Robert Spaemann im Interview „Fantastische Annahmen“

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Aber Sie halten das wirklich für etwas grundsätzlich anderes? Ja. Dann lassen Sie uns im weiteren im wesentlichen über die Kreationisten sprechen. Denn die erfahren ja derzeit großen Zulauf, haben in USA sogar dieses Museum eröffnet. Als ich selbst Ende der 80er Jahre Biologie studierte, war das noch eine eher belächelte Randerscheinung. Nun hat es eine ganz andere Größenordnung. Immerhin wurden 27 Millionen US-Dollar in dieses Museum gesteckt, das ist ja nicht von Pappe. Wie sehen Sie das? Ist das wirklich ein Trend, der sich da entwickelt? Ja, schon. Ich glaube zwar nicht, dass dieser Trend irgendwann zu einem Mehrheitstrend werden wird. Dazu ist die Rolle, die die Wissenschaft spielt in unserer Zivilisation doch zu bedeutend, als dass sich das durchsetzen würde. Aber es kann sein, dass die Minderheit sich vergrößert. Und irgendwann wird eine Sättigung erreicht sein. Und da meine ich, muss man nun mit großer Gelassenheit reagieren. Ich werde immer nervös, wenn Leute sofort die Staatsmacht ins Spiel bringen wollen. Ein französischer Abgeordneter hat jetzt vorgeschlagen, man müsste Kreationismus mit öffentlichen Sanktionen belegen. Da stellen sich bei mir dann doch die Haare. Solche Auseinandersetzungen muss man führen auf einer intellektuellen Ebene. Was mich ein bisschen stutzig macht ist die Leidenschaft, mit der nun auf der anderen Seite der Evolutionismus verteidigt wird. Ich kann ja verstehen, dass Kreationisten eine bestimmte Vorstellung von Religion verteidigen. Aber der Evolutionismus ist eine wissenschaftliche Theorie, die immer auch Falsifikationsversuchen ausgesetzt werden sollte. Ich bin Anhänger von Popper und denke, dass wissenschaftliche Thesen nie dogmatisiert werden dürfen. Wenn man nun spricht von bewiesenen Theorien – das macht mich schon misstrauisch, denn in der neuzeitlichen Wissenschaft ist alles Hypothese. Man kann überhaupt nichts beweisen als nicht hypothetisch außer in der Mathematik. Im Bereich der Evolutionstheorie aber werden Falsifikationsversuche mit großer Nervosität betrachtet. Und es wird ein Kampf geführt, als ginge es um die Grundlage unserer Zivilisation. Also ich würde sage: Habt ihr´s nicht ein bisschen kleiner? Lasst uns doch die Diskussion führen auf der Grundlage von Argumenten und Gegenargumenten. Aber zu tun, als würde hier die Grundlagen unserer Kultur in Frage gestellt, das kommt mir sehr merkwürdig vor, denn was heißt das eigentlich für mich, für uns unser Leben? Doch eigentlich gar nichts. Wobei die Diskussion ja sehr oft um den Gedanken kreist, dass seit der Aufklärung eine klare Trennung besteht zwischen christlicher Interpretation und der Wissenschaft. Und dass das durchaus etwas ist, was es zu verteidigen gilt. Der Vergleich, dass genau dieses im Islam nie gelungen ist, und dass es ein schützenswertes Gut unseres christlichen Abendlandes ist, die beiden Dinge nicht zu vermischen. Die Diskussion mit Kreationisten wird wahrscheinlich kein Evolutionsbiologe als ernsthaften Falsifikationsversuch betrachten. Wenn mir jemand sagt, das hat Gott alles so eingebaut, das ist ja keine wissenschaftlich nachprüfbare Theorie, das ist Glaube. Ich meine, genau deshalb wird die Diskussion auch von wissenschaftlicher Seite so leidenschaftlich geführt. Von den Kreationisten? Auch von den Naturwissenschaftlern. Denn hier wird etwas zurück gedreht. Man soll mit Leuten diskutieren, die überhaupt nicht wissenschaftlich argumentieren, auch nicht mit den Intelligent-Design-Leuten. Denn sie haben ja gar keine eigenen Erklärungen, sondern suchen sich vermeintliche oder tatsächliche Erklärungslücken der Evolutionsbiologie und basteln sich daraus einen Beweis. Wenn die Erklärung dann von der Naturwissenschaft erbracht ist, suchen sie sich ein neues Beispiel. Und wenn gar nichts mehr hilft, sagen sie: Wir glauben aber nicht, dass eure Erklärungen stimmen, das kann kein Zufall gewesen sein, da muss ein intelligenter Plan dahinter stecken. Doch dann sind wir eben wieder beim Glauben, nicht bei Wissenschaft. Intelligent Design ist keine Wissenschaft, auch wenn sie sich so betrachtet. Mit diesen Leuten kann man meiner Meinung nach wirklich nicht diskutieren ... Also ich finde, das kann man von den Leuten, die unter dem Stichwort Intelligent Design operieren, nicht generell behaupten. Darunter sind ja auch ausgewiesene Wissenschaftler. Für sie gilt das nicht. Das gilt nur in Bezug auf die Kreationisten. Wobei man die auch in Frieden lassen muss. Wir erleben in Europa in den letzten zwei Jahrzehnten eine Einschränkung der Meinungsfreiheit gegenüber den 50er Jahren, die mich mit Sorge erfüllt. Unter Political Correctness werden alle möglichen Tabus aufgebaut. Ich bin zum Beispiel auch dagegen, dass man die Leugnung des Holocausts unter Strafe stellt. Wer die Leugnung dieses Verbrechens unter Strafe stellt, macht Leute, vor allem junge Leute misstrauisch. Die sagen aha, das wird bestraft, dann muss ja wohl was dran sein, sonst könnte man das ja wissenschaftlich diskutieren. Dass das längst wissenschaftlich diskutiert ist und dass das eigentlich so gut wie abgeschlossen ist, das nehmen Sie gar nicht zur Kenntnis. Das muss man aber, gerade wenn es sich um junge Leute handelt, vermitteln. Aber nicht, indem man es unter Strafe stellt.

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