Das Ende des Wachstums Forscher fordern Vorsorge für die Zeit nach dem Wachstum

Weder „Grünes Wachstum“ noch Schrumpfung sind realistische Positionen, heißt es in einer neuen Studie des Umweltbundeamtes. Es gehe vielmehr darum, die Gesellschaft unabhängiger vom Wachstum zu machen.

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Eine der großen Herausforderungen der Zukunft sei, so verkündete Annegret Kramp-Karrenbauer in ihrer Bewerbungsrede für den CDU-Vorsitz, „das, was wir heute an Wohlstand, an gutem Leben in diesem Land haben, auch für die Zukunft sicherstellen“ zu können. Angesichts der Digitalisierung müsse man fragen: „Was behindert Dynamik, was behindert Innovation? Und was fördert sie?“

Die möglicherweise künftige Regierungschefin Deutschlands geht von einer Annahme aus, die in Politik und Wirtschaft zentrale Grundlage allen Denkens und Handelns ist: Wir müssen für weiteres Wirtschaftswachstum sorgen, dafür günstige Bedingungen schaffen. Nur dies sichert „Wohlstand“ und „gutes Leben“. Doch Wissenschaftler hinterfragen diese Annahme.

Jenseits des politischen und ökonomischen Tagesgeschäfts ist längst – im Grunde spätestens seit Erscheinen der „Grenzen des Wachstums“ 1972 – klar, dass der Imperativ des Wirtschaftswachstums, der die Politik in Ost und West seit Ende des Zweiten Weltkriegs bestimmt, in einem Widerspruch steht zu einem anderen, grundsätzlicheren Imperativ: Der Akzeptanz dessen, was man heutzutage als Universalist meist „planetare Grenzen“ nennt, altmodischerweise aber auch einfach Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. Einfach nur weiter nach BIP-Wachstum streben ohne Rücksicht auf die Lieferantin der dazu notwendigen Ressourcen – die Natur – führt direkt und immer unübersehbarer in existentielle Krisen.

Eine Studie mit dem Titel „Gesellschaftliches Wohlergehen innerhalb planetarer Grenzen“, die das Umweltbundesamt jetzt erstmals auf einer Tagung präsentierte, teilt die Antworten, die aus der ökologischen Bewegung hervorgegangen sind, in zwei Gruppen ein. Deren Thesen widersprechen sich deutlich: Da ist einerseits das Konzept des „Degrowth“. Seine Anhänger, in Deutschland steht für sie vor allem der Ökonom Niko Paech, fordern eine radikale Abkehr vom Wachstumsparadigma des 20. Jahrhunderts. Diese Umkehr-Propheten der Gegenwart halten das Ende des Wachstums, ja sogar eine allmähliche Schrumpfung (degrowth) der Wirtschaftsleistung in den Wohlstandszonen der Welt für erstens geboten und letztlich ohnehin unvermeidlich, um die Überbeanspruchung der Natur zu beenden. Zweitens halten sie weitere Steigerung der Produktion für nicht notwendig, um die Lebensqualität in den entwickelten Gesellschaften aufrecht zu erhalten.

Diese Position steht in einem fundamentalen Widerspruch zu der zweiten, mittlerweile sehr viel populäreren Position des „Grünen Wachstums“ („Green Growth“) – den die Autoren in einer in der Öko-Szene seltenen, dankenswerten Offenheit darlegen.

Green-Growth-Anhänger wie der Grünen-Politiker und ehemalige Böll-Stiftungschef Ralf Fücks („Intelligent wachsen“) sind erstens überzeugt, dass weiteres Wirtschaftswachstum auch in früh industrialisierten, wohlhabenden Volkswirtschaften notwendig ist, um Lebensqualität zu halten oder zu erhöhen. Zweitens sind sie gewiss, dass durch entsprechende Green-Growth-Instrumente (technische Innovation vor allem) der Verbrauch von natürlichen Ressourcen immer weiter reduziert und die Wirtschaft somit ökologisch „entkoppelt“ werden könne, sodass die Wirtschaftsleistung in qualitativ anderer Weise weiterhin wachsen könne.

Das ist also der Anspruch, die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie gefunden zu haben. Diese Versöhnung ist, sofern sie glaubhaft bleibt, vermutlich auch für die Höhenflüge der grünen Partei in Deutschland entscheidend.

Die Thesen beider Positionen haben jeweils Schwächen, wie die Autoren um Ulrich Petschow vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung deutlich machen. Zwar kann man gemäß verbreiteter philosophischer Theorien tatsächlich davon ausgehen, dass weiterer materieller Reichtum Menschen oder Gesellschaften nicht glücklicher macht und die Lebensqualität (was immer man darunter auch genau versteht) ab einem gewissen Niveau nicht mehr steigt.

Allerdings können Degrowth-Vertreter nicht überzeugend zeigen, dass diese Lebensqualität erhalten bleibt, wenn das BIP deutlich sinkt. Die Unzufriedenheit der Italiener mit ihren bisherigen Regierungspolitikern und ihr Wahlverhalten sprechen dafür, dass abnehmender Wohlstand auch in einem reichen Land durchaus unzufrieden macht. Außerdem tendieren Degrowth-Vertreter dazu, den Machtwillen und Ehrgeiz von Wirtschaftsakteuren zu negieren – die Wachstumswirtschaft ist auch eine „positionale und hedonistische Tretmühle“.

Eine entscheidende Frage ist, ob man die bislang ohne Zweifel bestehende Korrelation zwischen Wachstum und Ressourcenverbrauch beziehungsweise Naturzerstörung für überwindbar hält oder nicht. Die gesellschaftlich und politisch dominierende Antwort lautet: ja, eben durch ressourcenschonendes, „grünes Wachstum“. Die deutsche Energiewende ist ein Ergebnis dieses Hoffens auf künftige Innovationen. Aber es ist eben nur eine Hoffnung, keine Gewissheit.

Noch dominanter als diese positive Hoffnung dürfte die negative Angst sein: vor dem Zusammenbruch der ökonomischen und sozialen Funktionssysteme durch anhaltendes Null-Wachstum oder Schrumpfung. Selbst wenn Ehrgeiz, Hedonismus und Positionsdenken der Wirtschaftsakteure (Wir erinnern uns an den Sparkassen-Werbespot: „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“) durch kulturellen Wandel überwindbar sein sollten, wie Degrowth-Autoren das in Aussicht stellen: Geldsystem/Kreditwesen und Sozialversicherungen sind zweifelsohne wachstumsabhängig konstruiert.

Das wird tatsächlich eine der großen politischen Aufgaben des 21. Jahrhunderts sein: Die wachstumsabhängig konstruierten Wohlfahrtsstaaten so zu reformieren, dass Nachhaltigkeitskatastrophen durch dauerhaftes Überschreiten „planetarer Grenzen“ vermieden werden. Bislang hat für die Wohlstandsgesellschaften und ihre politischen Eliten der Erhalt der wachstumsabhängigen Strukturen eindeutig Vorrang. Das Nicht-Überschreiten der „planetaren Grenzen“ ist eher ein optimistisches Versprechen, getragen von der Beschwörung der Hoffnung auf die alles möglich machenden Innovationen – grünes Wachstum eben.

Vernünftiger wäre, so die Autoren der Umwelt-Bundesamt-Studie, die Wachstumsabhängigkeit der gesellschaftlichen Systeme vorsorglich zu reduzieren - als Alternative zu den beiden vorgenannten, unvereinbaren und auf ihre jeweils eigene Weise wirklichkeitsfremden Positionen. Sie regen an, was sie eine „vorsorgeorientierte Postwachstumsposition“ nennen: Dazu gehörten forcierte kulturelle Veränderungen von der seit 1945 dominierenden „culture of growth“ hin zu einer „culture of sustainability“.

Geht es nicht konkreter? Nun ja, kaum. Noch mehr „Anpassung der ökonomischen Rahmenbedingungen, insbesondere durch den entschlossenen Einsatz von (marktbasierten) Instrumenten zur Internalisierung umweltschädlicher externer Effekte“ fordert man. Aber zur Frage, wie Sozialversicherungen oder das Finanzsystem wachstumsunabhängiger werden könnten, haben die Autoren letztlich nichts anzubieten. Das ist ihnen nicht vorzuwerfen. Man muss leider feststellen: In dieser Hinsicht ist im Grunde in den vergangenen Jahrzehnten seit Erscheinen der „Grenzen des Wachstums“ und trotz der seitherigen Erfolgsgeschichte der grünen Partei, nicht viel geschehen. Und so fordern die Studien-Autoren im Grunde auch nichts anderes, als sich langsam vorzutasten, also: „Soziale Experimente und gesellschaftliche Lernprozesse fördern, so dass bisher unbekannte Pfade zu einer nachhaltigen Entwicklung ermöglicht werden“, die sich an „Leitgedanken wie dem Vorsorgeprinzip und gesellschaftlicher Resilienz“ orientieren sollten.

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