Zu den schönsten Stellen in Edgar Reitz’ Filmepos „Heimat“ zählt gleich die Anfangssequenz: Paul Simon, Sohn eines Schmieds, kehrt nach Jahren zurück aus dem Krieg, läuft über die kargen Hunsrückhöhen, sieht von Weitem den geduckten Kirchturm seines Heimatdorfs und weiß: Endlich bin ich zu Hause.
Wenn er heute in sein Dorf zurückkäme, sähe er schon aus der Ferne etwas ganz anderes: Schlanke Türme mit großen, weißen Propellern, die über den Hügeln kreisen, Dutzende von weiß-rot gestreiften Windrädern, die von Weitem aussehen, als hätte ein Riese sie wie buntes Spielzeug über die Landschaft verstreut, und sich von Nahem einschüchternd in die Höhe recken. Wahrscheinlich hätte der Heimkehrer Schwierigkeiten, heimisch zu werden zwischen den neuen Nachbarn, womöglich beschlichen ihn Urängste angesichts der groß geratenen Geräte, die demonstrativ von einem neuen Zeitalter künden: Nach der „langen Dauer“ der Agrikulturepoche und der kurzen Phase der Industrialisierung markieren die Windmühlen am deutlichsten die neue Zäsur in der Geschichte der Landschaft – den Eintritt in die postfossile Ära der erneuerbaren Energien.
Bruch mit den vertrauten Sehgewohnheiten
Für viele, vor allem die Älteren, wird sie als Bedrohung landschaftlicher und kultureller Identität wahrgenommen, als Angriff auf die Heimat. Ob Windenergieanlage, Maisplantagen oder Solarfelder: Der landschaftliche Formenwandel, der mit den Erneuerbaren einhergeht, bricht mit den aus Kindertagen vertrauten Sehgewohnheiten. Vor allem, wenn die Veränderungen sich rasch und ungesteuert vollziehen.
Im Rhein-Hunsrück-Kreis waren es Ende der Neunzigerjahre ein paar vereinzelte Windräder, die im Vorgarten energiebewusster Bürger Zeichen für die Zukunft setzten. Inzwischen rotieren zwischen Rhein, Mosel und Nahe mehr als 150 Anlagen, bis zum Jahr 2014, so meldet die lokale „Rhein-Zeitung“, sollen rund 370 Windräder errichtet werden. Allein in der Verbandsgemeinde Kirchberg stehen 52 Anlagen, 25 Anlagen könnten hinzukommen, sagt Verbandsbürgermeister Harald Rosenbaum. Nach einer ersten Phase der Zurückhaltung haben sich die Gemeinden, der Rechtsprechung folgend, flächendeckend der Windkraft geöffnet und fleißig Bauland ausgewiesen. Ein gutes Geschäft für die Ortsgemeinden: Bis zu 60 000 Euro Pacht pro Jahr zahlen die Windkraft-Betreiber für eine Anlage. „Die Ortschaften können ihre Bürgersteige vergolden“, sagt Werner Elsen von der Freien Wählergemeinschaft – und lassen es zu, dass ihre Landschaft verunstaltet wird?
"Niemand behauptet, dass Windräder schön seien"
Rosenbaum weiß, dass die ökologische Stromerzeugung „ihren Preis“ hat: „Niemand behauptet, dass die Windräder schön seien.“ Landschaftsästhetische Aspekte hätten bei den Kirchberger Planungen keine Rolle gespielt. Inzwischen seien sie ein „Riesenthema“. Der an der TU München lehrende Landschaftsarchitekt Sören Schöbel hat jetzt einen Leitfaden zur „landschaftgerechten Anordnung von Windfarmen“ vorgelegt. „Windenergie & Landschaftsästhetik“ heißt das Büchlein. Es genüge nicht, sagt der Autor, dass Windenergie- oder Solaranlagen als Technologie begrüßt werden, es komme darauf an, sie „sinnstiftend“ in die Landschaft einzufügen.
Wie das geht? Indem man sie, so Schöbel, der „Morphologie der Landschaft“ anpasst. Windräder sollen den typischen Reliefformen der Naturräume, den Kanten, Kämmen, Faltungen und Geländesprüngen der Landschaft folgen oder, wie im flachen Land, den Übergang von der Geestlandschaft in die Tiefebene mit ihren Becken und Urstromtälern markieren.
Vitalität und verblüffende Farbigkeit
Im Unterschied zu früheren Jahrhunderten, in denen durch Braunkohletagebau und Trockenlegung der Moore die Grundstrukturen der Landschaft umgepflügt wurden, verändern sich mit den erneuerbaren Energien, wie Schöbel sagt, „nur“ ihre „ästhetischen Eigenschaften“: Windenergieanlagen können zurückgebaut werden. Gerade wegen der riesigen Turmhöhen und Rotoren-Durchmesser der Windräder komme es darauf an, sie sinnvoll in die Landschaft zu integrieren, durch Anordnung in Kurven, Kreisbögen oder Parabeln, in Figuren und Formationen, die es dem menschlichen Auge erlauben, die Höhendimensionen zu bewältigen.
Schöbel will mit Windenergieanlagen keine neue Kunst, keine Land-Art, schaffen, er will sie für die Menschen „akzeptabler“ gestalten. Dafür sind Konzepte über Gemeindegrenzen hinweg nötig: Regionale Planungsgemeinschaften könnten die an der Topografie der Landschaft orientierte Zuordnung der Anlagen vorgeben.
Designer sind gefragt
Doch gerade die Regionalplanung, so Frank Lohrberg, Professor für Landschaftsarchitektur an der RWTH Aachen, sei in den vergangenen Jahren systematisch geschwächt worden: Sie reagiere defensiv und argumentiere „mit retrospektiven Empfindlichkeiten“, statt „neue Szenarien zu eröffnen“. Die Folge: Es gebe niemanden, der die Energiewende gestalten, der die Konzepte für das Zusammenspiel von Windmühlen und Topografie umsetzen könne. „Neue Allianzen“ seien gefragt: Anlagenbauer, „die auch die Landschaft sehen“, staatliche Planung, die „neue Raumqualitäten anstrebt“, und Designer, die das Produkt Windkraft gestalten.
Der Spielraum ist freilich begrenzt. Selbst einem Meister wie Norman Foster fiel nicht viel mehr ein als der sonst eckigen Gondel ein eiförmiges Gewand zu verpassen. Ähnlich wirkungslos sind die Versuche, einen Farbverlauf auf die Säulen aufzutragen, der die Windmühlen den Farben der Landschaft anpassen soll. Die Szenarios für neu gestaltete, experimentelle Energielandschaften liegen einstweilen noch in den Schubladen der Planer, reale Beispiele kann man an einer Hand abzählen: Da gibt es etwa den Energieberg Georgswerder, ein Projekt der IBA Hamburg mit vier Windrädern und einer auf 10 000 Quadratmeter Fläche konzipierten Fotovoltaikanlage, oder den Lausitzer Tagebau Klettwitz, wo ein Windenergiepark in Nachbarschaft der Tagebaugrube entstanden ist.
Mehr Mut, mehr Experimente
Lohrberg hat im Auftrag der Regionale 2010 Köln-Bonn mit seinem Stuttgarter Landschaftsarchitekturbüro und dem Forschungszentrum Jülich vorgeschlagen, neue Formen des Biomasseanbaus zu erproben. Statt Maisfelder sollen im Rheinland „bunte Wiesen“ entstehen, „wie im Allgäu“. In Gelsenkirchen entwickelt er im Auftrag der RAG für den Standort der ehemaligen Zeche Hugo ein Parkkonzept für Biomasse: In Reihe gepflanzte Pappeln und Weiden sollen alle paar Jahre abgeerntet werden, um Hackschnitzel zu gewinnen. „Wir greifen die Schönheit der Reihe auf“, sagt Lohrberg, „die Vitalität und verblüffende Farbigkeit des frischen Austriebs nach der Ernte. So wird aus dem profanen Holzacker ein Park – so hoffen wir.“
Lohrberg ist für mehr Mut, für mehr Experimente in und mit der Landschaft. Warum etwa, fragt er, sind Windräder nicht auch als Aussichtstürme zu nutzen, um ihr „landschaftssteigerndes Potenzial“ dem Publikum zugänglich zu machen? In den nächsten Jahren entscheide es sich, ob wir unsere Landschaften „im Sinne eines großen Heimatmuseums bewahren“ oder ob der Energiehunger auch „vor der Haustür“ zu neuen Energielandschaften führt.
Wenn Nebenschwaden ziehen
In Morbach im Hunsrück, dem Heimatort von Edgar Reitz, erhält man einen Vorgeschmack auf derartige Landschaften. Auf dem 145 Hektar großen Gelände des ehemaligen Munitionsdepots der US-Luftstreitkräfte ist vor zehn Jahren die „Energielandschaft Morbach“ entstanden. 14 Windräder drehen sich über dem Hügel. Auf den Terrassen sind reihenweise Fotovoltaikanlagen aufgeständert. Die Abwärme des Biogaskraftwerks wird in die ehemalige Bombenwartungshalle geleitet, zum Trocknen von Holzpellets.
Michael Grehl, der Energiebeauftragte der Kommune, erläutert an einem Schaubild des Info-Zentrums den Morbacher Energiekreislauf: „45 bis 50 Millionen Kilowattstunden im Jahr, das reicht, um Morbach üppig mit Strom zu versorgen.“
Windenergieanlagen im Jahr 2011 | |
Niedersachsen | 5501 |
Brandenburg | 3053 |
Nordrhein-Westfalen | 2881 |
Schleswig-Holstein | 2705 |
Sachsen-Anhalt | 2352 |
Mecklenburg-Vorpommern | 1385 |
Rheinland-Pfalz | 1177 |
Sachsen | 838 |
Hessen | 665 |
Thüringen | 601 |
Bayern | 486 |
Baden-Württemberg | 378 |
Saarland | 89 |
Bremen | 28 |
Hamburg | 15 |
Kein Wunder, dass die Erneuerbaren beliebt sind. Nicht nur in Morbach. Bürgermeister Andreas Hackethal verweist auf insgesamt 33 000 Besucher aus 90 Ländern. Als Chef einer Einheitsgemeinde kann der Bürgermeister den Bau von Windrädern gezielt an einem Standort bündeln, im Gegensatz zu Verbandsgemeinden mit „Kleinststrukturen“ wie Kirchberg oder Kastellaun, wo der Wettlauf um Standorte dazu geführt habe, dass „auf jedem Maulwurfshügel“ eine Anlage entstanden ist. Die notorische „Verspargelung“ ist in Morbach kein Thema. 350 000 Euro Pacht jährlich spült die Energielandschaft in die Gemeindekasse.
Schon denkt die Gemeinde daran, die Windenergieanlagen über einen Fonds, an dem die Bürger sich mit Beträgen ab 500 Euro beteiligen könnten, in Eigenregie zu betreiben. Das vergoldet zusätzlich den Blick auf die Morbacher Windmühlen.
„Die bieten von meinem Bürofenster aus jeden Tag ein neues Bild“, sagt Bürgermeister Hackethal, „morgens, wenn Nebelschwaden am Boden ziehen, gucken nur die Propeller raus, abends schimmern sie in der Sonne: ein schöner Anblick.