
WirtschaftsWoche: Professor Schöler, ein Junge ist nach der Operation beim Düsseldorfer XCell-Center fast gestorben. Das Stammzellunternehmen macht Patienten große Versprechungen bei der Therapie mit Stammzellen...
Hans Robert Schöler: ...halt. Zunächst einmal würde ich XCell nicht als Stammzellunternehmen bezeichnen. Ich halte das für Etikettenschwindel, denn ich bezweifle sehr, dass XCell seinen Patienten für die betreffende Krankheit wirksame Stammzellen überträgt.
Enthält das Knochenmark, das die XCell-Ärzte aus dem Beckenknochen entnehmen, etwa keine Stammzellen?
Überall in unserem Körper sind Stammzellen. Entscheidend ist, ob die Stammzellen, die angeblich übertragen werden, die gewünschte Wirkung erzielen, also beispielsweise im Gehirn oder im Rückenmark Nervenzellen bilden. Das hat XCell bisher nicht nachgewiesen.
Könnten Zellen aus dem Knochenmark denn zu Nervenzellen werden, wenn man es richtig anstellt?
Nein. Dass Stammzellen aus dem Knochenmark sich in der neuen Umgebung des Gehirns von alleine in Richtung Nervenzellen umorientieren und so einen positiven Effekt erzielen, konnte bisher kein Forscher zeigen. Da würde ich gerne mal die Arbeiten sehen, auf die XCell sich bezieht. Bisher passierte eher Folgendes: Aus Knochenmarkstammzellen wurde nie etwas anderes als Knorpel- oder Knochenzellen, ganz gleich, wo man sie hinspritzte. Die Wandelbarkeit dieser Zellen, die wir eine Zeit lang zu sehen glaubten, hat sich nie bestätigt.
Dennoch bietet XCell Therapien gegen 13 verschiedene Erkrankungen an – immer auf der Grundlage derselben Knochenmarkstammzellen.
Und genau das ist utopisch. Da wird mit den Ängsten und Hoffnungen der Menschen gespielt. Und natürlich schlägt das auch auf uns Stammzellforscher zurück, die versuchen, das wirkliche Potenzial dieser Zellen auszuloten. Leider werden wir Stammzellforscher oft mit Anbietern von Stammzelltherapien, wie XCell, in einen Topf geworfen.
Wo liegt denn das größte Potenzial?
Im Reprogrammieren von normalen Körperzellen zu Stammzellen, der sogenannten iPS-Technologie, an der ich mit meinen Mitarbeitern arbeite. Das scheint ein praktikabler Weg zu sein, um Stammzellen herzustellen, die für viele Erkrankungen ein Zellmodell für die Medikamentenentwicklung darstellen könnten.
Sollen Sie nicht ein entsprechendes Forschungszentrum für 80 Millionen Euro bekommen?
Das hatten der damalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers und Bundesforschungsministerin Annette Schavan im April angekündigt. Doch 60 der 80 Millionen Euro kommen aus NRW, wo gerade eine neue Regierung gebildet wurde. Und die neue Forschungsministerin Svenja Schulze hat die Zusage der letzten Regierung bislang nicht bestätigt.
Und, meinen Sie, das klappt?
Ich bin sehr zuversichtlich, denn im Koalitionsvertrag wird insbesondere die Reprogrammierung als förderungswürdig hervorgehoben. Und ich weiß, dass meine Arbeit nicht nur hier, sondern auch international sehr geschätzt wird. So wird in Südkorea am 13. August ein neues Stammzellinstitut nach mir benannt; ich fliege in wenigen Tagen hin. Mit dem Forschungszentrum hätte NRW die Chance, Deutschland an die internationale Spitze dieser Forschung zu bringen. Es wäre schade, sie nicht zu nutzen.