Klimaschutz Wie Wasserstoff die Luftfahrt sauber machen soll

Kleinmaschine vom Typ Piper Malibu des britischen Start-ups ZeroAvia hat Quelle: ZeroAvia

Lange war Wasserstoff nur ein Forschungsthema, doch jetzt will die Branche das Gas ernsthaft zum Ersatz für Kerosin machen. Die Coronakrise könnte den grünen Wandel beschleunigen.

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Mitte Juni am britischen Flughafen Cranfield: Eine Gruppe Zuschauer in gelben Warnwesten steht auf dem Rasen, auch die Feuerwehr hat sich mit zwei Einsatzwagen an der Startbahn postiert. Langsam rollt sie los, die blaue Propellermaschine mit sechs Sitzen, auf zu ihrem ersten Testflug, auf in die Zukunft der Luftfahrt. 

Das Video vom gelungenen Debüt der Kleinmaschine vom Typ Piper Malibu wird später im Internet die Runde machen. Es ist ein wichtiger Erfolg für das britische Start-up ZeroAvia. Dessen Ingenieure haben der Maschine einen neuen Antriebsstrang verpasst: Statt Kerosin tankt sie Strom. Noch stammt der aus Akkus, aber schon beim nächsten großen Testflug im Herbst sollen ihn Brennstoffzellen aus Wasserstoff erzeugen. 

Innovationen wie diese kann die Branche dringend gebrauchen. Spätestens seit die Fridays-for-Future-Bewegung sich Gehör verschafft hat, ist der Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids im Luftverkehr zum Politikum geworden. Bis 2050, so die Selbstverpflichtung des Branchenverbands Air Transport Action Group, sollen die Emissionen um 50 Prozent im Vergleich zum Jahr 2005 sinken. Nur wusste bislang niemand, wie das gelingen soll.

„Vor einem Jahr sprachen alle in der Branche noch von Batterien”, sagt Julian Renz, Projektmanager bei ZeroAvia. „Jetzt ist Wasserstoff Mittelpunkt der Diskussionen.” Weltweit investieren Staaten und Konzerne in die Massenproduktion des neuen Energieträgers. Allein Deutschland will neun Milliarden Euro in die Wasserstoff-Wirtschaft stecken, und nun hat auch die Europäische Union eine Wasserstoff-Offensive vorgestellt. 

Ziel dieser Initiativen ist es, das Gas zum Treibstoff des 21. Jahrhunderts zu machen. Erste Züge und Schiffe fahren schon damit, Stahlwerke und Düngemittelfabriken testen Wasserstoff als neuen Energieträger. „Wasserstoff könnte eine Möglichkeit sein, Luftfahrt emissionsfrei weiterzuführen”, sagt Jochen Kaiser, Leiter für visionäre Flugzeugkonzepte beim Münchner Luftfahrt-Think-Tank Bauhaus Luftfahrt.

Schon 2023 soll der erste Flieger abheben

Die Gründer von ZeroAvia wollen jetzt Tempo machen: „Wir wollen den Wandel zu einer nachhaltigen Luftfahrt beschleunigen”, sagt Renz. Schon in drei Jahren will er die ersten Regionalflieger mit Wasserstoffantrieb auf den Markt bringen: Zehn bis zwanzig Passagiere sollen darin Platz finden - und rund 800 Kilometer weit fliegen können. Strecken wie München - Berlin wären damit zu schaffen.

Die Briten sind nicht allein: Auch Flugtaxi-Start-ups wie Alaka’i und der koreanische Drohnenentwickler Doosan Mobility Innovation arbeiten an Fliegern mit Brennstoffzellen. Sogar der Flugzeugbauer Airbus wägt die Möglichkeiten ab.

In der Luftfahrt brauchen neue Technologien besonders lange, bis sie abheben. Und zudem wird es teuer. Das gilt erst recht für völlig neue Antriebe. Die Branche hofft nun auf Unterstützung durch die staatlichen Wasserstoff-Förderungen, die zuletzt verkündet wurden. So plant die französische Regierung Medienberichten zufolge, in den nächsten drei Jahren 1,5 Milliarden Euro in die Entwicklung eines Flugzeugs mit Wasserstoffantrieb zu stecken. Ziel sei es, bis 2035 ein CO2-neutrales Flugzeug zu entwickeln.

Bei Airbus halten sie dies für realistisch: In den Jahren von 2026 bis 2028 könne ein Programm zum Bau eines solchen Fliegers starten. Bis dahin seien fünf Jahre Zeit, die nötigen Technologien zur Reife zu bringen. „Wir arbeiten schon seit einiger Zeit daran”, heißt es bei dem Konzern, „wir fangen nicht bei Null an.” Noch ziehe man verschiedene Technologien in Betracht, Wasserstoff sei eine davon. Die größte Herausforderung liege darin, die neuen Technologien für den Einsatz in der Luftfahrt zertifiziert zu bekommen. Branchenkenner spekulieren, dass der Nachfolger des A 320 ein Wasserstoff-Flugzeug werden könne.

Technische Herausforderungen

Welche Schritte dazu unternommen werden müssen, hat kürzlich eine Studie von McKinsey im Auftrag der Clean-Sky-Initiative der Europäischen Kommission und der Luftfahrtindustrie detailliert geschildert. Die Autoren rechnen damit, dass im Jahr 2050 rund 40 Prozent der Flugzeuge mit einem Wasserstoffantrieb unterwegs sein könnten.

Genutzt werden könne der Wasserstoff an Bord auf zwei Weisen: Brennstoffzellen könnten ihn in Strom umwandeln, der Elektromotoren betreibt. Oder das Gas würde direkt in speziellen Turbinen verfeuert ähnlich wie heute Kerosin. Diese Variante wäre zwar weniger effizient, auch entstünden weiterhin gesundheitsschädliche Stickoxide. Auf Langstreckenflügen dürften Turbinen allerdings erst einmal die einzige praktikable Lösung sein, weil Brennstoffzellen und ihre nötigen Kühlsysteme zu schwer wären.

Auch neue Tanks müssten entwickelt werden, um den Wasserstoff an Bord zu speichern. Wasserstoff enthält zwar im Vergleich zu Kerosin dreimal mehr Energie pro Kilogramm Gewicht. Allerdings verflüchtigt sich das Gas leicht. Außerdem hat es ein größeres Volumen und muss deshalb heruntergekühlt und verflüssigt werden. Beides macht schwere und wuchtige Tanks nötig. Gegenüber Kerosintanks dürften sie viermal so wie Platz einnehmen, weshalb das Flugzeug größer und schwerer werde, so die Studie. Um den Einsatz praktikabel zu machen, müsse das Gewicht der Tanks im Vergleich zu heutigen Prototypen halbiert werden.

Gewaltiger Bedarf an Ökostrom

Auch an Flughäfen müsste eine neue Infrastruktur geschaffen werden: Elektrolyse-Anlagen vor Ort müssten Wasserstoff aus Ökostrom herstellen; an kleineren Flughäfen könnten Wagen das Gas auch anliefern. Die Luftfahrt könnte der Studie zufolge künftig bis zu 1500 Gigawatt an Stromkraftwerken benötigen. Zum Vergleich: Aktuell sind weltweit laut der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien gut 2500 Gigawatt an Solar-, Wind- und anderen Ökostromkraftwerken installiert. 

Die Autoren haben auch synthetische Kraftstoffe untersucht - etwa Kerosin, das aus Wasserstoff und Kohlendioxid hergestellt wird. Ein Nachteil: Bei der Umwandlung geht Energie verloren. Bei Wasserstoff werden 58 Prozent des Ökostroms in Schub umgesetzt - bei synthetischen Kraftstoffen nur 22 Prozent. Auch Stickoxide werden weiter in die Luft ausgestoßen.

Die ersten Flugzeuge mit Wasserstoff-Antrieb könnten in weniger als zehn Jahren an den Start gehen, so die Autoren. Erst einmal dürften das kleinere Flugzeuge sein, die auf regionalen Strecken unterwegs sind, mit 19 Passagieren und 500 Kilometern Reichweite. In zehn bis 15 Jahren könnten dann Flieger mit 80 Sitzen und 1000 Kilometern Reichweite starten, in 15 Jahren 165-Sitzer mit 2000 Kilometer Reichweite. Diese Flugzeuge machen 70 Prozent der weltweiten Flotte aus - und zwei Drittel der Kohlendioxid-Emissionen. 

Keine Angst vor Explosionen

Damit könnten Wasserstoff-Antriebe also schon relativ bald helfen, die Luftfahrt umweltfreundlicher zu machen. Die Betriebskosten pro Passagier könnten laut der Studie um fünf bis zehn Dollar steigen. Auf Langstreckenflügen sind die Herausforderungen größer: Flugzeuge müssten stärker umgestaltet werden, die Kosten pro Passagier könnten stärker steigen.

Auch die Sicherheit der neuen Antriebe muss getestet werden. Wasserstoff ist sehr entzündlich - man denke an die Explosion des Luftschiffs Hindenburg, das im Jahr 1937 mit Wasserstoff abhob. Doch heute lasse sich ein hohes Maß an Sicherheit gewähren, sagt Bauhaus-Luftfahrt-Experte Kaiser. Ein Vorteil von Wasserstoff sei, dass er schnell nach oben schwebe - und auch der Feuerball bei einer Explosion rasch nach oben steige. „Wenn Sie heute mit einem Flugzeug dagegen einen Unfall haben, schwimmen Sie auf einem brennenden Kerosin-See.”

ZeroAvia ist nach eigenen Angaben bereits in Gesprächen mit verschiedenen Fluglinien, die über den kommerziellen Einsatz des neuartigen Fliegers nachdenken. Im Herbst wollen die Briten einen Langstreckenflug mit Brennstoffzellen an Bord durchführen von den Orkney-Inseln nach Schottland. Die Coronakrise gibt den Entwicklern Rückenwind: Für Wasserstoff stehen jetzt viele Milliarden Euro Fördergelder in Aussicht.

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