Glyphosat-Experte Roland Solecki "Glaubenskrieg um Pflanzenschutzmittel"

Wie es mit der Genehmigung oder dem Verbot des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat weitergeht, erläutert Roland Solecki, der die Abteilung Sicherheit von Pestiziden beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) leitet.

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Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen demonstrieren vor dem Bundestag in Berlin gegen den Einsatz des Pflanzenschutzmittels Glyphosat. Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: Wird das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat nun verboten und vom Markt genommen oder nicht? Der zuständige Fachausschuss der EU-Kommission hat die Entscheidung ja erneut verschoben, obwohl die jetzt geltende Zulassung am 30. Juni ausläuft.

Solecki: Das gab es tatsächlich noch nie. Bisher war immer die wissenschaftliche Bewertung der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) maßgeblich für eine solche Entscheidung. Doch diesmal hat sich am Glyphosat eine Art Glaubenskrieg um die Zukunft der Landwirtschaft auch mit ihrem Einsatz von synthetisch erzeugten Pflanzenschutzmitteln entzündet, der zu dieser Situation geführt hat. Wenn alle Beteiligten sich allein an der Wissenschaft orientiert hätten, dann könnte die EU jetzt den Prozess der Wiederzulassung für das Herbizid abschließen.

Hätte sie das wirklich tun sollen? Obwohl nach der positiven EFSA-Bewertung, die ja im Auftrag der EU ganz wesentlich von Ihnen und Ihrem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erstellt wurde, die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der WHO den Wirkstoff als "wahrscheinlich krebserregend für Menschen" eingestuft hat?

Zur Person

Im Moment stehen alle verwundert da und wissen nicht, wie es weiter geht - sowohl die Landwirte und Hersteller, als auch die Verbraucher. Als die IARC diese Einschätzung abgegeben hat, hat das BfR sofort darauf hin gewirkt, dass auch die EU-Chemikalien-Behörde ECHA eine Bewertung des Stoffes hinsichtlich seines krebserzeugenden Potentials vornehmen soll. Diese Bewertung liegt aber leider noch nicht vor, sondern wird für das kommende Jahr erwartet. Käme die ECHA zum gleichen Schluss wie die IARC-Forscher, dann würde die Substanz unter die Cut-Off-, das heißt Ausschlusskriterien fallen. Wir sind mit den übrigen zuständigen europäischen Behörden und den internationalen Schwesterbehörden der Auffassung dass die Daten keine Einstufung von Glyphosat als krebserzeugend rechtfertigen.

Warum?

Weil sich an der Studienlage seit über zwei Jahren nichts, aber auch gar nicht geändert hat. Nur die Art und Weise, wie unterschiedliche Gruppierungen von Forschern diese Studien interpretieren, hat sich vor dem Hintergrund einer emotional geführten politischen Debatte über Chemikalien in der Landwirtschaft offensichtlich verändert. Die ECHA wird, davon gehe ich aus, die Datenlage dann nach den europäisch abgestimmten Kriterien für die gefahrenbasierte Einstufung und Kennzeichnung prüfen.

Gentechnik

Offenbar haben aber auch nicht alle Wissenschaftler dieselben Studien und Daten zur Verfügung. Gerade die Forschungsergebnisse, die die Agrochemie-Konzerne selbst erhoben haben, liegen zwar der EFSA, nicht aber der IARC vor. Wie kann das sein?

Das ist ein sehr unguter Zustand, da haben Sie völlig Recht, es ist aber gesetzlich auf nationaler und europäischer Ebene so festgelegt. Deshalb müssen wir und die EFSA so arbeiten. IARC bewertet nach ihren Regeln nur publizierte Studien, auch solche der Industrie. Dagegen greift die EFSA auf die gesamte Datenbasis zurück, d.h. alle publizierten Studien und alle Prüfungen der Antragsteller einschließlich der eingereichten Rohdaten. Das BfR setzt sich schon seit längerem dafür ein, all diese Daten aus solchen Studien öffentlich zugänglich zu machen. Aber aus Sicht der Unternehmen ist das erkennbar aus Wettbewerbsgründen alles andere als erwünscht. Konkurrierende Firmen könnten die vom einen Unternehmen für teures Geld erhobenen Daten einfach in Zulassungsverfahren übernehmen und sich einen Vorteil verschaffen. Zum Nulltarif sozusagen. Wir versuchen Unternehmen deshalb davon zu überzeugen, dass sie diese Ergebnisse Mitbewerbern zum Kauf anbieten – auch aus Tierschutzgründen, insbesondere um weitere und unnötige Tierversuche zu vermeiden. Die Berichte zu veröffentlichen, das ist derzeit aber noch nicht erreicht worden.

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