Robert Spaemann im Interview „Fantastische Annahmen“

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Was wäre das übertragen auf die Evolution? Ist es die Innerlichkeit, oder die Absicht? Oder sind es auch Evolutionsstufen, wie etwa das Auge? Es gibt sicher auch Evolutionsstufen, hinter denen Absicht steht. Sagen Sie doch bitte mal ein Beispiel. Die Entstehung von Innerlichkeit ... Aber Sie sprechen dann nicht von komplexen Organe, so wie die Kreationisten das immer wieder anführen – ein Auge könne nicht zufällig entstanden sein? Das ist eine Diskussion, da muss ich passen. Das ist eine innerwissenschaftliche Diskussion. Ich bin dagegen, dass die Leute, die diese These über das Auge vertreten, von vorn herein mit den Methoden, die man heute hat, marginalisiert werden und man sie einfach nur belächelt und gar nicht ernstlich diskutiert. Man muss das diskutieren. Aber wie die Diskussion ausgeht, das kann ich nicht sagen. Ich bin kein Biologe. Diese Sache, ist für mich offen. Es würde mir aber sehr einleuchten, wenn man zeigen könnte, dass eine solche Erklärung nicht möglich ist. Und zwar deshalb, weil ich das Auge nur erklären kann im Verhältnis zu einem Wesen, dem es darum geht, Licht zu sehen. Wenn ich umgekehrt annehmen soll, das Erlebnis von Licht gibt es nur, weil zufälligerweise ein Auge entstanden ist, dann würde ich sagen, dass heißt die Sache umdrehen ... Wobei ... Ich sage nur: Das Sehen kann nicht mit den Mitteln der Physik erklärt werden. Und der Biologismus, der Naturalismus ist ja im Grunde Physikalismus. Er will ja paradoxerweise, obwohl seine Vertreter sich Biologen nennen, eigentlich den Begriff des Lebens reduzieren auf physikalische Begriffe. Und da allerdings denke ich, dass das aus kategorialen Gründen unmöglich ist. So etwas wie Innerlichkeit, Sehen, das ist etwas Inneres – es setzt ein Wesen voraus, das sieht. Das Entstehen von Innerlichkeit, scheint mir etwas zu sein, das auf gar keine Weise physikalisch erklärbar ist. Wobei wir jetzt natürlich auch über das Augentierchen Euglena viridis reden müssen. Diese einzellige Süßwasseralge besitzt einen Photorezeptor und eine Geißel und kann sowohl Licht wahr nehmen als sich auch zielgerichtet auf eine Lichtquelle zu bewegen. Ob man das nun als Sehen bezeichnet, ist eine andere Frage. Aber offensichtlich nimmt das Augentierchen den physikalischen Reiz wahr – und es ein noch sehr primitive Organismus, bei dem ich Innerlichkeit nicht unbedingt annehmen würde. Wir wissen es nicht. Ab wann ist Leben etwas anderes als seine Simulation? Wo beginnt Innerlichkeit? Lichtempfindlichkeit gibt es ja schon als simulierte. Es gibt ja Türen, die sich öffnen und schließen, wenn eine Lichtschranke überschritten wird. Aber Innerlichkeit, das heißt wirklich sehen, erleben, das ist etwas ganz anderes. Nicht mehr nur ein Apparat, der auf irgendeine Weise darauf programmiert ist, sich auf Licht zu bewegen. Das Innen des Lebendigen ist nicht ein räumliches Innen, sondern ein kategoriales Innen. Und die ganze Naturwissenschaft lebt von diesem Innen, denn die Naturwissenschaftler selbst treiben Naturwissenschaft. Und das heißt, es spielt sich innen in ihnen etwas ab. Es gäbe keine Naturwissenschaft ohne dieses Innen. Die Naturwissenschaft kann also mit anderen Worten ihre eigene Existenz nicht erklären. Aber um noch mal auf die Frage zurück zu kommen, woher die kreationistische Strömung kommt. Sie erklären das mit dem Machtanspruch mit der modernen Naturwissenschaften, habe ich Sie da richtig verstanden? Ja. Und mit dem Wunsch, die menschliche Welt zu behaupten gegen eine Destruktion in der dann die elementaren menschlichen Phänomene ihren Sinn verlieren. Es ist ja so auch dass Neurowissenschaftler Thesen vertreten über menschliche Handlungen, für die Phänomene wie Dankbarkeit, Bewunderung, Tadel, Lob, Bestrafung sinnlos werden, weil wir uns alle nur bewegen wie aufgezogene Apparate. Jeder ist so wie er ist. Jemandem danken, beruht auf einer Illusion. Und dass Menschen ein elementares Interesse daran haben, ihre menschliche Welt zu verteidigen, das heißt sich selbst ernst nehmen zu dürfen und nicht zu denken: na ja, wir erleben uns so. Aber was wir eigentlich sind, das erzählt uns irgendein Professor. Bei den Fundamentalisten, den Kreationisten, da handelt es sich um einen religiösen Wunsch. Sie glauben, sie müssten die Religion verteidigen. Aber sie glauben, sie müssen die Religion verteidigen indem sie eine bestimmte Art die Bibel zu lesen verteidigen. Dieser Biblizismus ist im Raum des Protestantismus entstanden. Der Protestantismus hat immer ein gewisses Problem, das er kein Traditionsprinzip hat und auch nicht so etwas wie eine Lehrinstanz, schwankt er oft zwischen einer liberalen Auflösung des christlichen Gehalts und einer Verteidigung jedes Buchstabens, damit nicht das Ganze ins Wanken gerät. Aber beim Intelligent Design geht es nach meinem Verständnis darum, dass wir unser Selbstverständnis verteidigen.

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