Klimawandel Die Zeit für eine neue Klimapolitik ist reif

Widersprüchliche Prognosen, teurer Aktionismus, ergebnislose Gipfel – die Klimapolitik ist auf ganzer Linie gescheitert. Fünf Ansätze für einen Neuanfang.

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Die Zeit ist reif für eine neue Klimapolitik. Quelle: AP

Hungersnöte, Kriege, Artensterben – zuletzt gab es kaum noch eine Geißel der Menschheit, an der der Klimawandel nicht schuld sein sollte. Doch sobald die Forscher näher hinsehen, ergibt sich ein differenzierteres Bild, löst sich manche Behauptung in Luft auf.

Hunger? Nie zogen Fischer aus dem US-Bundesstaat Maine mehr Hummer aus dem Atlantik als zurzeit. Meeresbiologen erklären das Phänomen mit wärmeren Strömungen – eine Folge der Erwärmung der Ozeane. Das Überangebot hat die Preise für die einstige Luxus-Delikatesse so stark gedrückt, dass sie nicht einmal mehr die Kosten der Fischer decken.

Kriege? Weil Wasser und Nahrungsmittel knapp und immer mehr Regionen wegen Extremwetters nahezu unbewohnbar würden, warnen Klimawissenschaftler vor einer Zunahme gewalttätiger Auseinandersetzungen. Tatsächlich jedoch sinkt die Zahl internationaler Konflikte seit den Fünfzigerjahren kontinuierlich. Vor allem wegen des wachsenden Wohlstands in vielen Entwicklungsländern. So haben es Forscher der Simon-Fraser-Universität im kanadischen Vancouver analysiert.

Fünf Vorschläge, wie das Klima wirklich zu retten ist.
von Dieter Dürand

Artensterben? Auch hierfür schoben Klimaforscher der Erderwärmung den Schwarzen Peter in die Schuhe. Vorschnell – fanden Biologen der Universitäten in Toulouse und Utrecht gerade in einer Studie heraus. Zumindest für die Vielfalt der Süßwasserfische, so die Wissenschaftler, seien die Verschmutzung und Zerstörung von Lebensräumen weitaus bedrohlicher.

Die drei Beispiele illustrieren das Dilemma der aktuellen Klimapolitik. Im Drang, die Welt wegen der vermeintlich existenziellen Risiken zu raschem Handeln zu bewegen, zeichneten Forscher und Politiker immer bedrohlichere Horrorszenarien.

Doch jetzt zeigt sich: Die Fakten widerlegen viele Untergangsprophezeiungen oder relativieren sie zumindest stark. Wir sollten daher innehalten und die Fakten analysieren. Statt weiter einem Phantom hinterherzujagen, ist die Zeit reif für eine neue Klimapolitik.

Ungelöstes Rätsel: Obwohl der CO2-gehalt steigt, pausiert die Erderwärmung. (zum vergrößern bitte anklicken)

Nichts belegt das besser als der gerade in Stockholm vorgelegte fünfte Klimabericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Kleinlaut muss der Weltklimarat darin eingestehen, dass der zentrale Mechanismus für die Erderwärmung zumindest derzeit nicht so funktioniert, wie die Forscher erwartet haben. Laut ihrer Theorie steigt die globale Durchschnittstemperatur umso rascher, je mehr Kohlendioxid sich in der Atmosphäre befindet. Doch obwohl die CO2-Konzentration zunimmt, pausiert die Erwärmung seit 15 Jahren. Kein Klimamodell des IPCC hat das vorausgesehen (siehe Grafik).

Jetzt mutmaßt der Rat, der Pazifik könne einen Großteil der Erwärmung aufgenommen haben. Eine ausreichende Erklärung ist das nicht. Hans von Storch, Leiter des Instituts für Küstenforschung am Helmholtz-Zentrum in Geesthacht, sieht seine Zunft daher in Erklärungsnot: „Wir müssen schleunigst klären, wie lange die Stagnation anhalten darf, ohne dass wir die gängige Erwärmungstheorie hinterfragen müssen.“

Forscher in Erklärungsnot

Die gröbsten Schnitzer des Weltklimarats
Die Zahl der Wirbelstürme nimmt zuWahrscheinlich werde die Aktivität tropischer Wirbelstürme – dazu zählen beispielsweise Hurrikane und Taifune – künftig zunehmen, verkündete der Weltklimarat 2007. Belege für diese Entwicklung gab es schon damals kaum überzeugende. Jetzt die Kehrtwende: Die Experten erkennen an, dass die Prognosen über Stürme zu unzuverlässig sind, und behandeln das Thema nur noch als Randnotiz. Nun sehen sie nurmehr eine schwache Tendenz für stärkere Stürme voraus – begrenzt auf den Nordatlantik und den westlichen Nordpazifik. Quelle: dpa/dpaweb
Die Sache mit dem Hockeyschläger2001 veröffentlichte das IPCC die berüchtigte Hockeyschläger-Kurve. Sie sollte zeigen: Die Erdtemperatur auf der Nordhalbkugel war über Jahrhunderte weitgehend konstant. Erst mit der Industrialisierung und dem damit verbundenen verstärkten Ausstoß von CO2 stieg sie steil an. Bald korrigierten neuere Rekonstruktionen der Klimahistorie das eingängige Bild. Sie zeigen, dass die Temperaturen auch früher stark pendelten. So war es vor 900 Jahren schon einmal annähernd so warm wie heute. Es entstand der Verdacht, dass Forscher um den US-Klimatologen Michael Mann die Kurve zum Klimaverlauf „geglättet“ hatten, um die Dramatik zu betonen. Quelle: Creative Commons
Das arktische Meereis schmilztIn ihrem vorherigen Klimabericht aus dem Jahr 2007 waren sich die IPCC-Experten noch ziemlich sicher: Rings um den Südpol werde das Meereis schrumpfen, schrieben sie. Aktuelle Messungen und Satellitenbilder haben diese Prognose widerlegt. Sie zeigen im Gegenteil sogar eine Zunahme des Packeises. Im gerade veröffentlichten fünften Klimabericht gesteht das Wissenschaftlergremium seinen Irrtum ein. Jetzt halten die Forscher es für eher unwahrscheinlich, dass das antarktische Eisschild rasch an Umfang und Volumen verlieren wird. Anders in der Arktis: Am Nordpol schmilzt das Eis tatsächlich. Quelle: dpa
Die Himalaya-Gletscher verschwindenEbenfalls im Bericht von 2007 schreckte der UN-Klimarat die Welt mit der Nachricht, schon im Jahr 2035 seien die Gletscher im Himalaja vollständig aufgetaut. Käme es so, wären 1,4 Milliarden Menschen in der Region ihres Trinkwasserreservoirs beraubt. Doch bald erwies sich das Horrorszenario als Fehlalarm. Es beruhte auf Angaben der Umweltorganisation World Wide Fund for Nature und schlecht recherchierten Zeitungsartikeln. Erst spät gestand das Gremium den Patzer ein. Er basierte zudem auf einem Zahlendreher: Wenn überhaupt, sollte das Eis frühestens 2350 verschwunden sein. Quelle: dapd
In Afrika drohen große ErnteausfälleAuch die Behauptung, den Afrikanern drohten infolge des Klimawandels massive Ernteausfälle, hatte 2007 den Weg in den vierten Sachstandsbericht gefunden. Die Ernten, hieß es da, würden sich in einigen Ländern bis 2020 womöglich halbieren. In Wirklichkeit bezog sich diese Prognose nur auf drei Staaten am Mittelmeer. Zudem war die wissenschaftliche Qualität der Studie fragwürdig. Offenbar sind die IPCC-Forscher aus dem Schaden klug geworden: Zumindest im Entwurf für den Teilbericht II des Klimareports, den sie kommenden März vorlegen, wiederholen sie die Dürrewarnung nicht. Quelle: dpa

Irgendetwas an den bisherigen Simulationen, so viel ist klar, kann nicht stimmen. Das Klima reagiert offenbar weit weniger sensibel auf den Anstieg der Treibhausgase als befürchtet.

Trotz dieses Befunds wird nicht automatisch alles gut. Die Gefahren einer Erderwärmung sind nicht ausgeräumt. Auch wenn Klimaskeptiker die Ungereimtheiten der Forschung jetzt dazu ausschlachten, dem Publikum genau dies zu suggerieren. Das aber ist ebenso unverantwortlich wie die Horrorgemälde der Mahner.

Nicht auszuschließen ist zum Beispiel, dass die Risiken an ganz anderer Stelle auftauchen, als die Klimatologen bisher vermuteten. Gerade hatten diese in Stockholm verhaltene Entwarnung für die Weltmeere gegeben, da meldeten sich in London Meeresforscher zu Wort. Ihre Warnung: Das CO2 versaure die Ozeane so stark wie zuletzt vor 300 Millionen Jahren. Mögliche Folge: Selbst Gewässer wie vor Maine, wo die Fischbestände wegen der Erwärmung gerade stark zunehmen, könnten sich in Todeszonen verwandeln.

Es wäre kurzsichtig, solche Risiken zu ignorieren. Niemand kann wollen, dass eine Nahrungsquelle für Milliarden Menschen versiegt. Doch der Streit der Experten zeigt auch, auf welch unsicherer Basis sich viele wissenschaftliche Aussagen zu Ursachen und Wirkung des Klimawandels bewegen. Weit öfter gibt es mehr Fragen als Antworten.

Die Verfasser des aktuellen Klimareports räumen diese Unsicherheiten an vielen Stellen erstmals ein, anstatt sie wegzudiskutieren. Das ist ein Fortschritt – und zugleich Anlass, die bisherige Klimapolitik neu zu justieren. Der Däne Bjørn Lomborg, Leiter des Copenhagen Consensus Center, sieht stellvertretend für viele Kritiker des IPCC in dem Report die große Chance, „die Klimadiskussion endlich realistischer und intelligenter zu führen“. Die Triebfedern, so ihr Appell, sollten diesmal Rationalität und wirtschaftliche Vernunft statt Alarmismus und blinder Aktionismus sein.

Die Reiter der Apokalypse dagegen malten wahre Schreckensbilder, um die Menschen auf ihren Kurs einzuschwören. Die Spiegel der Meere könnten bis 2100 um bis zu sechs Meter ansteigen und New York überfluten, prophezeite etwa der frühere US-Vizepräsident Al Gore. Selbst ein besonnener Mann wie der Ex-Weltbank-Chefökonom Nicholas Stern ließ sich dazu hinreißen, mit Rechentricks einen Schaden von 20 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts herbeizurechnen Am Ende musste der Professor einräumen, zu hoch gegriffen zu haben.

Politiker fast aller Couleur ließen sich dennoch nicht zwei Mal bitten. Unter Berufung auf den Stern-Report und die Berichte des IPCC, erließen sie in schneller Folge Gesetze und erfanden Instrumente, die Wirtschaft und Verbrauchern Milliardenlasten aufbürden. Es war chic und galt als förderlich für die Wiederwahl, sich als Klimaretter zu präsentieren. Dass viele Maßnahmen auf äußerst unsicheren Annahmen der Klimaforschung beruhten, störte augenscheinlich nur wenige Mahner.

Hohe Kosten, wenig Ertrag

Die Apokalyptiker des Klimawandels
Al Gore»Jeder einzelne Meter, den der Meeresspiegel ansteigt, verursacht rund 100 Millionen Klimaflüchtlinge.«Der ehemalige US-Vizepräsident wurde zum wichtigsten politischen Vertreter der Klimapolitik in den USA. Bücher, Konzertreihen und ein Dokumentarfilm zum Thema („Eine unbequeme Wahrheit“) machten ihn zur politischen Ikone der Klimabewegung in den Vereinigten Staaten. Quelle: REUTERS
Rajendra Pachauri»Hitzewellen, die alle paar Jahrzehnte auftraten, werden bis Mitte des Jahrhunderts jedes zweite Jahr vorkommen.«Der Ökonom und Eisenbahningenieur leitet seit 2002 das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Gemeinsam mit Al Gore erhielt der Inder für diese Arbeit 2007 den Friedensnobelpreis. Die regelmäßigen Prognosen des IPCC finden weltweit große Beachtung. Quelle: REUTERS
Nicholas Stern»Was auf die Welt zukommt, das hat es in den vergangenen 30 Millionen Jahren nicht gegeben.«Der einstige Chefökonom der Weltbank beschäftigte sich 2006 in dem nach ihm benannten Bericht mit den wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels. Vor großen Zahlen schreckt er nicht zurück: Im schlimmsten Fall werde die Erderwärmung 20 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts kosten. Quelle: AP
Hans Joachim Schellnhuber»Fünf Grad mehr können bedeuten, dass sich eine Wüste vom Süden bis nach Berlin erstreckt.«Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung ist der wohl bekannteste deutsche Klimaforscher. Der Ideengeber für das „Zwei-Grad-Ziel“ der UN nimmt als Mitglied im IPCC und wissenschaftlicher Berater der Bundesregierung Einfluss auf die Klimapolitik. Quelle: dpa
Angela Merkel»Wir wissen, dass das Zwei-Grad-Ziel nicht zu erreichen ist, es wird eher das Doppelte herauskommen.« Spätestens seit dem medienwirksamen Auftritt mit dem damaligen Umweltminister Sigmar Gabriel auf Grönland 2007 hat die Bundeskanzlerin das Klima für sich entdeckt. Nach dem Fukushima-Reaktorunfall nutzte sie die emotionale Kraft des Themas, um aus der Atomkraft auszusteigen Quelle: REUTERS
Michael Mann»Die weltweite Klimaentwicklung im vergangenen Jahrhundert hat die Form eines Hockeyschlägers.«Auf diese Form lässt sich die Erkenntnis des US-Forschers bringen. 1999 veröffentlicht, wurde sie zeitweise zum Hauptwerk der Klimaforschung. In die Öffentlichkeit drängt es den Forscher kaum. Mit der anschaulichen These ist er dennoch zum Hassobjekt des konservativen Amerikas geworden. Quelle: Presse

Die Liste der Eingriffe wird stetig länger: Emissionshandel, Grenzwerte für den CO2-Ausstoß von Autos, Flugzeugen und Kraftwerken, Ökosteuern auf Strom und Benzin, Dämmvorschriften. Die Kosten für Bürger und Unternehmer klettern und klettern. Bundesumweltminister Peter Altmaier rechnet damit, dass allein die Umstellung der Energieversorgung in Deutschland auf Wind und Sonne bis zu einer Billion Euro kostet. Ulrich Eichhorn, der beim Verband der Automobilindustrie den Bereich Technik und Umwelt leitet, schätzt, dass strengere Limits für den CO2-Ausstoß den Bau jedes Fahrzeugs um 3600 Euro verteuern wird. Hintergrund der Rechnung: Die EU-Kommission will die Emissionen bis 2020 auf 95 Gramm pro Kilometer begrenzen.

Zahlen zum Klimawandel

So gut wie nie hat die Politik ihre Maßnahmen auf die ökonomischen Folgen überprüft. Ebenso wenig achtete sie darauf, ob die Erlässe und Gesetze dem Klima tatsächlich helfen. Das hätte sie aber besser getan. Dann hätte etwa die EU frühzeitig gemerkt, dass ihr Klimapaket, mit dem sie die CO2-Emissionen Europas bis 2020 um 20 Prozent gegenüber 1990 reduzieren will, zwar viel kostet, aber wenig bringt.

Der niederländische Umweltökonom Richard Tol hat Kosten und Nutzen verglichen. Danach pumpen die EU-Staaten bis 2100 fast 15 Billionen Euro in den Klimaschutz. Den Temperaturanstieg bremst die Summe jedoch nur um 0,05 Grad Celsius. Für fast nichts verspielt die EU jedes Jahrzehnt ein Jahr Wirtschaftswachstum.

Auch an der Zwischenbilanz der selbst ernannten grünen Weltmacht Deutschland zeigt sich das Scheitern bisheriger Klimapolitik: Zuletzt stieg der CO2-Ausstoß wieder – trotz der milliardenschwerer Subventionitis in Wind und Sonne.

Es geht nicht darum, die Erderwärmung zu leugnen. Doch wem die Rettung des Klimas wirklich am Herzen liegt, der muss wollen, dass die eingesetzten Mittel wirken und dass sie effizient eingesetzt werden.

Sonst sind sie schlicht Fehlinvestitionen. Wenn aber am Ende Wirtschaft und Klima am Boden liegen, ist niemandem geholfen. Wir haben daher mit Experten gesprochen und Klimaforscher interviewt – und aus diesen Recherchen fünf Vorschläge für eine effektivere Klimapolitik entwickelt.

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