
Darf man zu Forschungszwecken auf Stammzelllinien zurückgreifen, die aus Embryonen entstanden sind? Für eine katholische Moraltheologin sollte es eigentlich eine klare Sache sein: Der Schutz des ungeborenen Lebens geht vor. Doch wenn diese Moraltheologin gleichzeitig Ministerin für Bildung und Forschung ist, liegt der Fall schon ganz anders. Diese Frage zu beantworten „ist eine der schwierigsten Entscheidungen meines Lebens“, sagt Annette Schavan (CDU) mit Blick auf die derzeitige Debatte über eine Änderung des Stammzellgesetzes.
Das ethische Dilemma zerreißt viele der 613 Bundestagsabgeordneten förmlich. Am kommenden Donnerstag werden sie in Berlin drei Stunden lang debattieren, wie es hierzulande mit der Zellforschung weitergehen soll. Das Parlament ist in dieser Frage gespalten – quer durch alle Fraktionen. Zur Debatte stehen nun vier Gesetzentwürfe und ein Antrag, alles zu lassen wie es ist. Die meisten Unterschriften (185) unter ihren Entwurf konnten die Abgeordneten René Röspel (SPD) und Ilse Aigner (CSU) sammeln. Sie wollen den Stichtag verschieben, der besagt, dass Forscher nur Zelllinien verwenden dürfen, die vor dem 1. Januar 2002 im Ausland hergestellt wurden.
Neuer Stichtag soll der 1. Mai 2007 sein. Zudem sollen Rechtsunsicherheiten beseitigt werden, denen deutsche Forscher ausgesetzt sind, die etwa im Ausland mit neueren Stammzelllinien forschen oder sich an EU-Projekten beteiligen. Prominenteste Unterstützer des Entwurfs sind Bundesforschungsministerin Schavan, Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), Verbraucherminister Horst Seehofer (CSU), Wirtschaftsminister Michel Glos (CSU) und der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat zwar nicht unterschrieben, sich aber ebenfalls für die Stichtagsverschiebung ausgesprochen. Fast ebenso groß (149 Stimmen) ist die Gruppe um die Grünen-Abgeordnete Priska Hinz, die alles beim alten Recht belassen will.
Zu den Unterstützern gehören Unions-Fraktionschef Volker Kauder sowie die Staatsministerinnen Maria Böhmer und Hildegard Müller (beide CDU), aber auch Renate Künast, Claudia Roth und Fritz Kuhn von den Grünen. Ein Teil der Gruppe will per Gesetzentwurf (67 Unterschriften) für deutsche Forscher im Ausland – ähnlich wie beim Aigner/Röspel-Antrag – mehr Rechtssicherheit erreichen. 94 Anhänger hat ein Antrag der FDP-Gentechnikexpertin Ulrike Flach, die – gestützt von der Mehrheit der FDP-Fraktion – die Stichtagsregelung kippen will.
Die extreme Gegenposition dazu vertritt eine Gruppe rund um den Unions-Mann Hubert Hüppe, der von 52 Parlamentariern unterstützt wird. Sie fordern ein generelles Verbot der embryonalen Stammzellforschung. Prominenteste Unterzeichner sind der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach, der Rechtsexperte der Grünen, Volker Beck, und der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder. Welcher Gesetzentwurf sich durchsetzt, ist ungewiss. Als wahrscheinlich gilt, dass viele Anhänger des chancenlosen Flach-Entwurfs für die Stichtagsverschiebung votieren werden und das Hüppe-Lager zum Teil für den Hinz-Antrag stimmt. Da sich jedoch rund 150 Abgeordnete noch nicht festgelegt haben, bleibt das Rennen offen. Eine endgültige Entscheidung wird in dieser ersten Lesung des Gesetzes ohnehin noch nicht fallen.