Kreislaufwirtschaft Umweltsünde Einwegverpackung?

Viele betrachten Kaffeekapseln, Plastiktüten oder PET-Flaschen per se als Umweltsünde. Jetzt sorgt eine neue Studie für Diskussion. Warum der schmutzige Schein oft trügt – Kaffeekapseln ihren schlechten Ruf aber dennoch verdient haben.

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Viola Wohlgemuths Stimme bebt: „Dass sich so etwas überhaupt Studie nennt und dann so eine Schlussfolgerung zieht, ist eine Frechheit.“ Die approbierte Pharmazeutin arbeitet seit 2018 als Expertin für Kreislaufwirtschaft bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Auch sie hat in der vergangenen Woche die Schlagzeile gelesen, mit der viele Medien eine neue Untersuchung der kanadischen Universität Quebec zusammenfassten. Kaffeekapseln, so hieß es darin, seien möglichweise viel besser als ihr Ruf, ihre Umweltbilanz sogar besser als die von Filterkaffee. Für Wohlgemuth aber ist das nicht weniger als „Greenwashing, das den Interessen der Industrie dient“.

Das zentrale Argument von Autor Luciano Rodrigues Viana und seinen Kollegen lautet: Kaffeekapselmaschinen würden effizienter arbeiten, weil eine geringere Menge Kaffee auf eine abgemessene Menge Wasser trifft. Damit sei das Kapsel-Brühverfahren ein sehr energiesparender Prozess. Für Wohlgemuth unverständlich ist jedoch, dass die Ressourcen für die Kapsel an sich nicht betrachtet wird: „Die Kapseln aus Plastik und Aluminium müssen hergestellt und entsorgt werden. Da entsteht der Schaden für das Klima. Sie können gar nicht vollständig gesammelt oder recycelt werden.“ Diese Effekte jedoch wurden in der Studie vollständig außen vor gelassen.

Dass die Studie trotz der methodischen Mängel so viel Aufmerksamkeit fand, dürfte auch daran liegen, dass sie sich einzureihen schien in eine ganze Reihe von Umweltmythen, die derzeit infrage gestellt werden – zumeist zurecht. Lange galten Kaffeekapseln, Plastiktüten oder PET-Flaschen als größte Umweltsünde. Doch zumindest bei PET-Flaschen ist der schlechte Ruf unbegründet.




Nespresso wehrt sich auf Anfrage der WirtschaftsWoche gegen das schlechte Image der Kaffeekapseln. Die Nestlé-Tochter sagt: „Der Grüne Punkt sowie das unabhängige Institut cyclos-HTP bescheinigen unseren Kapseln eine gute Recyclingfähigkeit bzw. Sortierbarkeit – das heißt, die Kapsel wird in der Anlage erkannt und kann dementsprechend wiederverwertet werden.“ So würden die Kapseln erhalten bleiben und in vielen Alltagsgegenständen ein „zweites Leben“ finden, wie zum Beispiel in Autoteilen, Fensterrahmen oder Fahrrädern.

Für die von Nespresso selbst hergestellten Kapseln mag das zutreffen. Deutlich häufiger aber nutzen Verbraucher die preisgünstigeren Kapseln anderer Hersteller – bei denen nur der Deckel aus Aluminium besteht, der Rest der Kapsel ist aus Plastik. Um sie recyceln zu können, müssen die Aluminiumdeckel in der Anlage vom Plastikkorpus gelöst und das darin enthaltene Kaffeepulver getrennt entsorgt werden. Eine technische Lösung gibt es dafür bisher nicht. Weshalb die Kapseln meist verbrannt werden und anschließend das Aluminium heraussortiert wird.

Thilo Schaefer ist Leiter des Referats Klimawandel beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Er gewinnt der Studie der Universität Quebec auch Positives ab. Die Studie konzentriere sich nicht nur darauf, wie etwas verpackt ist, sondern auch wie energieintensiv und klimaschädlich das Produkt an sich ist. Genau dort entsteht aber das meiste CO2. „Faktoren wie der Transport oder die Häufigkeit der Nutzung werden in der Diskussion über Verpackungen oft vergessen“, sagt Schaefer. Generell schneide Plastik in der Gesamtbetrachtung oft besser ab als die vermeintlich klimafreundlicheren Alternativen. Hinzu kommt, dass in Deutschland ein Großteil der Verpackungen verwertet wird und die Recyclingquote im europäischen Vergleich am höchsten ist. Laut Umweltbundesamt wurden 2019 fast 72 Prozent der Verpackungsabfälle recycelt. Seit 2022 wurden die Recyclingvorgaben im Verpackungsgesetz für Pappe, Aluminium und Glas auf 90 Prozent angehoben, bei Getränkekartons auf 80 Prozent und bei Kunststoffen auf 63 Prozent.

Daraus zu schlussfolgern, dass Plastikverpackungen grundsätzlich umweltfreundlicher seien als etwa Kartonagen, wäre jedoch zuviel der Ehre. Denn Plastik ist nicht gleich Plastik, erläutert Henning Wilts, Abteilungsleiter für Kreislaufwirtschaft beim Wuppertaler Institut für Klimaforschung. Wilts ist Volkswirt und forscht seit 2009 zu Stoffströmen und geschlossenen Ressourcenkreisläufen. Er weiß: Nur rund 15 Prozent des recycelten Plastiks wird in neuen Verpackungen, zum Beispiel für Shampoo, wiederverwendet. „Diese 15 Prozent bestehen überwiegend aus recycelten PET-Flaschen“, erklärt Wilts. Die durchsichtigen Flaschen sind damit so etwas wie der Champagner unter den Kunststoffverpackungen. Rund 96 Prozent der PET-Flaschen werden in Deutschland recycelt. Der Grund dafür, dass PET-Flaschen besser recycelt werden können, liegt auf der Hand. Die Flaschen sind meist sehr sauber und einfach nach Farben zu sortieren. Andere Abfälle aus dem gelben Sack hingegen sind häufig zu verunreinigt, da ergibt es keinen Sinn die Inhalte aufwendig zu sortieren und zu säubern. Diese Verpackungen würden direkt in die Verbrennungsanlagen wandern und „thermisch recycelt“, wie es dann missverständlich heißt.

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von Jacqueline Goebel

Und genau da liege das Problem: In Deutschland werde nicht konsequent genug Müll getrennt. „Wir trennen Müll seit Jahrzehnten, und es scheint ein bisschen, als wäre uns ganz am Anfang einmal erklärt worden, welche Abfälle recycelbar sind und welche nicht. Und dann ganz lange gar nicht“, sagt Wilts. Er fordert deshalb eine klarere Kennzeichnung der Produkte. Vor allem Hersteller müssten dazu aufgefordert werden die wiederverwertbaren und wiederverwendbaren Verpackungen herzustellen. Da griffen die gesetzlichen Regelungen immer noch zu kurz.

Eine Lösung wie auch stark verunreinigte oder bisher technisch nicht stofflich verwertbare Verpackungen recycelt werden könnten, bietet das sogenannte chemische Recycling. Dabei werden die Kunststoffe entweder mit Hilfe großer Hitze oder in lösemittelbasierten Verfahren in ihre Moleküle aufgespalten.
Für Wilts wäre das chemische Recycling lediglich eine Übergangstechnik: „Wir würden zwar die Hälfte des CO2 einsparen, das sonst beim Verbrennen der Abfälle entstehen würde“, erklärt er. „Allerdings ist das chemische Recycling energieintensiv und unwirtschaftlich.“ Auch könnten Firmen chemische Recyclingverfahren als Alibi nutzen, um Verpackungen nicht besser recyclebar oder wiederverwendbar zu machen.

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Besonders kompliziert ist die Frage nach der umweltfreundlichen Verpackungsform bei der Einkaufstüte. Lange galt der Jutebeutel als nachhaltigste Tasche, doch zeigen inzwischen diverse Studien: Baumwolltaschen müssten hunderte Male benutzt werden, damit sich die energie- und wasserintensive Herstellung in der Ökobilanz auszahlt.

Wer sich ökologisch verhalten wolle, müsse deshalb persönliche Verhaltensmuster ebenso wie das Material der Tüten betrachten, schildert Wohlgemuth. Am besten sei es natürlich, auf Einwegtüten ganz zu verzichten und eigene Taschen, Rucksäcke oder alte Tüten mitzunehmen. Wer sich nicht in der Lage sieht, dies so konsequent durchzuhalten und doch ohne Mehrwegbeutel an der Kasse steht, sollte lieber zur Papiertüte greifen als zur Einweg-Plastiktüte. Denn die bestehe zumindest aus nachwachsenden Rohstoffen und ende nicht als Mikroplastik. Klar ist aber, Mehrweg müsse das neue Normal werden und vom Supermarkt bis zum Onlinehandel und den Menschen auch überhaupt erst angeboten werden.

Eindeutige Antworten, das zeigt diese Abwägung, sind in ökologischen Fragen oft schwer zu finden. Und es dürfte noch komplizierter werden. Aktuell liegen etwa Mischverpackungen im Trend, die sowohl aus Plastik als auch aus Papier bestehen. Die Idee dahinter ist, dass sich Papier und Plastik leicht voneinander trennen lassen und anschließend entsprechend entsorgt werden. Die Realität sieht jedoch oft anders aus, denn oft kleben die Beschichtungen zu fest am Karton. Die Folge: Die Verpackung wandert in den Restmüll – womit auch die Umweltbilanz ruiniert ist.

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Dass Mischverpackungen ökologisch oft die schlechteste Option sind, dürfte viele Verbraucher überraschen. Gerade dieses Beispiel zeigt jedoch, dass regelmäßige Studien wichtig sind, um die Diskussion weiterzuentwickeln. Die Kaffeekapsel-Studie der Universität Quebec gehört da eher nicht dazu. Schließlich sagt sie, wie Kreislaufwissenschaftlerin Wohlgemuth zusammenfasst, nichts anderes aus als „Macht euren Kaffee nicht zu stark und bereitet nur so viel zu, wie ihr tatsächlich trinken wollt.“

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