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Artenschutz-Report Jede dritte Art in Deutschland ist gefährdet

Nun sind auch schon „Allerweltsarten“ wie die Lerche in Deutschland bedroht. Es ist allerhöchste Zeit zu handeln, mahnt das Bundesamt für Naturschutz: Beispiele wie der Schwarzstorch zeigen, dass es geht.

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Diese Tiere sind vom Aussterben bedroht
Forscher der dänischen Universität Syddansk haben herausgefunden, dass derzeit weltweit 841 Spezies vom Aussterben bedroht sind. Die Studie, die in " Current Biology" veröffentlicht wurde, zeigt, dass ein Großteil dieser Arten geretttet werden könnte. Die Kosten dafür lägen bei 1,3 Milliarden Dollar pro Jahr, um den Lebensraum der Arten zu schützen beziehungsweise wieder aufzubauen. 15 der gelisteten 841 Arten haben jedoch auch dann keine großen Überlebenschancen, wenn man sofort damit aufhören würde, ihren Lebensraum zu zerstören. Dazu gehört unter anderem der Amsterdam Albatross (Diomedea amsterdamensis), der nur auf der Amsterdam-Insel im südlichen Indischen Ozean brütet. Bei einer Zählung im Jahr 2001 gab es nur noch 130 Tiere dieser Art. Foto: Vincent Legendere
Auch der Wilkinsammerfink (Nesospiza wilkinsi) kommt nur auf einer Inselgruppe vor, nämlich der Tristan da Cunha im südlichen Atlantischen Ozean. Dort findet man den Finken auf der Nightingale Island. Foto: Peter Ryan
Vom Tahiti Monarch (Pomarea nigra), der in französisch Polynesien beheimatet ist, leben noch gut 50 Exemplare. Der rund 15 Zentimeter große, schwarze Vogel lebt im Schirm des Marabaumes. Verschwinden die Bäume in seiner Heimat, verschwindet auch der Vogel. Weitere Vögel, die laut den Forschern schon sehr bald ausgestorben sein werden, sind die Ashlerche (Mirafra ashi) aus Somalia, der Madeira-Sturmvogel (Pterodroma madeira) aus Madeira und der Maskarenensturmvogel (Pseudobulweria aterrima) von der Insel La Réunion. Foto: Ron Hoff
Der Physalaemus soaresi oder Santa Cruz Zwergfrosch gehört wie auch der Campo Grande Baumfrosch (Hypsiboas dulcimer) zu den stark bedrohten Arten Brasiliens. Auch der Zorro Blasennestfrosch (Pseudophilautus zorro) aus Sri Lanka gehört zu den Fröschen, die es schon bald nicht mehr geben wird, weil ihr Lebsnraum verschwindet. Foto: Ivan Sazima
Mit ihnen verschwinden der brasilianische Frosch Perereca Bokermannohyla izecksohni (im Bild), eine türkische Salamandergattung namens Lyciasalamandra billae und den kolumbischen Frosch Allobates juanii. Doch auch Säugetiere stehen auf der Liste der 15 Arten, die es bald nicht mehr geben wird. Darunter ist eine Maus ( Lophuromys eisentrauti) aus Kamerun, eine mexikanische Rattengattung ( Tylomys bullaris) sowie nordamerikanische Flachland-Taschenratten ( Geomys tropicalis). Gerade Vögel, Amphibien und kleine Nager fallen der Urbanisierung zum Opfer. Kommen die Städte, müssen sie weichen. So manches große Tier steht dagegen auch wegen seinem Fell oder seiner Zähne auf der Liste der bedrohten Arten... Foto: Ivan Sazima
Für die vom Aussterben bedrohten Tiger in Indien gibt es eine neue tödliche Gefahr: Mehrere der Großkatzen wurden positiv auf das Staupevirus getestet. Das Virus tritt häufig bei Hunden auf, für andere Fleischfresser ist es nach Expertenangaben tödlich. Im vergangenen Jahr erlagen dem Virus im Norden und Osten Indiens mindestens vier Tiger und mehrere andere Tiere, wie Rajesh Gopal von der nationalen Tigerschutzbehörde sagt. Jeder tote Tiger werde nun auf das Virus getestet, sagt Gopal. Außerdem werde eine groß angelegte Impfkampagne für Hunde erwogen. „Wir können natürlich nicht jeden Hund impfen“, erklärt Gopal. „Aber schon 50 Prozent der Hunde in den Zonen um die Schutzgebiete würden helfen.“ Für Großkatzen gibt es keinen Impfstoff. In Indien lebt mehr als die Hälfte der weltweit schätzungsweise 3200 Tiger. Trotz Dutzender Schutzgebiete schwand ihre Zahl von etwa 5000 bis 7000 in den 90er Jahren, als ihr Lebensraum noch mehr als doppelt so groß war. Die Wilderei, getrieben von der Nachfrage nach Tigerteilen in der traditionellen chinesischen Medizin, stellt eine große Gefahr dar, ebenso wie die Abholzung von Wäldern und das Wachstum von Städten. Dadurch kommen die Großkatzen menschlichen Siedlungen immer näher und geraten in Konflikt mit Dorfbewohnern, die Angriffe auf sich selbst oder ihr Vieh fürchten. Einige Experten halten den Versuch, die Krankheit einzudämmen, angesichts des hohen Bevölkerungsdrucks für sinnlos. Stattdessen sollte sich das Land ihrer Ansicht nach auf bewiesene Gefahren für die Tiger wie die Wilderei konzentrieren. Quelle: dpa
Der World Wildlife Fond (WWF) hat seine Schätzungen, wie viele Tiger heute noch leben, dramatisch nach unten korrigieren müssen. Im Jahr 2000 ging der WWF noch von 5000 bis 6000 Raubkatzen in ganz Asien aus, mittlerweile leben nur noch etwa 3.200 der Großkatzen in freier Wildbahn. 70 Prozent aller Tiger leben in Zoos und Wildparks. Unterarten wie der der Java- oder der Bali-Tiger sind bereits ganz ausgestorben, weiße Tiger gibt es nur noch in Zoos. Gründe für das Verschwinden des Tigers sind neben Trophäenjagd und organisierte Wilderei der Raubbau am Lebensraum der Tiere: Ihr einstiges Verbreitungsgebiet erstreckte sich vom Kaukasus über Indien und China bis nach Sibirien. Um 1900 gab es schätzungsweise noch 100.000 Tiger in ganz Asien. Mittlerweile haben die freilebenden Tiger noch rund 100.000 Quadratkilometer Lebensraum, wenn man alle Gebiete zusammenrechnet. Das entspricht der Fläche der Insel Neufundland vor der kanadischen Nordküste. Quelle: REUTERS

Jede dritte untersuchte Art in Deutschland ist nach Angaben des Bundesamts für Naturschutz (BfN) gefährdet. Das geht aus dem am Mittwoch vorgestellten ersten umfassenden Artenschutz-Report hervor. Ob Rebhuhn oder Wildbienen: „Der Zustand der Artenvielfalt in Deutschland ist alarmierend“, sagte BfN-Präsidentin Beate Jessel. Das nationale Ziel, den Verlust der biologischen Vielfalt in Deutschland aufzuhalten, werde bislang verfehlt, betonte die Professorin. Eine wichtige Ursache hierfür sei die intensive Landwirtschaft. Jessel forderte eindringlich, die Anstrengungen für den Naturschutz zu verstärken. Umweltorganisationen wie WWF, BUND und NABU werten den Bericht als Alarmsignal.

Besonders dramatisch ist dem Bericht zufolge die Situation bei den wirbellosen Tieren, zu denen Insekten gehören: Knapp 46 Prozent der untersuchten Arten und Unterarten sind bedroht, extrem selten oder ausgestorben. Mit Sorge beobachten Experten dabei auch die negative Entwicklung aller 600 Wildbienenarten in Deutschland. Fast 28 Prozent der Wirbeltierarten - Süßwasserfische, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere - seien in ihrem Bestand gefährdet. Die Situation bei den Brutvögeln hat sich laut Bericht spürbar verschlechtert. „Allerweltsarten“ unter den Agrarvögeln wie Kiebitz und Feldlerche gehe es kontinuierlich schlechter, sagte Jessel. Beim Kiebitz hat sich demnach der Bestand auf ein Drittel bis ein Viertel reduziert. Beim Rebhuhn gebe es sogar einen Rückgang von 90 Prozent.

Diese Tiere begeistern die Forscher
Forscher haben in den Anden in Peru eine neue Wasserfroschart entdeckt. Der "Telmatobius ventriflavum", also der "Gelbbauch" gehört zur bedrohten Gattung der "Telmatobius", die beispielsweise in Ecuador bereits als ausgestorben gelten. Quelle: A. Catenazzi
Wissenschaftler aus den USA haben 2013 eine neue Tierart entdeckt, den "Olinguito (Bassaricyon neblina)". Ein brauner Pelz, dunkle Knopfaugen, runde Ohren und eine stupsige Schnauze mit Barthaaren – wie eine Mischung aus Teddybär und Hauskatze sieht der Olinguito aus. Das neu entdeckte Tier lebt in den Nadelwäldern der Anden. Allerdings ist der Lebensraum der Olinguitos bedroht. 42 Prozent ihres Lebensraums ist bereits Feldern oder Wohnraum gewichen, heißt es in der Veröffentlichung. Quelle: Reuters
Ein nur sieben Millimeter großer Frosch ist seit Sommer 2013 das kleinste bekannte Wirbeltier der Welt. Der Frosch mit dem lateinischen Namen Paedophryne amauensis lebt im Regenwald von Papua-Neuguinea. Er wurde von der Universität von Arizona in Tempe für die Liste ausgewählt. Viele der dort genannten Tiere und Pflanzen wurden schon vor langer Zeit entdeckt, aber erst 2012 als neue Art beschrieben. Quelle: dpa
Erstmals seit 28 Jahren stießen Biologen in Afrika auf eine noch unbekannte Affenart. Das Lesula-Äffchen (Cercopithecus lomamiensis) lebt versteckt in der Lonami-Region des Kongo. Es hat „menschenähnliche“ Augen, männliche Tiere fallen außerdem durch einen leuchtend blauen Hautstreifen über ihrem Hinterteil und dem Geschlecht auf. Männchen wie Weibchen sollen das Morgengrauen lautstark mit einer ihnen eigenen Art von Affentanz begrüßen. Quelle: dpa
Ein fleischfressender Schwamm begeisterte die Forscher mit seinen harfenähnlichen Armen. Es ist kein Wunder, dass er bisher verborgen blieb - Chondrocladia lyra lebt über drei Kilometer tief im Pazifik vor der Küste von Kalifornien. Quelle: dpa
Diesen Schmetterling mit durchsichtigen Flügeln und einem spinnenförmigen Fleck darauf, entdeckten Biologen auf der Internetseite des Fotodienstes Flickr. Über Umwege identifizierten sie das Insekt als neue Art und benannten es nach der Tochter (Jade) des Fotografen: Semachrysa jade. Die Art wurde von der Universität von Arizona in Tempe (USA) für die Liste der skurrilsten Entdeckungen 2012 ausgewählt. Quelle: dpa
Eine fluoreszierende Kakerlake vom Tungurahua Vulkan in Ecuador schaffte es 70 Jahre nach ihrem Fund auf die Artenliste. Inzwischen könnte das leuchtende Insekt ( Lucihormetica luckae), das seine Feinde ähnlich abschreckte wie ein giftiger Käfer, nach Meinung der Autoren schon ausgestorben sein. Quelle: Presse

Der Bericht nennt aber auch Erfolge durch gezielte Maßnahmen: Der Wolf ist zurück, der Biber hat sich erholt, der Schwarzstorch und der Seeadler. Auch der Äskulapnatter (Zamenis longissimus) geht es etwas besser. Die einst fast verschwundene Kegelrobbe ist in die Nordsee zurückgekehrt und jetzt auch in der Ostsee gesichtet worden. „Das sind erfolgversprechende Zeichen, die zeigen, dort wo man aktiven Naturschutz betreibt, da lohnt er sich eben auch“, sagte Jessel.

Laut Artenschutz-Report kommen in Deutschland insgesamt rund 72 000 Tier-, Pflanzen- und Pilzarten vor. In der Roten Liste Deutschlands wurden demnach mehr als 32 000 heimische Spezies auf ihre Gefährdung hin untersucht, mit einem nach BfN-Einschätzung ernüchternden Ergebnis: Rund 31 Prozent sind demnach in ihrem Bestand gefährdet, vier Prozent bereits ausgestorben. Die intensive Landwirtschaft stehe bei den Ursachen an vorderster Stelle. „Früher hat der Bauer auch mal ein paar Halme stehenlassen. Der Feldhamster hatte was zu knabbern, die Vögel hatten dann auch noch was“, beschrieb BfN-Sprecher Franz August Emde beispielhaft Änderungen in der Bewirtschaftung. Heute werde auch der letzte Halm verwertet und es gebe riesige Monokulturen.

In der Agrarförderung müsse eine Umschichtung stattfinden von den reinen Flächenprämien hin zur gezielten Förderung von Maßnahmen, die bestimmten Arten zugutekommen, meinte Jessel - beispielsweise für das Anlegen blühender Ackerrandstreifen oder für die weniger intensive Nutzung von Wiesen und Weiden. Außerdem sei ein bundesweites Verbot für die Umwandlung von Grünland in Ackerflächen notwendig. In einem Acht-Punkte-Programm fordert das BfN ein effektives Management der bestehenden Schutzgebiete und eine Vernetzung, damit Tiere wandern können. Grünbrücken seien so eine positive Maßnahme.

„Der Bericht legt den Finger in die Wunde. Wir erleben in Deutschland eine alarmierende Krise der biologischen Vielfalt“, teilte Christoph Heinrich von der Umweltorganisation WWF mit. „Die Bundesregierung ist meilenweit davon entfernt, ihre eigenen Ziele beim Artenschutz zu erreichen.“ Mit der Nationalen Strategie für biologische Vielfalt seien 2007 gute und ambitionierte Ziele gesetzt worden. Es hapere jedoch an der Umsetzung. Der Naturschutzbund NABU findet den Report alarmierend. „Die aktuelle Lage der Natur muss ein Weckruf an die Politik sein“, sagte NABU-Präsident Olaf Tschimpke. „Die Lösungen liegen auf der Hand“, findet er: Stärkere Vernetzung der Lebensräume, besseres Management der Schutzgebiete und weniger Einfluss des Menschen auf die Natur.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) fordert in Deutschland und Europa ein Sofortprogramm, „das bis 2020 konkrete Artenschutzerfolge bewirkt“. „Kernelement des Artenschutzes müssen Reformen in der Landwirtschaft sein. Die industrielle Landwirtschaft verursacht zurzeit die größten Schäden an Natur und Umwelt“, sagte BUND-Vorsitzender Hubert Weiger.

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