Energie Das Ölzeitalter ist noch lange nicht vorbei

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Öl aus dem Boden kochen

Das Geschäft mit Ölersatzstoffen aus der Erdgasförderung boomt. Quelle: Reuters

Wie aber fördert man Öl, das keines ist? Einer, der nach Antworten sucht, ist Roger Day. Der 63-jährige Ingenieur ist schlaksig, fast zwei Meter groß, trägt Jeans und einen weißen Helm. Day arbeitet für American Shale Oil (Amso), ein Unternehmen, an dem unter anderem der französische Ölmulti Total beteiligt ist.

Day und seine zwölf Mitarbeiter haben mitten in Colorados steinigem Hinterland eine Testanlage aufgebaut: Zahlreiche Container mit Laboren und Computern stehen hier und zwei Bohrtürme, über denen US-Flaggen wehen. Ansonsten gibt es in 80 Kilometer Umkreis nur Geröll und geduckte Kiefern.

Wie das Kerogen nach oben kommen soll, weiß Day schon: Er will es aus dem Stein herauskochen. In rund 650 Meter Tiefe sollen Dutzende Rohre auf einer Fläche von mindestens zweieinhalb Quadratkilometern eine Art riesige Fußbodenheizung bilden.

Durch die eine Hälfte dieser Rohre will Day 500 Grad heißen Dampf einer Spezialflüssigkeit pumpen. Die Hitze soll binnen drei Wochen das Kerogen in Öldampf umwandeln. „Das, wofür die Natur Jahrmillionen brauchte, versuchen wir hier im Zeitraffer nachzustellen“, sagt er. Und weil sich die Substanz im gasförmigen Zustand ausdehnt, reicht der Druck, damit es durch ein zweites Rohrnetz nach oben steigt.

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Dort sollen Ingenieure den Öldampf verflüssigen und reinigen. Das Erdgas, das mit dem Öl nach oben steigt, treibt wiederum ein Kraftwerk an, das den Dampf produziert. Energie von außen wäre also unnötig. Schon 25 dieser Anlagen könnten laut Amso einen Markt wie Deutschland 30 Jahre lang mit Öl versorgen. Die Technik könnte zudem Kerogenvorkommen in Jordanien, Israel, Marokko und Australien erschließen.

Von diesem Ziel ist Roger Day in der Einöde von Colorado aber „noch zehn Jahre“ entfernt, wie er sagt. Zwar sind schon zwei Brunnen seiner Bodenheizung gebohrt. Bislang aber kämpft er mit dem Material. Die ersten Rohre hielten der Hitze nicht stand. Der Druck unter der Erde zerquetschte das warme Metall wie Cola-Dosen. Day entwickelte daher mit Materialexperten neue Stahllegierungen, die den Belastungen über Jahre standhalten sollen. Funktioniert das System, hofft er, Öl zu Kosten von 40 bis 80 Dollar pro Barrel fördern zu können.

Einige Unternehmen aber halten diese Rechnung für zu optimistisch. Shell etwa gab vor wenigen Wochen sein Kerogenprojekt gleich neben dem Amso-Testgelände auf, wo die Europäer leichter zugängliches Kerogen rund 300 Meter unter der Oberfläche fördern wollten. Der technische Aufwand, um das Grundwasser nicht zu gefährden, erwies sich für Shell als zu hoch.

Andernorts kratzen Unternehmen den Ölschiefer dagegen schon von der Oberfläche. Die staatliche Ölgesellschaft Enefit in Estland etwa fördert Kerogen im Tagebau. Riesige Bagger bauen es oberirdisch ab. Dann wird es in Kraftwerken erhitzt, und übrig bleiben Öl und Asche. Jetzt bemüht sich Enefit in Utah um Fördergenehmigungen für Vorkommen nahe der Oberfläche.

Die Kerogenvorkommen in den USA als wohl letzte Grenze der Ölförderung sind damit auch Blaupause für die Zukunft des schwarzen Rohstoffs als Ganzes. Christof Rühl, Chefökonom bei BP, bringt es auf den Punkt: „Alles lässt sich in Öl verwandeln. Man muss nur bereit sein, den ökonomischen und ökologischen Preis zu zahlen.“

Peak Oil, so viel ist inzwischen klar, ist technisch gesehen noch lange hin. Die Frage ist, wie lange es sich noch rechnet, das Ende des Ölzeitalters zu verzögern.

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