Fritz Vahrenholt Störenfritz des Klimawandels

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Wer freut sich schon über Kritik am eigenen Lebensstil

Schmelzender Eisberg in Grönland Quelle: AP

Beim Thema Klimawandel kommt hinzu, dass dieses Thema etwas immanent Ungemütliches hat: Wer lässt sich schon gerne sagen, dass der eigene Lebensstil im Grunde verantwortungslos ist? Vielflieger und Geländewagenfahrer werden Vahrenholts Buch daher mit Begeisterung aufnehmen.

Die wirklich wichtige Frage aber ist die nach der politischen Wirkung: Bleibt Vahrenholt ein wissenschaftlicher Esoteriker mit Ausstrahlung auf Seite zwei der Bild-Zeitung – oder wird er womöglich zur Galionsfigur einer neuen ökoreaktionären Bewegung? In Deutschland sind die "Klimaskeptiker", wie sie selbst sich nennen, bislang nahezu bedeutungslose Rabulisten am rechten Rand der etablierten Politik – dort, wo auch Islamhasser, deutsche Neocons und andere Verächter liberalen "Gutmenschentums" sich tummeln.

Das Beispiel der USA und anderer Länder zeigt allerdings, dass es auch völlig anders geht. Mit tatkräftigem Beistand der Ölindustrie haben die hartnäckigen Leugner der Erderwärmung dort die Debatte vollständig gedreht und den Begriff des "Warmisten" als Schimpfwort etabliert – als Bezeichnung für einen, der noch an Klimaerwärmung glaubt.

Auf den ersten Blick scheint es, als müsste Deutschland immun gegen eine solche Strategie sein. In Energiefragen hat das grüne Lager im Streit um die Atomkraft die Diskurshoheit erobert und bestimmt die Debatte bis weit hinein in die Union. Darunter allerdings gärt es. Der eilig geplanten und umgesetzten Energiewende der Regierung schlug aus dem eigenen Lager zum Teil helles Entsetzen entgegen: Wie könnt ihr nur die Kernkraft aufgeben! Und seit klar ist, dass der hehre Plan alles andere als leicht umzusetzen ist, flackert das Unbehagen neu auf.

Genau darauf scheinen Vahrenholt und Lüning abzuzielen. Denn nach der Analyse des angeblich gar nicht so dramatischen Klimawandels gibt das Autorenduo auch in Sachen Energiepolitik Entwarnung: Beim schwierigen und riskanten Umbau der Energieversorgung müsse und solle man nichts überstürzen, fordern sie. Die Energiewende, nach derzeitigem Plan "der größte Unfug", könne in aller Ruhe und "vernünftig" gestaltet werden: "Die Sonne gibt uns Zeit."

Ähnlich wie Thilo Sarrazin gefällt sich Vahrenholt dabei sichtlich in der Rolle des einsamen Aufklärers und Agent Provocateur. Die SPD-Parteigenossen gelten beide als eigenwillige, notorische Rebellen. Dass sie sich mit weißem Haar, Schnauzbart und grimmig nach innen gekehrtem Blick sogar ähnlich sehen, ist dabei nur eine Pointe am Rand. Was den Fall Vahrenholt so interessant macht, ist weniger diese Ähnlichkeit mit dem früheren Vorstand der Bundesbank als seine eigene, schillernde Geschichte.

1978 attackierte er mit seinem Buch Seveso ist überall nach dem Dioxin-Unfall in Italien die Chemieindustrie. In den Neunzigern wurde er Umweltsenator in Hamburg – und legte sich mit Umweltschützern an, weil er auf dem Neubau großer Müllverbrennungsanlagen insistierte. Anschließend half der grüne "Feuer-Fritze" dem Ölriesen Shell, sein Image nach dem Brent Spar- Skandal kurzfristig mit einer Solartochter aufzuhübschen, machte dann beim Windkraftunternehmen REpower ernsthaft Wind – um sich zuletzt für den Energieriesen RWE als Vorstand des grünen Tochterunternehmens RWE-Innogy für die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke ins Zeug zu legen.

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