicht möglich. Und die Phantasien von Wissenschaftlern gehen ja weit darüber hinaus. Die wollen wirklich einen besser angepassten Menschen. Einen Menschen der besser für die Raumfahrt geeignet ist usw. ... also ganz fürchterliche Dinge. Da wird der Mensch zum Material in der Hand anderer Menschen, die bestimmen, wie künftige Menschen aussehen. Das ist ein Grad von Fremdbestimmung, der ganz ungeheuerlich ist. Und der hängt natürlich eng zusammen mit einem Totalitätsanspruch der Biologie in Bezug auf das Verständnis dessen, was der Mensch ist. Lassen Sie uns noch konkret auf ein politisches Ereignis der vergangenen Wochen eingehen, die hessische Kulturministerin, die vorgeschlagen hat, man solle die biblische Schöpfungsgeschichte auch im Biologie-Unterricht vermitteln. Was meinen Sie dazu? Ja, also ich glaube ja nicht, dass die Ministerin die Absicht hatte, Kreationismus in der Schule zu lehren. Sondern dass sie daran dachte, dass man in einem christlichen Kulturkreis, man den Extrakt dieser biblischen Geschichte, wie er sich in der jüdischen und christlichen Tradition heraus gebildet hat, den Gedanken der Schöpfung der Welt, nicht vollkommen beiseite lassen muss, wenn man über die Entstehung des Menschen spricht Das scheint mir nicht so abwegig zu sein. In diesem Zusammenhang aufmerksam zu machen auf die Dinge, über die wir jetzt gesprochen haben, warum sollte das nicht erlaubt sein. Die strikte Abgrenzung des Gegenstandes des Religionsunterrichts von der Biologie sollte nicht verwirrte Menschen erzeugen. Gibt es zwei Wahrheiten? Was haben sie miteinander zu tun? Ich möchte nicht wissen, was sich mit naturwissenschaftlichen Methoden ermitteln lässt und ich möchte nicht wissen, was sich aus der Bibel ergibt, sondern ich möchte wissen, wie ist es denn. Das ist ja die normale Frage eines Menschen. Der will nicht Wissenschaftstheoretiker werden, und will kein Pfarrer werden, sondern er will wissen, was ist der Fall. Wenn der Lehrer im Religionsunterricht bei der Lektüre der biblischen Texte Bezug nehmend auf die moderne Wissenschaft sagt, wir müssen die biblischen Texte jetzt anders lesen, wir können die nicht so wörtlich lesen, wie die da stehen, dann finde ich das richtig. Der Religionslehrer muss Bezug nehmen auf das moderne wissenschaftliche Weltbild. Zu sagen, nein nein, er muss bei seiner Religion bleiben, das scheint mir unvernünftig. Das Umgekehrte aber auch. Warum darf im Biologie-Unterricht überhaupt nicht erwähnt werden, dass es die Möglichkeit gibt dieses ganze Geschehen als Realisierung einer ursprünglichen Absicht zu interpretieren, die auf die Hervorbringung eines Wesens gerichtet ist, das sich auf seinen Schöpfer zurück wenden kann. Das als eine mögliche Sicht der Evolution im Biologie-Unterricht vorkommt, das scheint mir ebenso berechtigt, wie dass im Religionsunterricht Wissenschaft vorkommt. Das heißt nicht die beiden vermischen, aber, es heißt doch einem Menschen behilflich zu sein bei der Suche nach dem, was tatsächlich ist.

Die evangelische Landeskirche hat allerdings ganz entschieden den Vorschlag abgelehnt ... Die kneifen ja gerne. Warum hat sie es denn abgelehnt? Mit dem Hinweis, das Biologie-Lehrer mitnichten geeignet seien, das zu erklären und dass die Trennung von Glauben und Wissenschaft ihre gute Berechtigung hätte und dass man da auch weiter dran festhalten wolle. Aber tatsächlich sind sie ja nicht konsequent, denn sie verbieten ja auch den Religionslehrern nicht, auf die Wissenschaft Bezug zu nehmen. Das müssten sie ja auch. Denen müssten sie ja dann auch vorschreiben, sich nur auf die biblischen Texte zu beziehen und zu sagen, Kinder, das ist die Wahrheit. Das wäre doch absurd. Also Sie glauben, sie hat einen ganz vernünftigen Vorschlag gemacht? Ich finde ja. Noch einmal zum Thema Museum. Es soll bald ein ähnliches Projekt im Dreiländereck Deutschland, Frankreich, Schweiz geben. Was würden Sie davon halten? Sollte der Staat hier eingreifen und einen Riegel vorschieben? Nein, wenn das privat finanziert ist, dann soll der Staat sich darum überhaupt nicht kümmern. Sie hätten keine Sorge, dass es dann doch irgend wann mehrheitsfähig wird? Nein. Ich bin mir da sehr sicher, dass das keine Mehrheitsmeinung wird. Die Struktur unserer Zivilisation fördert einerseits solche Minderheitsgruppen. Das ist unvermeidlich im Zivilisationsprozess. Die werden immer wieder entstehen. Und sie befördert gleichzeitig auch den Mainstream, der in diese Richtung nicht laufen wird. In USA gab es jüngst den Fall eines Physikers, der wohl auch sehr hochrangig publiziert hat, also ein guter Mann. Dem wurde von der betreffenden Universität eine Professur abgelehnt, weil er sich zum Intelligent Design bekennt. Wie würden Sie das einschätzen? Wofür ist er Professor? Physik. Ich hätte keinerlei Bedenken, den einzustellen. Wieso soll der kein hervorragender Physiker sein? Nur weil er der Meinung ist, dass sich im Evolutions-Prozess ein übergeordneter Wille zum Ausdruck bringt, der sich durch zufällige Mutationen nicht erklären lässt? Das sind überall die Stellen, wo Wissenschaft umschlägt in Scientismus und einen Totalitätsanspruch erhebt. Und das scheint mir nicht in Ordnung. Und wenn er Biologe gewesen wäre? Ja, dann könnte ich die Fakultät verstehen, die sagen würde, das wollen wir nicht, diese Richtung wollen wir nicht. Wobei es die Begünstigung von Richtungen in der Wissenschaft durchaus gibt und ich würde dann hoffen, dass vielleicht eine andere Universität Platz für ihn hat. Ich wäre dagegen, dass das eliminiert wird. Aber ich hätte Verständnis dafür. Bei einem Physiker hätte ich überhaupt kein Verständnis dafür.

Gleichzeitig ist in Deutschland die Situation, dass Siegfried Scherer in München seit Jahrzehnten eine Professur für Mikrobiologie hat. Damit haben viele deutsche Naturwissenschaftler ein echtes Problem. Können Sie die auch verstehen? Das ist wohl jemand, der wie Bruno Vollmert argumentiert? Das Vollmert-Buch „Das Molekül und das Leben“ habe ich heute morgen auch aus meinen Schrank hervor gekramt ... Der Polymerchemiker hatte 1985 ganz speziell in Frage gestellt, dass sich Zellen und langkettige Erbmoleküle durch Zufall bilden können. Scherer hat eher ein allegmeines Buch geschrieben zur Evolution, ein kritisches Lehrbuch. Und er tritt pro-aktiv als Intelligent-Design-Vertreter auf, zum Beispiel im Rahmen von Veranstaltungen von Idea, einem Sprachrohr der evangelikalen Bewegung, aus der sich auch die Kreationisten rekrutieren. Die Wissenschaft reift immer an solchen Herausforderungen. Die Fragen, die so jemand stellt, auch die, die Vollmert gestellt hat – darauf hat damals übrigens Manfred Eigen geantwortet, ich weiß gar nicht, ob Vollmert daraufhin Eigen noch mal geantwortet hat – jedenfalls was Eigen da gesagt hat, das war sehr klug (Anmerkung: Manfred Eigen ist emeritierter Professor für Biophysikalische Chemie und Mitgründer des heute sehr erfolgreichen Hamburger Biotechnikunternehmens Evotec, seine 1979 veröffentlichte Theorie der zyklischen Verknüpfung von Reaktionszyklen erklärt die Selbstorganisation von präbiotischen Systemen). Warum soll man denn solche Herausforderungen von einem Mann, der sein Metier kennt – nicht von Ignoranten – nicht aufnehmen. Und warum sagt man nicht: Gut, dass es solche gibt. Sie bringen uns zum Nachdenken.

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