Schon heute erbringt London etwa die Hälfte der britischen Wirtschaftsleistung; die mehr als 6000 Technologieunternehmen in und um San Francisco – von Google bis Apple – haben unser Leben um Suchmaschinen und das iPhone bereichert. IT-Konzerne wie Cisco, IBM und Siemens preisen die digitale Vernetzung aller Lebensbereiche einer Kommune als Königsweg und hoffen auf Aufträge.
Sie werden kommen. Die Beratung Arthur D. Little sagt voraus, dass sich die Umsätze mit der intelligenten Aufrüstung unserer Städte weltweit schon in vier Jahren auf 2,1 Billionen Dollar verdoppeln werden – das entspricht der jährlichen Wirtschaftsleistung Frankreichs.
Zu nichts weniger als zur „Avantgarde der digitalen Transformation“ will der italienische Vordenker Carlo Ratti die Städte machen. Der Ingenieur und Architekt vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) möchte sie dazu mit Sensornetzwerken überziehen, die jede Regung registrieren. Die Echtzeitdaten, so Rattis Vision, bringen Transparenz, vereinfachen die Kommunikation zwischen Verwaltung, Bürgern und Wirtschaft, erleichtern es, Verkehrsströme zu lenken.
Ganz so weit wollen die Stadtoberen im benachbarten Boston noch nicht gehen. Doch den Anfang haben sie gemacht. Beispielsweise nutzen sie Daten von Googles Navigations-App Waze, mit der sich deren Benutzer gegenseitig über Staus oder Unfälle informieren, um Ampeln zu schalten oder Rettungswagen loszuschicken. Zugleich hat die Verwaltung eine Reihe von Service-Apps entwickelt. Über sie können die Einwohner die Stadt via Smartphone auf Schlaglöcher, verbogene Verkehrsschilder und überquellende Mülleimer hinweisen. Die Stadt meldet, wenn der Missstand beseitigt ist.
Sogar ein im Internet für jeden einsehbares Zeugnis lassen sich die Ämter ausstellen. Der CityScore gewichtet mehr als 20 Leistungskategorien: Verfügbarkeit von freiem WLAN etwa, beseitigte Graffiti oder das Tempo, mit dem die städtischen Bediensteten Bürgeranfragen beantworten. Liegt der Wert über eins, macht die Stadt einen guten Job. Fällt er darunter, verfehlt sie ihre Ziele. Dann wird es hektisch im Büro von Bürgermeister Martin Walsh. Sofort sinnt eine Eingreiftruppe über Abhilfe nach.
Noch viel weiter als Boston hat Chinas einstige Hauptstadt Nanjing die Datenerfassung getrieben. Ob Behörden, Polizei, Gesundheitsamt oder Stadtwerke – alle sind vernetzt und tauschen Informationen aus, um Planungen abzustimmen, zu beschleunigen und Fehler zu vermeiden. Zudem informiert die Stadt auf diesem Weg die Einwohner automatisch über Neuerungen, Unternehmen über öffentliche Ausschreibungen, und sie verschickt elektronisch Strafzettel für zu schnelles Fahren. Jeden Tag gehen rund 25 Millionen Nachrichten raus.
Anders als viele asiatische, amerikanische und auch europäische Metropolen habe Deutschland die Digitalisierung bisher „ziemlich verschlafen“, kritisiert der Stuttgarter Fraunhofer-Experte Alanus von Radecki. Er leitet ein Netzwerk, das für die Bundesregierung die Stadt von morgen entwirft. Bei aller Euphorie für den digitalen Wandel warnt er davor, Städte einseitig nur als einen Markt zu begreifen und vor allem auf Technologie zu setzen. „Probleme wie Einkommensgerechtigkeit und überteuerter Wohnraum kann sie allein nicht lösen.“