Robert Spaemann im Interview „Fantastische Annahmen“

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Wo liegen die Ursachen dieser Strömung? Sie sprachen vom Verteidigen der Menschlichkeit. Spielen da moderne Forschungsgebiete wie Reproduktionsbiologie, Klonen, Stammzellforschung eine Rolle? Also die Lebensschaffung und -Gestaltung, das Gendesing – ins Leben einzugreifen? Kreationismus wird dadurch nicht befördert, aber wohl eine kritische Einstellung gegenüber der Leistungsfähigkeit der Naturwissenschaft in Bezug auf Erklärung. Da spielt das wirklich eine Rolle. Ich bin tatsächlich der Meinung, dass ein durch die Wissenschaft heute mögliches Eingreifen ins menschliche Genom unbedingt verhindert werden sollte. Denn wir verfügen nicht über Kriterien dafür, was ein wünschenswerter Mensch ist. Wenn man eine bestimmte Krankheit eliminieren könnte auf genetischem Weg ohne irgendetwas anderes in Mitleidenschaft zu ziehen, dann würde ich noch mit mir reden lassen. Aber das ist heute nicht möglich. Und die Phantasien von Wissenschaftlern gehen ja weit darüber hinaus. Die wollen wirklich einen besser angepassten Menschen. Einen Menschen der besser für die Raumfahrt geeignet ist usw. ... also ganz fürchterliche Dinge. Da wird der Mensch zum Material in der Hand anderer Menschen, die bestimmen, wie künftige Menschen aussehen. Das ist ein Grad von Fremdbestimmung, der ganz ungeheuerlich ist. Und der hängt natürlich eng zusammen mit einem Totalitätsanspruch der Biologie in Bezug auf das Verständnis dessen, was der Mensch ist. Lassen Sie uns noch konkret auf ein politisches Ereignis der vergangenen Wochen eingehen, die hessische Kulturministerin, die vorgeschlagen hat, man solle die biblische Schöpfungsgeschichte auch im Biologie-Unterricht vermitteln. Was meinen Sie dazu? Ja, also ich glaube ja nicht, dass die Ministerin die Absicht hatte, Kreationismus in der Schule zu lehren. Sondern dass sie daran dachte, dass man in einem christlichen Kulturkreis, man den Extrakt dieser biblischen Geschichte, wie er sich in der jüdischen und christlichen Tradition heraus gebildet hat, den Gedanken der Schöpfung der Welt, nicht vollkommen beiseite lassen muss, wenn man über die Entstehung des Menschen spricht Das scheint mir nicht so abwegig zu sein. In diesem Zusammenhang aufmerksam zu machen auf die Dinge, über die wir jetzt gesprochen haben, warum sollte das nicht erlaubt sein. Die strikte Abgrenzung des Gegenstandes des Religionsunterrichts von der Biologie sollte nicht verwirrte Menschen erzeugen. Gibt es zwei Wahrheiten? Was haben sie miteinander zu tun? Ich möchte nicht wissen, was sich mit naturwissenschaftlichen Methoden ermitteln lässt und ich möchte nicht wissen, was sich aus der Bibel ergibt, sondern ich möchte wissen, wie ist es denn. Das ist ja die normale Frage eines Menschen. Der will nicht Wissenschaftstheoretiker werden, und will kein Pfarrer werden, sondern er will wissen, was ist der Fall. Wenn der Lehrer im Religionsunterricht bei der Lektüre der biblischen Texte Bezug nehmend auf die moderne Wissenschaft sagt, wir müssen die biblischen Texte jetzt anders lesen, wir können die nicht so wörtlich lesen, wie die da stehen, dann finde ich das richtig. Der Religionslehrer muss Bezug nehmen auf das moderne wissenschaftliche Weltbild. Zu sagen, nein nein, er muss bei seiner Religion bleiben, das scheint mir unvernünftig. Das Umgekehrte aber auch. Warum darf im Biologie-Unterricht überhaupt nicht erwähnt werden, dass es die Möglichkeit gibt dieses ganze Geschehen als Realisierung einer ursprünglichen Absicht zu interpretieren, die auf die Hervorbringung eines Wesens gerichtet ist, das sich auf seinen Schöpfer zurück wenden kann. Das als eine mögliche Sicht der Evolution im Biologie-Unterricht vorkommt, das scheint mir ebenso berechtigt, wie dass im Religionsunterricht Wissenschaft vorkommt. Das heißt nicht die beiden vermischen, aber, es heißt doch einem Menschen behilflich zu sein bei der Suche nach dem, was tatsächlich ist.

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