Was meinen Sie damit konkret?
Ein gutes Beispiel ist der indische Geschäftsmann Ratan Tata mit seiner Idee, mit dem Tata Nano das günstigste Automobil der Welt zu konstruieren. Automanagern im Westen war schnell bewusst, dass diese Idee auch Auswirkungen auf ihr Geschäft haben wird. Carlos Goshn, der Chef von Renault-Nissan, hat deshalb die Pläne mit seinem Logan, einem Auto im 10.000-Dollar-Preissegment, vorangetrieben. Goshn war klar, dass er nicht so radikal wie Tata sein kann. Aber er hat mit diesem Beispiel seine Ingenieure herausgefordert und angespornt. Die hätten sonst zu schnell aufgegeben. Tata zeigte, dass es machbar ist.
Nun gilt der Tata Nano nach dem ersten Hype nicht gerade als Erfolgsmodell.
Aber die Idee von seinem supergünstigen Auto ist geblieben. Tata hat mit dem Nano die Automobilbranche verändert. Das Problem war, dass der Nano quasi als das Auto für Arme vermarktet wurde anstatt als smarte Wahl für preisbewusste Käufer. Kaum jemand wollte sich die Blöße geben, dass er sich nur ein Auto für Arme leisten kann.
Einfach nur eine Billigversion von einem westlichen Produkt auf den Markt zu bringen funktioniert also nicht?
Das geht schon deshalb nicht mehr, weil es selbst in Indien in jedem Dorf Fernseher gibt. Die Menschen kennen die Produkte und wollen sich nicht mit billigen Kopien abspeisen lassen. Sie sind sogar sehr markenbewusst. Die Herausforderung ist es, mithilfe der Kreativität von einheimischen Ingenieuren zu vertretbaren Kosten wettbewerbsfähige Produkte zu entwickeln.
Welche Unternehmen sind vorbildlich?
Es gibt erst wenig erfolgreiche Beispiele. Aber ihre Zahl wächst: Renault, Danone, PepsiCo, Procter & Gamble – aber auch SAP und Siemens gehören dazu.
Sehen Sie nicht die Gefahr, dass unter dem Denkmantel der frugalen Innovation die Entwicklungsbudgets gedrückt werden, was zu minderwertigen Produkten führen kann?
Damit würden Unternehmen scheitern. Gerade heutzutage, wo Kunden im Internet ihrem Ärger Luft machen können, würde sich rasch herumsprechen, wenn die Qualität leidet. Unternehmen müssen allerdings schon unterscheiden, was sie unter Qualität verstehen: Ist ein mit Funktionen vollgestopftes Produkt wirklich besser als eins, dessen Funktionen auf das wirklich Wesentliche reduziert worden sind? Manchmal ist gut eben gut genug. Auch das kann man von den Schwellenländern lernen, nämlich wie man ein Produkt von Komplexität befreit. Der Herzmonitor von Siemens ist nicht nur portabel, sondern auch so automatisiert, dass er sich ohne große Schulung einsetzen lässt.
Sie nennen in Ihrem Buch Steve Jobs als einen Unternehmer, der die frugale Innovation verstanden hat. Der hätte Sie aber auf der Stelle gefeuert, wenn Sie ihm mit „Gut ist gut genug“ gekommen wären.
Jobs ist als Perfektionist bekannt. Aber er ist auch für seine Kunst des Weglassens berühmt, wenn dies Produkte vereinfacht hat. Nicht zuletzt hat Jobs mit seiner Idee, Musik für 99 Cent zu verkaufen, den Handel mit Online-Musik etabliert und für viele erschwinglich gemacht. So wie Konsumgüter-Riesen wie Procter & Gamble sich von indischen Geschäftsleuten abgeschaut haben, dass man Shampoo auch in kleineren Portionen verkaufen kann, damit sich die Kunden das leisten können.