Massive Kritik an Produktionsarten Deutsche essen jährlich 60 Kilo Fleisch

Der weltweite Fleischkonsum steigt - immer noch. Doch Maßnahmen gegen jahrelang kritisierte Tierhaltung oder Umweltschäden durch Tierhaltung haben kaum etwas verändert. Das zeigt der Fleischatlas 2013, der jedes Land in Sachen Fleisch genau unter die Lupe nimmt.

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Im Durchschnitt isst jeder Deutsche in seinem Leben 1094 Tiere, verteilt auf vier Rinder, vier Schafe, 12 Gänse, 37 Enten, 46 Schweine, 46 Puten und 945 Hühner. Mit einem jährlichen Fleischverzehr von rund 60 Kilogramm essen die Deutschen doppelt so viel Fleisch wie die Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern. In den ärmsten Ländern der Welt liegt der Fleischkonsum unter 10 Kilogramm pro Jahr. Zugleich produzieren deutsche Fleischfabriken etwa 17 Prozent mehr Fleisch als verzehrt wird. Fast zwei Drittel der hiesigen Agrarflächen dienen inzwischen der Erzeugung von Futtermitteln. Diese und viele weitere Zahlen und Fakten enthält ein "Fleischatlas", der in Texten und Grafiken die globalen Zusammenhänge der Fleischerzeugung aufzeigt und von der Heinrich-Böll-Stiftung, Le Monde Diplomatique und dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) herausgegeben wurde.

Insgesamt finanzieren sich rund 1,3 Milliarden Menschen durch die Viehzucht. Die große Anzahl von ihnen lebt im Süden und hält die Tiere meist als Haustiere. Je reicher das Land ist, desto geringer wird die Zahl der Personen, die vom Geschäft mit dem Vieh profitieren. Die Umsätze der Fleischmultis sind laut Autoren des Fleischatlas gerade aufgrund der Professionalisierung der Branche stetig angewachsen. Massentierhaltung ist Standard und Zuchtlinien haben traditionelle Tierrassen ersetzt. Der größte Fleischerzeuger der Welt kommt aus Brasilien. Das Unternehmen JBS macht laut Fleischatlas einen Umsatz von 35 Milliarden Dollar. Auch Platz drei und fünf gingen 2011 an den Steak-Weltmeister aus Südamerika. Die USA und die EU sind ebenfalls mit drei Firmen in den Top Ten vertreten. Darunter auch die Deutsche Tönnies-Gruppe.

Die größten deutschen Fleischkonzerne

Dabei kritisiert die Berichterstattung im Fleischatlas stark, dass die Gewinne der großen Konzerne unter anderem auf Kosten von Umweltschäden durch Tierhaltung und staatliche Beihilfen gemacht werden. Dadurch zahlt der  Verbraucher deutlich mehr für sein Fleisch, als nur den Preis, der im Laden abgerechnet wird. „Wir machen Fleisch viel billiger, als es eigentlich ist“, schrieb schon der Schriftsteller Jonathan Safran Foer in seinem Buch „Tiere essen“. Die Argumentation: Wer Fleisch isst, zahlt dreimal dafür: als Käufer, als Steuerzahler und als Umweltnutzer.

Bei den letzten beiden handelt es sich um versteckte Zahlungen, die in Form von Subventionen für die Hersteller geleistet werden. Am schwersten zu berechnen sind laut Broschüre die Kosten, die durch die Umweltbelastung entstehen. Hierzu gehört die Überdüngung, die vor allem durch Massentierhaltung entsteht, sowie der Einfluss auf das Trinkwasser durch die hohe Nitratbelastung der Düngemittel.

Soviel Geld geht vom Staat als Zuschuss in die Produktion tierischer Erzeugnisse.Quelle: Tieratlas 2012/OECD Quelle: Screenshot

Hinzu kommen Subventionen durch milliardenschwere EU-Hilfen, die sowohl für Flächen als auch für Infrastruktur gezahlt werden. Auch Ställe werden aus Brüssel mit bis zu 50 Prozent unterstützt, heißt es weiter. „Wir brauchen eine Kehrtwende in der Agrarpolitik. Das heißt: Subventionen für die intensive Fleischproduktion streichen, Landnahme im Süden verhindern, die kleinbäuerliche Landwirtschaft fördern und das Menschenrecht auf Nahrung endlich ernst nehmen“, forderte Barbara Unmüßig, aus dem Vorstand der Heinrich Böll-Stiftung.

Der Einsatz von Antibiotika

Quelle: dpa

Gleichzeitig sorgt die Massenproduktion in Europa auf absurde Art und Weise dafür, dass die lokale Wirtschaft Westafrikas negativ beeinträchtigt wird. Aufgrund von EU-Richtlinien dürfen die Geflügelkonzerne ihre Schlachtabfälle nicht mehr zu Tierfutter verarbeiten. Stattdessen exportieren sie die Reste preiswert in ärmere Länder. Der Fleischatlas zeigt auch, wie hoch der Einsatz von Antibiotika zur Gesunderhaltung der Tiere in der globalen Massenproduktion von Fleisch ist. Im weltweiten Ranking liegt Deutschland mit geschätzt etwa 170 Milligramm eingesetzten Antibiotika pro Kilo erzeugtem Fleisch auf einem der vorderen Plätze. Ergebnis davon ist die Zunahme von Antibiotika-Resistenzen. Europaweit sterben im Jahr rund 25000 Menschen auf Grund von Antibiotika-Resistenzen.

Der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger kritisierte in diesem Zusammenhang Agrarministerin Ilse Aigner. „Deutschland scheint Exportweltmeister bei Hühnern und Schweinen werden zu wollen. Es werden weiter neue Megaställe gebaut, deren Förderung Fleisch beim Discounter scheinbar billig macht. Tatsächlich zahlen die Verbraucher einmal beim Kauf des Fleisches, dann mit Steuergeld für neue Ställe und Schlachthöfe und drittens für die Umwelt- und Gesundheitsschäden. Bundesagrarministerin Aigner hat es nicht geschafft, hier Veränderungen einzuleiten“, sagte der BUND-Vorsitzende.

Außerdem zeigt der Atlas eindrucksvoll, wie Fleisch immer mehr zum Symbol für Luxus geworden ist. Abzulesen ist dies am Konsumanstieg in Schwellen- und Entwicklungsländern. Dort wo eine neue Mittelschicht heranwächst, wird auch mehr Fleisch gegessen. In den reicheren Ländern hingegen stagniert der Verbrauch. Immer wieder haben Skandale wie die Vogelgrippe, Rinderwahn oder Gammelfleisch das Vertrauen der Verbraucher erschüttert. Auch Medienberichte über Massentierhaltungen hatten offenbar eine abschreckende Wirkung. Laut Studien ist der Fleischverbrauch für einen gewissen Zeitraum immer dann rapide zurückgegangen, wenn ein Skandal aufgedeckt wurde. Gleichzeitig verzichten immer mehr Menschen komplett auf Fleisch. Die Mitgliederzahlen des Vegetarierbundes haben sich seit 2008 jedenfalls verdreifacht.

Der Fleischatlas 2013 zeigt mit vielen unterschiedlichen Geschichten informativ auf, welch starken Einfluss der Fleischkonsum jedes Einzelnen auf Wirtschaft und Umwelt hat. Dabei sind die Texte allerdings sehr kurz und knapp gehalten. Gerade einmal eine Doppelseite inklusive Grafiken umfasst ein Aspekt. Auch die Grafiken und Tabellen sind möglichst schlicht gehalten. Dadurch finden viele Themen Platz, die allerdings zum Teil recht oberflächlich abgehandelt wirken. Außerdem wirken die Texte trotz guter Aufmachung nicht sehr neutral. Stets scheint der Zeigefinger erheben, der den Verbraucher daran erinnert, dass er eine Verantwortung trägt.

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