Robert Spaemann im Interview „Fantastische Annahmen“

Der Philosoph Robert Spaemann zu Kreationismus, Intelligent Design und zum Disput zwischen Evolutionsbiologen und Christen.

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WirtschaftsWoche: Herr Professor Spaemann, gerade wurde in den USA ein Kreationismus-Museum eröffnet, das den Menschen erklärt, die Erde sei vor 6000 Jahren von Gott geschaffen worden. Wie kann das sein – knapp 150 Jahre nach Darwins Veröffentlichung über „Die Entstehung der Arten“. Spinnen die? Spaemann: Kreationismus, darunter versteht man in Amerika heute eine fundamentalistische Richtung, die glaubt, die Bibel, auch die frühen biblischen Texte über die Schöpfung der Welt wörtlich nehmen zu müssen. Also als historische Beschreibung dessen, was statt gefunden hat. Dann kommt man darauf, dass die Welt in sechs Tagen geschaffen wurde und dieses vor etwa 6000 Jahren - das hat man von den orthodoxen Juden übernommen, die sehen das auch so. Das widerspricht aber dem, was von Anfang an die Christen bei der Lektüre dieser Texte gedacht haben. Schon bei Augustinus von Hippo kann man lesen, dass diese sechs Tage nicht sechs Tage in unserem Sinn sein können, weil nämlich sich diese Tage berechnen nach dem Umlauf der Erde um die Sonne, beziehungsweise ihrer Drehung um sich selbst. Die Sonne wird aber erst am dritten Tag erschaffen. Diese frühen Geschichten, sind Mythen, die allerdings im Unterschied zu anderen Mythen in der dortigen Region ganz bestimmte, sehr weit reichende Aussagen enthalten, zum Beispiel die Aussage, dass sich die Welt einem Schöpfungswillen verdankt, dass sie hervorgeht aus einem solchen Willen, einem vernünftigen Willen. Sie beschreiben also das Verhältnis von Welt und Gott, Mensch und Gott. Sie bedürfen einer Hermeneutik. Das wurde schon ganz früh so gesehen im Christentum? Ja, Augustinus lebte im 4. Jahrhundert nach Christus. Aber das ist nicht Allgemeingut gewesen. Im Mittelalter hat man vielfach diese Geschichten wieder wörtlich genommen. Aber das war nie obligatorisch. Anders die späteren Texte der Bibel, die sich beziehen auf historische Ereignisse. Insbesondere, wenn man zum neuen Testament kommt. Aber wir kommen ab vom Thema. Zurück zur Schöpfungsgeschichte ... Kreationismus – wissen Sie, man kann für alles argumentieren und der Kreationismus ist auch nicht dumm. Wenn Sie hinreichend fantastische Annahmen zu machen bereit sind, dann können Sie ihn gegen Einwände immunisieren. Sie können angesichts der Fossilien sagen, dass Gott die Welt mit eingebauten Fossilien erschaffen hat. Das Gegenteil können sie nicht beweisen. Sie können auch bei einem Film – ich will jetzt mal probeweise etwas zur Verteidigung sagen für diese Sicht der Dinge, obwohl das nicht meine ist – Sie können bei einem Film eine Vorgeschichte der Filmereignisse dazu erfinden. Im Film tritt ein Mensch auf, der erzählt von seiner Mutter und seiner Großmutter. Sie existieren also in der Filmgeschichte, aber nur als imaginäre Vorgeschichte der gezeigten Ereignisse. Die Filmgeschichte fängt an in dem Augenblick, wo der Film anfängt. So kann man auch sagen: Wenn ich bereit bin anzunehmen, dass Gott die Welt erschaffen hat mitsamt einer fiktiven Vorgeschichte, die die Physiker und die Biologen und die Paläontologen und die Genetiker rekonstruieren – dass das in Wirklichkeit alles erst vor 6000 Jahren angefangen hat. Dagegen gibt es keinen Beweis, verstehen Sie? Nur, es gibt auch keinen hinreichenden Grund, dies anzunehmen. Und deshalb finde ich, das ist eine Ansicht, die muss man sich selbst überlassen. Leibniz sagt einmal, jeder Beweis ist ein argumentum ad hominem, das heißt ein Beweis, der etwas voraussetzt bei dem, dem ich etwas beweisen will. Wenn ich nichts voraus setzen kann, kann ich auch nichts beweisen. Die Frage ist also, was wollen wir voraus setzen. So. Jetzt aber zum Intelligent Design, das ist eine vollkommen andere Geschichte. Das ist eine intellektuelle Bewegung in Amerika, die nimmt die Evolutionsgeschichte, so wie sie heute von der Wissenschaft erzählt wird, und sie versucht nur eine andere Erklärung dieses Prozesses. Sie versucht zu zeigen, dass die Darwin´schen Mechanismen von richtungsloser Mutation und nachträglicher Selektion des Überlebensdienlichen nicht ausreichen, um uns wirklich verständlich zu machen, was sich in der Evolutionsgeschichte abgespielt hat – bis hin zum Menschen. Das ist eine wissenschaftliche Diskussion bei der beide Seiten Argumente für sich geltend machen wo es aber nicht notwendig ist, so phantastische Annahmen zu machen wie die Kreationisten.

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