Sterile Welt Keimtötende Produkte boomen trotz teils fraglichem Nutzen

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Sollte sich der Verdacht erhärten, wäre es am Ende paradoxerweise der ständige Kampf gegen vergleichsweise harmlose Kleinstlebewesen, der sie erst wirklich gefährlich werden ließe. Derart mutierte Mikroben wären dem Menschen allemal haushoch überlegen, weil ihre Mutationsgeschwindigkeit die Innovationszyklen der Industrie weit übersteigt.

Triclosan ist nicht der einzige Keimvernichter, dessen Einsatz Toxikologen monieren. Seit Jahren schon steht beispielsweise Isothiazolinon, eine weitere antimikrobielle Komponente, die manchen Produkten auch als Schutz gegen Schimmel beigefügt wird, in der Kritik. „Einige Isothiazolinone sind als Kontaktallergene bekannt“, heißt es in einer Übersicht des BfR. Aufgrund der möglichen Risiken wie Allergien seien antimikrobielle Textilien daher nicht zu empfehlen, so das Urteil der BfR-Experten. Dennoch ist Isothiazolinon für 17 Produkte auf dem deutschen Markt registriert.

Sinnvoller Umgang mit antibakteriellen Werkstoffen

Denn – bei aller Kritik – gänzlich sinnlos sind die keimtötenden oder biozid wirkenden Werkstoffe nicht. Lebensmittelfabriken etwa müssen strenge Hygienevorgaben einhalten. Andernfalls könnte beispielsweise ein verdorbener Schlegel Tausende Geflügelstücke mit Salmonellen verunreinigen – und ebenso viele Verbraucher gefährden. Täglich werden Maschinen, Fließbänder und Walzen in der Lebensmittelproduktion daher mit scharfen Desinfektionsmitteln abgesprüht.

Mitunter aber setzen sich mehrere Schichten von Mikroorganismen als Biofilm auf den Produktionsanlagen fest. Dann komme man mit Desinfektionsmitteln nicht mehr an die Bakterien im Innersten heran, erklärt der Molekulargenetiker Carsten Harms vom Forschungsdienstleister ttz in Bremerhaven. Bei Milchverarbeitern, in der Fruchtsaft- oder der Fischindustrie könnten keimarme Spezialwerkstoffe daher sinnvoll sein.

Dem pflichtet auch der Freiburger Mikrobiologe Schuster bei: In Milchbetrieben oder auch der Papierindustrie sei der ständige Bewuchs mit Bakterien ein Problem. Keimtötende Technik, die den Bedarf an Desinfektionsmittel verringere, „wäre sicher ein Segen“, findet Schuster. „Verbraucher aber sollten solch antibakterielle Produkte meiden.“

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