
Die Uhr tickt: 2022 sollen in Deutschland die letzten Atomkraftwerke vom Netz gehen. Damit dann nicht die Lichter ausgehen, sollen Stromautobahnen Windenergie aus dem Norden Deutschlands zu den Fabriken im Süden fließen lassen.
Doch einer wehrte sich lange gegen das Vorhaben. Landespatron Horst Seehofer (CSU) wollte in seinem Bayern keine der als Monstertrassen geschmähten Leitungen mit ihren hohen Masten dulden. So rang er Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) einen Kompromiss ab: Vor allem Erdkabel sollen nun den Grünstrom in den Südstaat bringen.





Acht mal so teuer wie eine normale Leitung
Was nach politischem Geniestreich klingt, hat einen großen Makel. Die Technik ist teuer und kaum in großem Maßstab erprobt. Für einen Kilometer überirdischer Leitung sind laut Netzbetreiber Tennet 1,5 Millionen Euro fällig, für Erdkabel aber je nach Beschaffenheit des Bodens aktuell drei bis acht Mal so viel. 3500 Kilometer neue Trassen plant Berlin, davon 2000 Kilometer Korridore mit Gleichstrom. Die transportieren die Energie effizienter als traditionelle Wechselstromleitungen.
Der Kompromiss der Koalitionäre könnte Stromkunden und Steuerzahler Milliarden kosten. „Es hat bei den Erdkabeln Techniksprünge gegeben. Ich halte es dennoch für ausgeschlossen, dass sie wirtschaftlicher als Freileitungen werden“, sagt Lutz Hofmann, Professor für elektrische Energieversorgung an der Universität Hannover.
So setzte sich der Strompreis 2014 zusammen
Rund 15,31 Cent pro kWh
4,70 Cent pro kWh
1,79 Cent pro kWh
2,05 Cent pro kWh
Noch 6,24 Cent pro kWh, ab 2015 wohl um die 6 Cent pro kWh
0,178 Cent pro kWh
0,092 Cent pro kWh
0,250 Cent pro kWh
0,09 Cent pro kWh
Effizientere Kabel
So hat ABB ein Gleichspannungskabel aus Kunststoff entwickelt, das Spannungen von 525 Kilovolt überträgt. Das sind fast zwei Drittel mehr als bei den 320-Kilovolt-Erdkabeln, die hierzulande bisher auf 360 Kilometern verlegt wurden. „Mit dem neuen Kabel können wir die Übertragungsleistung der geplanten Trassen auf 2,6 Gigawatt mehr als verdoppeln“, sagt Jochen Kreusel, der bei ABB das globale Programm für intelligente Übertragungsnetze leitet.
Möglich macht den Sprung ein neues Isolationsmaterial aus einem besonderen Kunststoff, der die Kupfer- oder Aluminiumadern in der Mitte umschließt. Es enthält weniger Ladungsträger, weshalb weniger Strom aus den 13 Zentimeter dicken Kabeln entweicht. Die Innovation hat einen gewaltigen Vorteil. Waren bisher vier Kabel nötig, um zwei Gigawatt zu übertragen, reichen nun zwei. Damit halbiert sich die Breite der Trasse auf zehn Meter, denn weniger Kabel brauchen weniger Fläche. Das dürfte Anwohner wie Naturschützer freuen, zudem entsteht laut Kreusel weniger Elektrosmog als bei Freileitungen, da Erdreich besser abschirmt als Luft. Die Erdoberfläche erwärme sich zwar durch die Leitung, aber um nicht mehr als zwei Grad.
Zuverlässigkeit von Erdkabeln ist unsicher
Die neuen Kabel sind leichter, was das Verlegen beschleunigt. „Kostenmäßig ist der Abstand zu den Freileitungen sehr viel kleiner geworden“, sagt Kreusel, ohne konkret zu werden. Leider haben die Hoffnungsträger einen enormen Nachteil. Sie sind noch nicht im großen Stil genutzt worden. „Niemand kann sagen, wie zuverlässig sie sind“, meint Forscher Hofmann. Bei dem Gedanken, den Leiter auf langen Strecken einzusetzen, werde ihm mulmig. „Wenn bei einer so wichtigen Trasse etwas kaputt geht, wird es schwierig, das Netz in Starkwindzeiten, also großem Stromangebot, stabil zu halten.“
Auch die Ingenieure von Siemens wollen Erdpassagen wirtschaftlicher machen. Sie setzen auf Aluminiumrohre, die große Energiemengen verlustarm übertragen. Die haben einen Durchmesser von 50 Zentimetern, ein Gasgemisch schirmt die enorme Spannung von rund 500 Kilovolt ab. Elektrosmog soll so nicht messbar sein.
Die Entwickler schätzen, die Trassenbreite auf sechs Meter reduzieren zu können. Die Kabel seien mindestens so effizient wie Freileiter, sagt Denis Imamovic von der Energy Management Division des Konzerns, und fast wartungsfrei. In ein bis zwei Jahren sollen sie einsatzbereit sein. Ein Feldversuch startet nächstes Jahr in Darmstadt. Doch auch Imamovic sagt nicht, was die Technik kostet.
Energie-Professor Hofmann fürchtet, sie sei wohl noch zu teuer. Und er vermutet bei größerer Nachfrage Produktionsengpässe. Augenscheinlich verspricht die Politik etwas, was die Ingenieure nicht halten könnten.