
Beim Machtkampf um Japans Energiepolitik nach Fukushima wurden die Samthandschuhe der japanischen Höflichkeit längst ausgezogen. Der Präsident der größten Unternehmenslobby Keidanren, Hiromasa Yonekura, hält seinen Widersacher Yukio Edano, seit September Minister für Wirtschaft, Industrie und Handel (METI), für ungebildet. "Er sollte noch ein bisschen Betriebswirtschaft studieren", empfahl ihm Yonekura. Im Gegenzug schlug der jugendliche Minister dem 27 Jahre älteren Wirtschaftsboss seine "herablassende Art" um die Ohren.
Der Schlagabtausch dreht sich um die Verstaatlichung des Fukushima-Betreibers Tokyo Electric Power Company (Tepco). Dem Konzern mit 45 Millionen Kunden droht der Finanzkollaps. Die Folgekosten des Atomunfalls summierten sich für Tepco bisher auf 19 Milliarden Euro.
Dazu kommen Entschädigungszahlungen von 15 Milliarden Euro, die die Regierung nur vorstreckt. Eine rettende Kapitalspritze von 10 Milliarden Euro macht METI-Chef Edano davon abhängig, dass der Staat zwei Drittel der Stimmrechte bekommt. Keidanren-Boss Yonekura hält dies für "völlig falsch". Es gebe keine gut gemanagten Staatsfirmen. Die Regierung müsse sich mit einem Drittel begnügen. Darauf forderte Edano Yonekura auf, Keidanren solle schon mal Geld für Tepco sammeln gehen. Die bissige Bemerkung zielt auch darauf ab, dass Keidanren von Großspenden der Stromversorger lebt. Yonekura hat Tepco mehrmals von jeder Mitschuld an dem Atomunfall freigesprochen.

Frage nach Japans Atomzukunft
Aber eigentlich gilt der heftige Streit der Zukunft der Atomkraft in Japan. Edano braucht die Kontrolle über Tepco für eine Reform des Strommarktes. Er will die Monopole der zehn regionalen Versorger zerschlagen und ihnen das Leitungsnetz wegnehmen. Dieser "Big Bang" auf dem Strommarkt würde erneuerbaren Energien zum Durchbruch verhelfen und den relativ schnellen Ausstieg aus der Atomkraft ermöglichen, wie es sich die meisten Japaner wünschen. Bisher wehren sich Tepco & Co. gegen mehr Strom aus Wind, Sonne, Geothermie und Biomasse. Die Einleitung von schwankender Elektrizität aus erneuerbaren Quellen "kontaminiere" ihr Netz, sagt ein Strommanager.
Edano hat nicht nur die Monopolisten gegen sich. Weite Teile der Japan AG halten Atomstrom für sicher und preiswert und drängen auf den schnellen Neustart der Atommeiler, die vor Fukushima mehr als Viertel des Stroms lieferten. Sie fürchten erneute Stromengpässe im heißen Sommer. Anfang Mai geht der letzte von 54 Reaktoren zur Wartung vom Netz. Ihren Ausfall kann Japan zwar durch Mehreinsatz von Gas, Öl und Kohle weitgehend ausgleichen. Aber das treibt die Energiekosten in diesem Jahr um 29 Milliarden Euro nach oben und reißt die Handelsbilanz tief ins Minus. Die Versorger geben die Kosten weiter. Die Tepco-Großkunden vom Autobauer bis zum Supermarkt sollen für Strom ab April 17 Prozent mehr bezahlen.
In der Vergangenheit konnten Japans mächtige Beamte und Manager die öffentliche Meinung oft ignorieren. Doch das Misstrauen in Tepco und die Atomindustrie sind riesengroß. "Ethik steht erstmals über wirtschaftlichen Argumenten", meint Literaturnobelpreisträger Kenzaburo Oe. Das könnte den Ausschlag geben für eine Energiewende weg von der Atomkraft - und einen Sieg von Edano über Yonekura.