Treibstoff Sonne in den Tank

Auch unter Existenzgründern kommt Grün in Mode: Eine neue Generation von Startups will die Abhängigkeit vom Erdöl mindern: Ihre neuen Kraftstoffe sollen schon bald Autos antreiben - und Flugzeuge

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Die drei von der Ökotanke Quelle: Stefan Kröger für WirtschaftsWoche

Wer auf einer Party erzählte, er könne Wind, Wasser und Luft in Benzin verwandeln, der müsste – als Spinner abgestempelt – den Rest des Abends wohl allein verbringen. Die Gründer des Startups Sunfire – Carl Berninghausen, Nils Aldag und Christian von Olshausen – haben viele Abende allein verbracht. Allerdings nicht auf Partys, sondern in ihren Büros in Bremen und an ihrer Testanlage in Bayreuth. Denn seit 2008 arbeiten sie tatsächlich an einer Technik, mit der sie aus Wasser, Ökostrom und Kohlendioxid (CO2) Kraftstoff herstellen.

Jetzt stehen die drei Gründer vor ihrer größten Bewährungsprobe: Bis 2016 wollen sie eine große Demonstrationsanlage errichten, die im industriellem Maßstab sogenannten synthetischen Kraftstoff produziert. Noch suchen sie den passenden Standort, doch die Machbarkeit des Konzeptes haben verschiedene Studien bereits nachgewiesen.

Läuft alles nach Plan, könnten die drei Geschichte schreiben. Denn der Sprit aus Luft und Wasser, wie Sunfire ihn herstellt, würde eine Vielzahl von Energieproblemen im Verkehr der Zukunft lösen – oder deutlich entschärfen: allen voran die zunehmende Knappheit an Öl. Selbst die Internationale Energieagentur (IEA) in Paris hat inzwischen eingeräumt, dass die konventionellen, fossilen Ölreserven in den nächsten Jahren zur Neige gehen.

Treibstoff-Mix

Zugleich hat sich die Politik auf ehrgeizige Klimaziele und einen massiven Ausbau von Elektromobilität festgelegt. Doch die wird, wie Experten der Europäischen Kommission jüngst feststellten, nur in der Stadt und auf Kurzstrecken konventionelle Kraftstoffe ersetzen können. Vor allem für Langstrecken, Lastwagen, Flugzeuge und Schiffe fehlte die Alternative – bisher.

Nun aber verspricht der synthetische Kraftstoff geradezu Unerhörtes: Er schadet dem Klima nicht und lässt sich dennoch – wie traditionelles Benzin oder Diesel – in Fahrzeuge aller Art tanken. Die Technik ist so vielversprechend, dass auch andere Gründer an ähnlichen Verfahren arbeiten: darunter Gregor Waldstein, Chef des Stuttgarter Unternehmens Solarfuel, und der Österreicher Alexander Krajete mit seinem Startup Greenthitan. Beide stellen aus erneuerbarem Strom Erdgas her.

Die Natur kopieren

Alle drei Ansätze umgehen eines der Hauptprobleme aktueller Biotreibstoffe. Sie werden oft aus Raps, Rüben oder Mais hergestellt, blockieren Anbauflächen für Lebensmittel und verschärfen damit den weltweiten Nahrungsmittelmangel. Allein in den USA landet ein Drittel der Maisernte bereits im Tank statt auf dem Teller.

Die Konkurrenz dürfte sich noch massiv verschärfen, falls sich eine Mitte April veröffentlichte IEA-Studie bewahrheitet: Danach könnte der Biokraftstoffanteil im weltweiten Transportsektor von heute zwei Prozent bis 2050 auf 27 Prozent steigen. Soll das die Nahrungsmittelversorgung nicht vollends gefährden, führt an Synthesekraftstoffen kein Weg vorbei.

Denn statt Essen als Treibstoff zu verheizen, nehmen sich die Benzin-Revoluzzer von Sunfire und Solarfuel ein Beispiel an der Natur: Sehr grob gesagt, kopieren sie die Fotosynthese der Pflanzen, die Energie aus Sonnenstrahlung, Wasser und CO2 erzeugt. Deshalb bezeichnen Experten die Produkte auch als fotosynthetische Kraftstoffe. Pro Liter Treibstoff verbraucht beispielsweise das Sunfire-Verfahren rund einen Liter Wasser und einen Kubikmeter CO2.

Fahren mit Luft, Wasser und Wind

Zunächst setzen die Tankrevolutionäre dabei Wasser unter Strom, damit es sich im Zuge der sogenannten Elektrolyse in seine Einzelteile Sauerstoff und Wasserstoff trennt. Im zweiten Schritt verkuppeln sie den gewonnenen Wasserstoff mit dem Treibhausgas CO2. Beim Tête-à-Tête der Gase entsteht bei Solarfuel Erdgas. Sunfire produziert ein Synthesegas, das in einer weiteren chemischen Reaktion zu Benzin, Diesel oder Kerosin verarbeitet wird.

Daneben eignen sich die synthetischen Stoffe auch als gleichwertiger Ölersatz für die chemische Industrie. Sie benötigt den fossilen Rohstoff unter anderem zur Herstellung von Plastik, Dünger und Farben.

Ganz neu ist der Ansatz, aus Wasserstoff, CO2 und Strom Kraftstoff zu erzeugen, nicht. Einer der Pioniere ist Bodo Wolf, der Gründer des Biokraftstoffherstellers Choren aus Freiberg in Sachsen. Der Ingenieur erforschte bereits in den Siebzigerjahren in der DDR verschiedene Syntheseverfahren für Treibstoffe. Seine Kollegen hielten Wolf damals für einen Träumer. „Unmöglich“, hieß es, und Wolf verlegte sich darauf, Sprit aus Pflanzen zu gewinnen; klassische Biokraftstoffe eben. Nun hat Wolf seine Ideen und Patente für fotosynthetisches Benzin – mit einigen Jahrzehnten Verspätung – als Initiator bei Sunfire eingebracht.

Benzin als Grünstromspeicher

Mit einer ähnlich spektakulären Technik machte im März der Unternehmer und Wissenschaftler Alexander Krajete auf dem grünen Investorentreffen Ecosummit in Berlin von sich reden: In zwei Anlagen an der Technischen Universität Wien, die mit ihren Stahlrohren und dem großen » » Kessel an kleine Raffinerien erinnern, stellt er in seinem Unternehmen Green-thitan winzige Tierchen in den Dienst der Treibstoffproduktion. Es sind sogenannte Archaeen, Mikroben, die unter anderem die lebensfeindliche Umgebung von Tiefsee-Vulkanen besiedeln. Die Einzeller gehörten vor mehr als drei Milliarden Jahren schon zu den ersten Lebewesen auf der Erde, noch bevor es Sauerstoff gab.

Ihr Hunger auf CO2 und Wasserstoff macht sie nicht nur für Biologen interessant. Denn während sich die Mikroorganismen ernähren, produzieren sie Methan – den Hauptbestandteil von Erdgas. Statt wie Sunfire und Solarfuel auf eine chemische Reaktion von Wasserstoff und CO2 zu setzen, verfüttert Krajete die Gase an seine Archaeen. Der Österreicher glaubt, dass die Mikroben im industriellen Maßstab energiesparender und schneller Erdgas produzieren als ein chemischer Prozess.

Ob mit oder ohne Urzeit-Mikroben, am Ende erreichen Sunfire, Solarfuel und Greenthitan das Gleiche: Ihre Synthesetreibstoffe, Benzin oder Erdgas, setzen nicht mehr Treibhausgas CO2 frei, als zu ihrer Produktion verwendet wurde. Zudem kann das CO2 sogar aus den Abgasen fossiler Kraftwerke, aus der Luft oder aus Biogasanlagen abgezweigt werden. Auch der Wasserverbrauch ist gering, weil Sunfire & Co. selbst Abwasser oder Salzwasser nutzen können und ein Großteil des Wassers im Prozesses recycelt werden kann.

Dennoch haben die Synthesetreibstoffe den gleichen Energiegehalt wie ihre fossilen Vorbilder. Mit Diesel, wie ihn Sunfire herstellt, so bestätigt der Autohersteller Volkswagen, können „alle Fahrzeuge“ ohne Einschränkung betankt werden. Im Gegensatz zum umstrittenen E10-Benzin greift Synthesesprit Motoren nicht an. Auch das Erdgas von Solarfuel und Greenthitan können Gasautos problemlos tanken.

Kerosin, wie es im Sunfire-Verfahren entsteht, will die Lufthansa erproben, um es Flugzeugtreibstoff beizumischen. Nur fotosynthetisches Benzin müssen die Sunfire-Gründer an heutige Motoren anpassen und in einer Raffinerie veredeln lassen.

Energiequelle Quelle: Laif

Dieses Manko aber lässt sich angesichts einer weiteren Stärke des grünen Sprits verschmerzen. Der nämlich eignet sich nicht nur als Benzinersatz, sondern auch als Speicher für erneuerbare Energien: Heute besteht oft das Problem, dass Windräder und Solarzellen gerade dann besonders viel Strom produzieren, wenn wenig verbraucht wird – mittags zum Beispiel, wenn die Sonne brennt, oder in stürmischen Nächten. Die grünen Stromkraftwerke werden bei zu geringer Nachfrage mitunter sogar vom Netz genommen.

Diese überschüssige Energie will Solarfuel-Chef Waldstein künftig nutzen. 2013 will der Unternehmer in der Nähe einer Windkraftanlage eine Gasproduktion aufbauen, die immer dann mit dem Windstrom Gas erzeugt, wenn andere Abnehmer fehlen. Bis zu zwei Millionen Kubikmeter Erdgas im Jahr soll die Anlage so mit bisher überschüssigem Strom erzeugen. Das entspricht etwa der Energiemenge von zwei Millionen Liter Diesel. Bei fünf Liter Verbrauch pro 100 Kilometer kämen 4000 Autos damit 10 000 Kilometer weit. Vorerst will Solarfuel sein Produkt aber ins Erdgasnetz einspeisen.

Spätestens 2020 in großem Stil produzieren

Auch Sunfire will in den kommenden Jahren in die Massenproduktion einsteigen. Bis 2013 wollen die Bremer ihre Testanlage fertigstellen; die Demonstrationsanlage soll bis 2016 stehen. Deren Kosten taxiert eine Machbarkeitsstudie der Universität Bayreuth und eines Automobilkonzerns, der nicht genannt werden will, auf 30 bis 50 Millionen Euro. Geschäftsführer Berninghausen ist indes zuversichtlich, dafür auch öffentliche Förderprogramme der EU zu gewinnen.

Spätestens 2020 wollen die Bremer Kraftstoffe in großem Stil produzieren. Laut Machbarkeitsstudie könnte die geplante Großanlage pro Tag rund 650 000 Liter Diesel, Benzin oder Kerosin herstellen. Das klingt beeindruckend – und ist trotzdem nur ein Bruchteil jener rund 180 Millionen Liter Benzin, die deutsche Autofahrer Tag für Tag verbrauchen.

Den Treibstoffdurst sollen daher baldmöglichst auch Alexander Krajetes Tiefsee-Mikroben stillen helfen. Die Tierchen, das ergaben die Tests in Wien, sind Fress- und Verdauungswunder: Ein zwei Meter tiefes 25-Meter-Hallenschwimmbecken voll damit liefere in einem Jahr genug Erdgas, um 100 000 Autos 10 000 Kilometer weit zu fahren, rechnet Krajete vor. Mit einem solchen Becken ließe sich die Jahresproduktion von rund 50 großen Offshore-Windrädern – ungefähr 750 Gigawattstunden Strom – in Treibstoff umwandeln. Die Technik, sagt er, sei reif für den Großeinsatz.

Um einen Kubikmeter Erdgas herzustellen, verbraucht das Mikroorganismen-Verfahren zwischen 14 und 16 Kilowattstunden Strom. Momentan liegen die Kosten pro Kilowattstunde bei rund acht Cent. Sunfire und Solarfuel kalkulieren mit ähnlichen Stromkosten.

Konkurrenzfähig werde sein Produkt bei Kosten von fünf Cent je Kilowattstunde Windstrom, rechnet Krajete vor. Damit würde der Archaeen-Treibstoff 75 Cent pro Kubikmeter kosten. Selbst dann aber wäre er, rechnet man die Steuern mit ein, zu heutigen Preisen noch immer 20 Cent teurer als herkömmliches Benzin.

Schwarzes Gold

Es sei denn, der Ölpreis schießt weiter in die Höhe. Das aber gilt als sicher – und es verbessert die Marktchancen der grünen Treibstoffe auch unabhängig von der Kostenentwicklung der erneuerbaren Stromquellen. Allein in den vergangenen zehn Jahren versechsfachte der Preis pro Barrel Öl sich von 20 auf heute 120 Dollar.

Trotz aller Vorteile sind die grünen Kraftstoffe aber kein Allheilmittel für die Ölsucht unserer mobilen Welt. Das verdeutlicht ein Vergleich mit den Kosten und der Leistungsfähigkeit des spanischen Solarthermiekraftwerks Andasol: Um den deutschen Treibstoffdurst von jährlich rund 66 Milliarden Litern ausschließlich mit per Sonnenstrom erzeugtem Benzin zu stillen, wären so viele Sonnenkollektoren erforderlich, dass sich damit ganz Mallorca zupflastern ließe. Und das bei einem Investitionsvolumen von rund 1800 Milliarden Euro.

Vorerst also erscheint damit nur ein Treibstoff-Mix aus alt und neu als gangbarer Weg.

Neuer Sprit in alten Röhren

Zumal der Einsatz der neuen Kraftstoffe – verglichen mit batteriebetriebenen Autos – eigentlich sogar Energieverschwendung ist: „Autobatterien direkt mit Strom zu laden ist das effizienteste Verfahren“, sagt Michael Sterner vom Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (Iwes) in Kassel. Durch die Umwandlung des Stroms in Gas- oder Flüssigtreibstoffe komme es zwangsläufig zu einem Energieverlust von bis zu 50 Prozent. Ein Elektroauto kommt mit 20 Kilowattstunden Strom rund 100 Kilometer weit. Selbst bei einem extrem sparsamen Auto mit drei Liter Verbrauch wäre der Stromeinsatz für grünen Kraftstoff auf der Strecke mehr als doppelt so hoch.

Aber trotz des geringeren Stromverbrauchs sind Elektroautos nicht klimafreundlicher, wie Berechnungen des Iwes ergaben. Betrachtet man die Gesamtbilanz des Fahrzeugs von der Herstellung bis zum Recycling, hat es dieselbe CO2-Bilanz wie ein mit fotosynthetischem Treibstoff fahrendes Auto – vor allem wegen der aufwendigen Herstellung der Batterie, so Fraunhofer-Experte Sterner. Außerdem müssten nicht aufwendig neue Strom-Tankstellen gebaut werden.

Genau das ist der entscheidende Vorteil der neuen Kraftstoffe gegenüber der Elektromobilität: Die Hersteller können das grüne Benzin oder Erdgas durch bestehende Pipelines pumpen, mit Tankern aus sonnenreichen Regionen nach Nordeuropa transportieren und an herkömmlichen Tankstellen verkaufen. Und das Wichtigste: Der synthetische Sprit ist kompatibel mit der vorhandenen Motorentechnik.

Angesichts des Potenzials der neuen Treibstoffe, überrascht es, wie wenig Geld bisher in ihre Erforschung und Entwicklung geflossen ist. Insgesamt haben – vorwiegend private Geldgeber – in den vergangenen Jahren weniger als fünf Millionen Euro in Solarfuel, Sunfire und Greenthitan investiert. Allein die Erforschung von Batterien für Elektroautos war der Bundesregierung dagegen seit 2009 rund 200 Millionen Euro wert.

Das Wettrennen um den Treibstoff der Zukunft erscheint angesichts dieser Zahlen als Kampf von David gegen Goliath. Aber wie der Kampf endete, ist bekannt.

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