Klimawandel „Pflanzen müssen heute viel mehr aushalten“

Der Klimawandel bringt mehr Hitze- und Dürreperioden. Auf einem Versuchsfeld sucht KWS nach Getreidesorten, die damit besser zurecht kommen. Quelle: Andreas Menn für WirtschaftsWoche

Die deutschen Landwirte ziehen heute Ernte-Bilanz. Klar ist: Viele litten wieder unter Trockenheit und Hitze. Harold Verstegen, Leiter der Getreidezüchtung bei Deutschlands größtem Pflanzenzüchter KWS, über die aufwändige Suche nach Sorten, die dem Klimawandel trotzen – und warum man nicht einfach Pflanzen aus wärmeren Regionen in Deutschland anpflanzen kann.

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WirtschaftsWoche: Herr Verstegen, Sie züchten heute Getreidepflanzen, die vielleicht erst in zehn Jahren in Deutschland auf den Markt kommen. Wie stark müssen Sie den Klimawandel schon einplanen?
Harold Verstegen: Die Wetterrekorde nehmen spürbar zu, es gibt extrem heiße, kalte, trockene und nasse Tage. Die Schwankungen sind viel größer als vor 15 Jahren. Und darum müssen auch die Pflanzen insgesamt viel mehr aushalten.

Was stresst das Getreide am meisten?
Die Hitze. Die Sonne brennt die Halme einfach weg. Dazu kommt die Trockenheit: Es gibt immer mehr Momente in den Entwicklungsphasen der Pflanzen, in denen die Wasserversorgung nicht mehr genügt. Vor allem im Norden Deutschlands ist das zunehmend ein Problem. Die Pflanzen vertrocknen, bevor die Körner sich ausreichend füllen können.

Und die Folge?
Wenn wir einen Dürresommer haben wie 2018, fallen die Ernten deutlich geringer aus und der Proteingehalt des Korns nimmt ab. Viele Landwirte stellen uns die Frage: Wie kann ich in Zukunft meinen Ertrag und meine Qualität noch stabil halten?

von Benedikt Becker, Simon Book, Jan Guldner, Andreas Menn, Thomas Kuhn, Sven Böll

Was antworten Sie ihnen?
Wir arbeiten daran. Wir haben unser Netz an Versuchsfeldern in den letzten Jahren mehr als verdoppelt, weil es primär darum geht, dass die Sorten sich stabil zeigen. Wir versuchen dabei, die regionalen Klimaunterschiede in Deutschland so gut wie möglich abzudecken, und selektieren die Sorten, die durchschnittlich an allen Standorten gute Erträge bringen.

Wenn die Sorten auf den Markt kommen, hat sich das Klima aber vielleicht schon wieder verändert.
Darum haben wir das Tempo der Züchtung beschleunigt – mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz, Genomanalysen und anderen Technologien. Eine neue Sorte zu entwickeln, hat früher zwölf bis 15 Jahre gedauert – heute brauchen wir nur noch sechs bis acht Jahre. Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht.

Könnten Bauern in Deutschland nicht schlicht Weizensorten säen, die in wärmeren Regionen wachsen?
Es gibt zum Beispiel in Australien Sorten, die Hitze viel besser vertragen. Die würden hier aber nicht gut zurechtkommen, weil ihr Wachstum nicht dem deutschen Klima angepasst ist. Darum liefern sie bei weitem nicht die für Deutschland üblichen Erträge. In Australien liegen die durchschnittlich bei unter vier Tonnen pro Hektar. Auf guten Böden in Deutschland ernten Bauern heute deutlich über zehn Tonnen. Das ist also keine Alternative.

Woran liegt das?
Man kann Sorten nicht einfach von einer Region in die andere verpflanzen. Weizen ist lichtempfindlich und reagiert deswegen unter verschiedenen Umwelteinflüssen ganz anders. In Spanien etwa ist die Lichtintensität höher als in Norddeutschland. Und es gibt immer einen Zielkonflikt: Eine Pflanze, die auf das Überleben in der prallen Sonne spezialisiert ist, ist weniger gut darin, viele große Körner zu produzieren.

Als Züchter bekommen Sie nicht beides unter einen Hut?
Das versuchen wir. Etwa, indem wir verschiedene Pflanzen miteinander kreuzen. Einfach gesagt versuchen wir, ertragreiche Sorten mit den Eigenschaften von anderen Sorten zu kombinieren, die Hitze besonders gut vertragen oder die gegen Schädlinge besser gewappnet sind.

Welche Eigenschaften helfen Pflanzen gegen Trockenheit?
Lange Wurzeln zum Beispiel. In tonigen Böden, in denen das Grundwasser von unten durch Kapillaren hinauf kommt, können Pflanzen sich so länger mit Wasser versorgen. Wichtig ist aber auch, dass die Wurzeln früh und schnell wachsen – im Sommer sind die Böden knallhart wie Beton, da wächst kein Kraut mehr durch.

Wie finden Sie heraus, welche Kreuzung die Beste ist?
Wir erzeugen hunderttausende Nachkommen und selektieren die, die am besten gediehen sind. Die pflanzen wir im nächsten Jahr wieder an und selektieren erneut. Im vierten Jahr kommen die Kandidaten in kleinen Reihen auf verschiedene Standorte – auf fette Böden in der Magdeburger Börde, sandige in der Lüneburger Heide, tonige in Würzburg. Und dann führen wir diese Selektion über mehrere Jahre fort.

Das klingt aufwändig.
Ein moderner Landwirt investiert normalerweise eine Stunde Arbeit pro Hektar und Jahr – wir 800 Stunden. Wir müssen die Pflanzen in ihrer Gesamtheit beobachten: Wie hoch sind sie, wann blühen sie, wie ist die Reaktion der Blätter auf Trockenheit? Wir schauen die Pflanzen direkt an, mit der Messlatte oder mit Drohnen, die Fotos aus der Luft aufnehmen. Und wir machen von allen Pflanzen ein genomisches Profil.

Aber ein Gen für Trockenresistenz haben Sie noch nicht gefunden?
Wir kennen immer mehr Stellen im Genom, die mit bestimmten Eigenschaften der Pflanzen in Zusammenhang stehen. Aber das Weizengenom ist mehr als fünf Mal so groß wie das des Menschen. Es wird noch lange dauern, bis wir verstehen, welche Rolle die einzelnen Gene spielen.

Dieses Interview erschien erstmals bei der WirtschaftsWoche im August 2019.

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