In André Löschers Geschäft „schlagen die Schnellen die Langsamen“, wie er sagt. Sein Arbeitgeber, der Mittelständler Green Building Group, baut pro Jahr 200 bis 250 energieeffiziente Fertighäuser in Deutschland und setzte damit laut Creditreform zuletzt rund 21 Millionen Euro um. „Wenn Kundenanfragen per E-Mail hereinkommen, darf man sich heute nicht mehr eine Woche Zeit lassen, da muss die Antwort umgehend kommen“, sagt Marketingchef Löscher.
Dafür sorgt ein Softwaresystem für das Kundenmanagement. Es weist die Absender nach Postleitzahlen dem zuständigen Vertriebsmanager zu, sodass dieser die Anfrage sofort auf dem Schreibtisch hat. Genauso schnell lassen sich auch neue Mitarbeiter als Nutzer integrieren, denn die Software kommt aus der Cloud: Das heißt, sie wird über einen Internet-Browser bedient, benötigt keine Installation, sondern läuft in Rechenzentren externer Dienstleister. Aus diesem Grund ist weder für die Softwarenutzung selbst noch für Wartung und Pflege Programmierarbeit notwendig.
Vor- und Nachteile des Cloud Computing
Wenn ein Unternehmen seine Kundendatenbank nicht im eigenen Rechenzentrum pflegt, sondern einen Online-Dienst wie Salesforce.com nutzt, spart es sich Investitionen in die Infrastruktur. Die Abrechnung erfolgt außerdem zumeist gestaffelt, zum Beispiel nach Nutzerzahl oder Speicherverbrauch. Geschäftskunden erhoffen sich dadurch deutliche Kosteneinsparungen.
Wer Speicherplatz im Netz mietet, kann flexibel auf die Nachfrage reagieren und den Bedarf unkompliziert und schnell erhöhen oder versenken. Wenn beispielsweise ein Startup rasant wächst, fährt es einfach die Kapazitäten hoch. Somit fallen auch niedrige Fixkosten an.
Die Installation auf den eigenen Rechnern entfällt. Damit lässt sich ein neues System äußerst schnell einführen. Auch die Updates bereiten keine Probleme mehr, somit sinkt der Administrationsaufwand. Allerdings lassen sich die Cloud-Dienste in der Regel auch nicht so individuell konfigurieren.
Zur Nutzung der Cloud-Dienste benötigen Mitarbeiter lediglich einen Internetanschluss – unabhängig von ihrem Aufenthaltsort und dem Gerät, das sie nutzen.
Die Daten-Dienstleister werben damit, dass sie sich intensiver mit der IT-Sicherheit beschäftigen als einzelne Nutzer oder Unternehmen. Allerdings sind die Rechenzentren der Cloud-Anbieter aufgrund der großen Datenmenge auch ein attraktives Ziel für Angriffe von Hackern. Zudem ist von außen schwer nachzuvollziehen, ob der Anbieter die Daten ausreichend vor den eigenen Mitarbeitern schützt. Die Auslagerung bedeutet somit einen Kontrollverlust.
Viele Unternehmen sind von ihrem Dienstleister abhängig, weil sie nicht ohne weiteres zu einem anderen Anbieter wechseln können. Das liegt etwa daran, dass sie ihre Systeme aufwendig an die Schnittstellen anpassen müssen. Auch Nutzer haben oft Schwierigkeit, wenn sie mit ihren Daten den Anbieter wechseln wollen. Eine weitere Frage: Was ist, wenn der Betreiber eines Dienstes pleite geht? Erst wenn es Standards gibt, die den Wechsel von einem zum anderen Dienstleister ermöglichen, sinkt die Abhängigkeit.
Software, die man zur Miete aus dem Web abrufen kann, kommt jetzt auch in kleinen und mittleren Unternehmen verstärkt auf Touren. „Erstmals gibt es mehr Befürworter als Skeptiker; der Einsatz von Cloud Computing in Unternehmen steigt kontinuierlich“, konstatiert der Cloud Monitor des Digitalverbandes Bitkom vom März. Selbst bei kleineren Betrieben mit 20 bis 99 Mitarbeitern liegt der Anteil bereits bei 41 Prozent. Auf Anbieterseite setzen sich im Geschäft mit mittelständischen Kunden dank der Datenschutzdebatte neben amerikanischen IT-Giganten wie Amazon oder Microsoft zunehmend Nischenanbieter aus Deutschland durch. Denn sie arbeiten unter dem hiesigen Datenschutz.
Besser komplett verschlüsselt
„Die Frage ist heute nicht mehr ob, sondern wie der Mittelstand Cloud Computing nutzt“, sagt Heiko Henkes, Cloud-Experte beim Marktbeobachter Experton Group aus Kassel. Gesucht seien gerade bei kleinen und mittleren Betrieben Anbieter, die das Produkt Cloud „rundum sorglos“ anbieten, also als Komplettpakete, die von der Software selbst über Datensicherungen bis hin zum Datenschutz alles integriert haben.
Zudem wollen die Unternehmen nicht die komplette IT, sondern einzelne Betriebsteile in die Cloud bringen. „Das fängt an beim E-Mail-Management über die Personalverwaltung bis hin zur Telefonanlage“, sagt Henkes. Gefragt sind also punktuelle Anwendungen, bei denen die Cloud-Nutzung der im Unternehmen fest installierten Software überlegen ist.
Damit wollen die Mittelständler nicht nur Kosten senken, sondern zugleich flexibler arbeiten und – wie etwa beim Fertighausspezialisten Green Building – Prozesse modernisieren. „Unsere Mitarbeiter sitzen mit Tablet oder Laptop beim Kunden zu Hause und können dann nicht mehr sagen: ‚So, das schreibe ich mir jetzt alles auf, kalkuliere es morgen im Büro durch und melde mich noch mal.‘ Das geschieht jetzt alles vor Ort“, sagt Manager Löscher.
Das Unternehmen setzt vor allem auf freie Mitarbeiter, die mit eigenen Geräten und den verschiedensten Betriebssystemen arbeiten. Deshalb verwendet Green Building ein Cloud-Kundenmanagementsystem von Microsoft. Dieses läuft auf jedem Browser, unabhängig vom Betriebssystem, und muss nicht installiert werden. „Mit unseren internen IT-Ressourcen hätten wir das gar nicht stemmen können“, sagt Löscher. „Und in puncto Sicherheit vertrauen wir auf Microsofts Renommee.“
In Punkto Datensicherheit überlegen
Damit spricht er einen wunden Punkt an. „Beim Cloud Computing ist die Sicherheitsfrage immer noch nicht ganz gelöst“, sagt Rüdiger Spies, Analyst beim IT-Beratungshaus Pierre Audoin Consultants aus München.
Immerhin hat sich eine Erkenntnis branchenweit durchgesetzt: Bei der Datensicherheit sind die Cloud-Anbieter nahezu allen ihren mittelständischen Kunden überlegen. Denn die wenigsten Mittelständler verfügen über eine eigene IT-Abteilung, die sich kontinuierlich um Sicherheitsmechanismen kümmert.
Anders ist der Punkt Vertraulichkeit zu bewerten. Neuere Gesetzgebungsverfahren, wie sie etwa in den USA diskutiert werden, räumten den Behörden viel Spielraum ein, wenn sie Datenmaterial untersuchen wollen, sagt IT-Experte Spies. Das stellt die US-dominierte Cloud-Anbieterszene vor ernste Herausforderungen. „Es nützt nichts, wenn der US-Anbieter dem Kunden gegenüber auf ein in Deutschland betriebenes Rechenzentrum verweist, aber das Cloud-Angebot teilweise auch auf Rechnern in dessen Heimatland betrieben wird und die US-Sicherheitsbehörden so letztlich doch einfach auf die Systeme zugreifen können“, warnt Axel Oppermann vom Analysehaus Avispador aus Kassel.
Sein Rat: „So wie man bei McDonald’s keine brauchbaren Ratschläge für eine gesunde und nachhaltige Ernährung bekommt, muss der Mittelstand aufhören zu glauben, er bekäme von Cloud-Anbietern wie Google, Microsoft oder Amazon die Antwort auf seine Datenschutzanliegen. Die Lösung muss er sich selbst erarbeiten.“
Wie kann diese Lösung aussehen? „Verschlüsselung ist ein zentrales Thema“, sagt Fachmann Spies. Sein Credo: „Gerade für den deutschen Mittelstand mit seinem Know-how muss gelten: Verschlüsselt auch in der Cloud alles, was möglich ist.“ Neuartige Technologie ermögliche es Unternehmen inzwischen, ohne wesentlichen Zeitverzug zu ver- und entschlüsseln.
Eine weitere Komponente bringt Mathias Zacher ins Spiel, Cloud-Spezialist des IT-Marktbeobachters IDC aus Frankfurt: „Anwender sollten auf Zertifizierungen etwa des TÜVs achten und darauf, dass der Cloud-Provider bestimmte ISO-Normen einhält“, sagt Zacher und konstatiert: „Die umfassenden Möglichkeiten moderner Sicherheitstechnologie haben längst nicht alle Anbieter im Griff.“
Das Thema Sicherheit führt dazu, dass sich im Geschäft mit Mittelständlern zunehmend Nischenanbieter aus Deutschland durchsetzen können, die nur auf deutschem Boden und unter dem strengeren deutschen Datenschutz operieren.
Angebot aus dem Café
Ein Beispiel ist Cloud Pilot aus dem hessischen Oberursel. Der Anbieter hat sich darauf spezialisiert, klassische fest installierte Softwareprogramme zu „cloudifizieren“. Soll heißen: Cloud Pilot installiert die gewünschte Software im eigenen Rechenzentrum und vermietet sie an den Kunden. Zur Nutzung benötigt dieser dann nur noch Internet-Anschluss und Browser.
Angriff auf etablierte Anbieter
Dieses Angebot nutzt zum Beispiel Malermeister Thomas Messerschmidt, ebenfalls aus Oberursel. Statt das Handwerkerprogramm Mosaik des nordrhein-westfälischen Softwareanbieters Moser auf dem Büro-PC zu installieren, mietet Messerschmidt die Software bei Cloud Pilot. Zugreifen darauf kann der Handwerksunternehmer per verschlüsselter Verbindung via Internet.
„Wir betreiben die Software ausschließlich in deutschen Rechenzentren, garantieren eine Verfügbarkeit von 99,9 Prozent und sichern die Daten jede Nacht“, sagt Cloud-Pilot-Geschäftsführer Marcus Wohlleben. Messerschmidts Vorteile daraus: „Angebote, Aufträge, digitale Zeiterfassung – ich kann mich auch von unterwegs schnell via Internet in das Programm einloggen, und schon habe ich alles im Blick. Und Angebote schreibe ich auch mal nach dem Kundentermin im Café.“
Attacke auf Datev
Die neuen Cloud-Anbieter greifen mit ihren Mietsoftwarelösungen inzwischen auch etablierte Anbieter wie etwa die Datev aus Nürnberg an, die zwar als sehr zuverlässig, aber nicht gerade als technologische Innovatoren gelten. Datev ist mit geschätzten 75 Prozent Marktanteil Quasimonopolist bei installierten Programmen für Steuerberater und Lohnsoftware.
Zu den neuen Datev-Wettbewerbern gehört etwa Scopevisio aus Bonn, die mit der Wirtschaftsauskunftei Creditreform und der Telekom als Vertriebspartner starke Verbündete hat. Ein zweiter Spieler ist Addison, eine Tochter des niederländischen Wolters-Kluwer-Imperiums, die jetzt mit einer umfassenden Online-Plattform an den Start geht und Steuerberater zur Vertriebsunterstützung nutzt.
Anstatt gleich das ganz große Rad drehen zu müssen, mieten Firmenchefs zunächst nur diejenigen Miniservices der von Scopevisio oder Addison entwickelten Cloud-Lösungen, die sie auch täglich benötigen. Vom Kassenbuch über die Lohnvorerfassung und Finanzbuchhaltung bis hin zu Angeboten, Rechnungen oder Finanzauswertungen – all dies für geringe Euro-Beträge und vom TÜV zertifiziert. Das ist eine Kampfansage an die Datev, obwohl etwa Addison erst rund acht Prozent Marktanteil hat – eine Kampfansage aus der Wolke.