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Dramatische Zustände in Schweinezuchtbetrieben Veterinärämter sind mit Tierschutz überfordert

Recherchen von Tierschützern zeigen dramatische Zustände in Schweinezuchtbetrieben. Die Bauern verstoßen anscheinend gegen EU-Recht. Die Veterinärämter sind überfordert.

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Ariwa-Recherchen zur Schweinezucht

Eine Recherche der Tierschutzorganisation Animal Rights Watch (Ariwa) zeigt erbärmliche Zustände in deutschen Massenzuchtbetrieben. Schwache Zuchtsauen stehen bei Dauerbeleuchtung in sogenannten Kastenständen, die den Tieren kaum Platz bieten. Dazwischen stolpern verwirrte und verletzte Ferkel über die Kadaver ihrer Artgenossen. Mit solchen drastischen Bildern will Ariwa belegen, dass Schweinezuchtbetriebe in Deutschland EU-Recht brechen.

Laut einer EU-Richtlinie dürfen trächtige Zuchtsauen seit Anfang des Jahres nicht mehr dauerhaft in Kastenständen gehalten werden. Auch Dauerbeleuchtung ist verboten. Doch die Video-Aufnahmen, die die Tierschützer nach eigenen Angaben unbemerkt nachts in mehreren Massenbetrieb gemacht haben, zeigen genau das. Die Mitarbeiter der Veterinärämter, die jeweils für ihren Landkreis zuständig sind, sollten solche Betriebe überprüfen. Doch die sind überfordert. "Vor allem die großen Mastbetriebe werden nicht ausreichend kontrolliert", sagt Erasmus Müller von Ariwa. "Niemand hat Zeit sich die großen Gelände mit tausenden Tieren in Ruhe anzuschauen." In der Praxis fehle es häufig an Personal, sagt der Tierschützer.

Pferd, Hai, Meerschweinchen - welche Tiere gegessen werden
PferdEin traditionelles Pferdefleischgericht ist der Rheinische Sauerbraten. Da der deutsche Pferdefleischkonsum rückläufig ist, greifen Köche dabei als Ersatz oft auch zu Rindfleisch. Quelle: dpa
SchneckenIn Frankreich gelten gratinierte Weinbergschnecken im eigenen Gehäuse und mit einer speziellen Kräuterbutter als Vorspeise. In Italien werden sie aus ihren Häusern gezogen, in Baumöl getaucht und mit Salz und Pfeffer gewürzt. In Deutschland servieren Köche die Tiere entweder als „Badische Schneckensuppe“ oder als Salat mit Essig, Öl, Salz und Pfeffer. Quelle: AP
HaiIn China erfreut sich Haifischflossensuppe wachsender Beliebtheit. Die aus der Region um Hong Kong stammende Suppe wird vor allem für ihre Konsistenz geschätzt. Grundlage bildet die knorpelige Substanz der Haiflossen. Diese werden solange in Hühnerbrühe gekocht, bis sie sich in ihre Bestandteile auflösen. Eine isländische Spezialität ist Hákarl, das aus fermentiertem Hai besteht. Geschmack und Geruch dieses Gerichts sind sehr intensiv – nur aufgrund seiner Fermentierung wird es überhaupt erst genießbar. Grund ist die Harnstoffansammlung im Hai, die nur langsam abgebaut wird. Quelle: REUTERS
MeerschweinchenIn Deutschland ein Haustier, in Peru ein Masttier: Das Fleisch von Meerschweinchen gehört zu den traditionellen peruanischen Hochzeitsgerichten. Quelle: RK from The Netherlands, Creative Commons: CC BY-SA 3.0
InsektenAußer in westlichen Kulturen gehören Insekten fast überall auf der Welt auf den Speiseplan. Ob verschiedene in Sand und Asche gegarte Larvenarten bei den australischen Ureinwohnern, mit Schokolade überzogene Heuschrecken in Mexiko oder gekochte Wespenlarven in Japan. Teils gelten Insekten als Delikatessen. So werden „Escamoles“ – mit Öl und Knoblauch gemischte Larven zu Tortillas – als mexikanischer Kaviar bezeichnet. Quelle: Takoradee, Creative Commons: CC BY-SA 3.0
KatzeWie Hunde- so wird auch Katzenfleisch vor allem in China, Korea und Vietnam gegessen. Das Fleisch wird dabei häufig zu Fleischbällchen verarbeitet. In Peru wird Katzenfleisch während des Santa-Efigenia-Festivals zubereitet. Quelle: dpa
KänguruKänguru-Fleisch kommt aus Australien, wird dort jedoch vor allem exportiert – davon gehen 80 Prozent nach Europa. Das Fleisch gehört zu den traditionellen Nahrungsmitteln der Aborigines, den australischen Ureinwohnern. Generell hat es im Land den Ruf eines minderwertigen „Bush Foods“. Kängurus leben in Australien vor allem in freier Wildbahn und vermehren sich dort sehr schnell, da sie keine natürlichen Feinde haben. Deshalb wird jährlich auf Antrag von Farmern eine bestimmte Anzahl von Kängurus durch staatlich zugelassene Jäger erlegt – deren Fleisch dann auch auf deutschen Tellern landet. Quelle: REUTERS

Ähnliches hat auch Matthias Gauly, Leiter der Arbeitsgruppe Produktionssysteme der Nutztiere an der Universität Göttingen, beobachtet. "Das Personal wurde über viele Jahre hinweg abgebaut. Gleichzeitig kamen vielfältige Aufgaben dazu." Er fordert eine Stellenaufstockung in den Veterinärämtern.

"Nicht die bundesweite Realität"

Laut Bundeslandwirtschaftsministerium seien die EU-Vorgaben in deutschen Schweinemastbetrieben zu 99,2 Prozent umgesetzt. Diese Angaben werden von den Landesbehörden übermittelt. "Verstöße gegen das EU-Recht müssen geahndet werden", sagte eine Sprecherin. Die Kontrollen seien allerdings Ländersache. Laut Presseberichten seien in Thüringen nur stichprobenartig Kontrollen durchgeführt worden. In Niedersachsen sind laut Landwirtschaftsministerium alle rund 2700 Schweinezuchtbetriebe kontrolliert worden.

"Die Bilder zeigen nicht die bundesweite Realität", sagt Thomas Blaha von der Tierärztlichen Hochschule Hannover. "Wir gehen davon aus, dass sich weit über 90 Prozent der Landwirte in Deutschland an die Gesetzesvorgaben halten." Da die Veterinärämter auf Landkreisebene organisiert sind, sieht Tierschützer Erasmus Müller ein weiteres Problem in vielen Landkreisen: "In der Regel sind die Mitarbeiter des Veterinäramts selbst stark im ländlichen Raum eingebunden. Kontrollen im Sinne der Tiere und hartes Durchgreifen sind da schwierig."

Aus für kleine Betriebe

Von Pferdelasagne und Ehec-Sprossen
2016: Plastik im SchokomantelAbermillionen Schokoriegel müssen in die Werkstatt – sozusagen. Nachdem eine Kundin in einem Marsriegel auf ein Stück Plastik gebissen hat, hat der Hersteller mit einer gigantischen Rückruf-Aktion begonnen. Sie gilt mittlerweile für alle Staaten der Europäischen Union, mit Ausnahme von Bulgarien und Luxemburg. Betroffen sind Riegel der Marken Mars und Snickers mit einem Mindesthaltbarkeitsdatum vom 19. Juni 2016 bis 8. Januar 2017 zurück; zudem alle Produkte der Marke Milky Way Minis und Miniatures sowie mehrere Celebrations-Mischungen mit diesem Mindesthaltbarkeitsdatum. Quelle: dpa
2016: Glyphosat und Malz, Gott erhalt'sPro Jahr konsumiert ein Deutscher durchschnittlich 107 Liter Bier. Und damit nicht nur, streng nach dem deutschen Reinheitsgebot, Wasser, Hopfen, Hefe und Malz, sondern auch noch eine gerüttelte Menge Glyphosat – das weltweit meist eingesetzte Pestizid. In deutschen Bieren wurden Mikrogrammwerte deutlich über den Grenzwerten für Trinkwasser gemessen, im krassesten Fall 300-fach über dem Grenzwert. Direkte Gefahr für die Gesundheit besteht allerdings nicht. Quelle: dpa
2014: Dänischer Wurstskandal erreicht DeutschlandIn Dänemark stellte sich 2014 heraus, dass Produkte des Wurstherstellers Jørn A. Rullepølser mit Listerien-Bakterien verseucht waren. Listerien sind für gesunde Menschen in aller Regel ungefährlich, allerdings ein Risiko für immungeschwächte Personen und schwangere Frauen. In Dänemark starben innerhalb von 30 Tagen zwölf Menschen, 15 weitere erkrankten. Der Betrieb wurde geschlossen, die Produkte zurückgerufen. 160 Kilogramm waren auch an einen deutschen Supermarkt in Schleswig-Holstein an der dänischen Grenze gegangen – sie waren bereits verkauft, bevor sie sichergestellt worden konnten. Verbraucher wurden gebeten, die Wurst zu vernichten oder zurückzugeben. Quelle: dpa
2014: Käse mit ColiDas Unternehmen Vallée-Verte rief die zwei Käsesorten „Saint Marcellin“ und „Saint Felicien“ zurück. In den Produkten der französischen Käserei Fromageries L'Etoile wurden Coli-Bakterien nachgewiesen. Diese können innerhalb einer Woche nach Verzehr zu teils blutigem Durchfall, Bauchschmerzen, Erbrechen sowie Fieber führen. Gerade bei Kindern besteht außerdem die Gefahr von Nierenkomplikationen. Quelle: dpa
2014: Von wegen Edel-Hähnchen2014 deckte die „Zeit“ auf: Das Neuland-Gütesiegel, gegründet vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), dem deutschen Tierschutzbund und der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft, als ganz besonderes Qualitätssiegel hielt bei Brathühnchen nicht so ganz, was es versprach. Eigentlich sollten Neulandtiere aus Freilandhaltung stammen, gefüttert mit Körnern aus der Region. Tatsächlich stammen in Norddeutschland viele Tiere aus einem ganz gewöhnlichen industriellen Schlachtbetrieb in Niedersachsen. Quelle: dpa
2013: Pferd in der LasagneZusammen mit der Ehec-Epidemie wohl der aufsehenerregendste Lebensmittel-Skandal der vergangenen Jahre: 2013 stellte sich heraus, das Rindfleisch in mehreren Fertiglasagnen aus der Tiefkühlung war eigentlich Pferd. Im Anschluss wurden in Labortests rund 70 Fälle von falsch etikettierten Fertigprodukten nachgewiesen. Die größte Menge an Pferdelasagne gab es in Nordrhein-Westfalen mit 27 Fällen, gefolgt von Hessen (13), Baden-Württemberg (8) und Bayern (8). Weitere betroffene Länder waren Mecklenburg-Vorpommern (5), Brandenburg (4) und Hamburg (2). Quelle: REUTERS
2013: Noch mehr PferdBegonnen hatte der Skandal in Irland und Großbritannien, wo bereits im Januar Hamburger-Frikadellen auftauchten, die Spuren von Pferd enthielten. Bei Hamburgern der Marke Tesco waren es sogar deutlich mehr als nur „Spuren“: Sie bestanden zu 23 Prozent aus Pferdefleisch. Die Tiefkühl-Hackbällchen „Köttbullar“ der Möbelhaus-Kette Ikea in tschechischen Häusern enthielten ebenfalls Pferd und flogen daraufhin aus dem Sortiment – zum Ausgleich landete in schwedischen Tiefkühlregalen Lasagne mit einem Pferdefleischanteil von bis zu 100 Prozent. In ganz Europa wurden schließlich Händler festgenommen, die falsch deklariertes Fleisch verkauften. Quelle: dpa

Für die Mitarbeiter der Veterinärämter ist die Zahl der Kontrollen oft nicht zu bewältigen. Außerdem kündigen sie ihren Besuch lieber an, bevor sie an einem Betrieb vor verschlossenen Türen stehen. "Bei einer größeren Dichte der Höfe in den einzelnen Kreisen können die Veterinärämter nur eine Kontrolle je Tierbestand pro Dekade absolvieren", sagt Blaha. "Das ist sicherlich zu wenig." Das sei aber ein europaweites Problem.

Stattdessen fordert er eine risikooptimierte Überwachung der Schweinezuchtbetriebe. Demnach würden Betriebe, die bereits auffällig geworden sind, häufig überprüft. Unauffällige Betriebe müssten seltener kontrolliert werden, so der Experte.

Die EU-Vorgaben bedeuteten vor allem für kleinere Landwirte harte Einschnitte. Laut statistischem Bundesamt haben seit vergangenem Jahr rund 2000 vor allem kleinere Zuchtsaubetriebe dicht gemacht. "Die Abschaffung der Haltung von Sauen in Kastenständen hat vor allem nicht wenige kleine Betriebe zur Aufgabe der Tierhaltung veranlasst", sagt Blaha. "Die Gruppenhaltung von Sauen ist viel aufwändiger, da es sehr viel mehr Rangkämpfe zwischen den Sauen auftreten." Die Investitionen in den Umbau der Ställe und die aufwändigere Haltung wollten sich viele Landwirte schlicht nicht leisten.

Gleichzeitig äußern Experten und Landwirte Kritik an der Vorgehensweise der Tierschützer. "Die Tierschutzorganisationen machen das Richtige, sie legen den Finger in die Wunde. Dass sie dabei illegal vorgehen und in die Ställe der Landwirte einbrechen, ist aber der falsche Weg." Nicht nur die Verstöße gegen Tierschutzgesetze, sondern auch die "Treibjagd" auf die Landwirte sei unverzeihlich. Die Verantwortung sieht der Experte weder bei der Politik noch beim Verbraucher. "Der Einzelhandel müsste mit einer tierschutzorientierten Preisgestaltung stärker in die Verantwortung genommen werden."

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