Harald Welzer "Das Menschenbild der Ökonomen ist Quatsch"

In seinem neuen Buch "Selbst Denken" geht der Soziologe Harald Welzer radikal mit der Wachstumskultur ins Gericht. Sein Gegenmittel: Widerstand gegen sich selbst, die Verlockungen des Konsums und das "ekelhafte Geduze" bei Ikea.

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Harald Welzer Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: Herr Welzer, ich habe Sie gerade auf dem Mobiltelefon angerufen. Es wird doch nicht etwa eines von Samsung sein? Deren Model Galaxy SIII bezeichnen Sie in Ihrem aktuellen Buch als „Verkörperung objektiver Sinnlosigkeit“.

Welzer: Nein, ich habe ein – lassen Sie mich mal sehen – ein Sony-Ericsson Cybershot. Schon an der Bezeichnung merken Sie, dass das ein paar Jahre alt ist.

Und stehen in Ihrer Wohnung Möbel von Ikea? Den Möbel-Konzern kritisieren Sie im Buch als Treiber der Wegwerfgesellschaft, der „mit seinem ekelhaften Geduze“ den Kunden in „genau dem infantilen Zustand anspricht, in den es ihn zu versetzen beabsichtigt.

Ich habe noch ein paar alte Billy-Regale aus meiner Studentenzeit. Und die sind ja auch gut, die halten lange.

„Selbst Denken. Eine Anleitung zum Widerstand“ heißt ihr Buch. Von Samsung und Ikea mal abgesehen, gegen wen genau soll man denn Widerstand leisten?

Zuerst mal gegen sich selbst. Weil die Verlockung, nicht selbst zu denken, sondern sich denken zu lassen und das zu denken, was alle denken, groß und kontinuierlich ist. Da ist die Verlockung, an der Konsumkultur teilzunehmen, obwohl es einem eigentlich nicht gut tut. Wenn man mit dem Widerstand gegen sich selbst einmal angefangen hat, hat man eine Basis für den Widerstand gegen die Zumutungen von Politik, von Infrastrukturplanungen, von Missmanagement und so weiter. Kurz und gut: Es geht darum, das Leben wieder in die eigene Hand zu nehmen.

Harald Welzer, Selbst Denken. Eine Anleitung zum Widerstand, S.Fischer 2013 Quelle: PR

Kein Widerstand gegen Goldman Sachs oder die Deutsche Bank?

Gern auch das, wenn man sich vorher über die eigene Rolle Rechenschaft abgelegt hat. Interessant wird Widerstand ja erst, wenn man nicht gegen einen Flughafen, sondern gegen das Fliegen ist. Solange die Leute bei Amazon ihre Bücher bestellen, weil es so praktisch ist, und solange sie sich keine Gedanken machen, was mit dem Geld passiert, das sie bei der Deutschen Bank anlegen, oder sich über BP und Deepwater Horizon aufregen, aber sich keine Gedanken machen, wo der Stoff herkommt, mit dem sie gerade ihr Auto betankt haben, solange ist es sehr wohlfeil zu demonstrieren. Also muss die Schleife erst über die eigene Lebenspraxis gehen, und dann erst kann man überlegen, wo es sinnvoll ist, Widerspruch einzulegen und zu demonstrieren.

Also steckt der von Ihnen beklagte expandierende und Ressourcen verbrauchende, extraktive Kapitalismus vor allem in uns selbst?

Ja, wir alle sind diejenigen, für die expandiert und extrahiert wird. Der durchschnittliche Bundesbürger besitzt etwa 10.000 Dinge. Das ganze Zeug wird ja nicht zum Selbstzweck hergestellt und um die Welt transportiert. Da sitzt am Ende jemand, der die Dinge kauft. Und das sind Sie und ich.

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