„Müssen deutlich mehr tun“ Der Wasserstoff-Beauftragte kritisiert die Bundesregierung

Trotz deutlicher Fortschritte bei der Erschließung des Energieträgers Wasserstoff besteht weiter großer Handlungsdruck für die Regierung, mahnt deren Wasserstoffbeauftragter. Quelle: imago images

Deutschland ist beim Ausbau des Wasserstoffs in einer guten Position. Jetzt aber mahnen Experten: Damit könnte es bald vorbei sein.

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Kurz vor der Wahl hat das Bundeskabinett am Mittwoch einen Umsetzungsbericht zur Wasserstoffstrategie verabschiedet. Und der zeigt: Deutschland hat tatsächlich viele Hemmnisse gelöst, die noch im Frühjahr einem Ausbau des Energieträgers im Wege zu stehen schienen. Einige große Fragen aber sind weiter ungelöst. Und so äußert sich ausgerechnet der Wasserstoffbeauftragte der Regierung, der CDU-Abgeordnete Stefan Kaufmann, erstaunlich kritisch zum Stand der Dinge: „Nach vielen Gesprächen mit der Wirtschaft, mit Verbänden, aber auch mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft bin ich überzeugt: Wir können und wir müssen noch deutlich mehr tun, um international nicht den Anschluss verlieren.“

Die Worte mögen erstaunen, denn der Bericht der Bundesregierung liest sich wie ein Erfolg auf ganzer Linie. Partnerschaften mit Zulieferländern seien abgeschlossen worden, wichtige regulatorische Hindernisse beseitigt. So wurde etwa die doppelte EEG-Belastung von grünem Strom, der für die Elektrolyse genutzt werden soll, abgeschafft. Auch die Umsetzung der wichtigen Red III-Richtlinie der EU erfolgte im Sinne der Wasserstoffwirtschaft. 


Erfolge hervorheben, Versäumnisse unterschlagen

Wasserstoff gilt als eine Wunderwaffe im Kampf gegen den Klimawandel. Tatsächlich kann der Energieträger viele schmutzigere Rohstoffe wie Kohle, Öl und Erdgas ersetzen – vom Schiffsantrieb bis zur Stahlproduktion. Allerdings fällt bei der Herstellung selbst enorm viel Energie an – im besten Falle aus erneuerbaren Quellen. Im Zentrum der Wasserstoffstrategie, die die Bundesregierung im Juni vergangenen Jahres beschlossen hat, steht deshalb sogenannter grüner Wasserstoff, der ausschließlich mit erneuerbarer Energie gewonnen wird. Sie sieht dafür Milliardenzuschüsse, rechtliche Erleichterungen und konkrete Produktionsziele vor.

Diese erste Bilanz sei vor allem unvollständig, moniert auch Jorgo Chatzimarkakis, Chef der europäischen Wasserstoffvereinigung Hydrogen Europe: „Die Bundesregierung zählt alles auf, was gut läuft. Die offenen Baustellen aber werden einfach verschwiegen.“ Dabei bezieht sich Chatzimarkakis vor allem auf das sogenannte Zusätzlichkeitsprinzip. Das sieht vor, dass Produzenten von Wasserstoff nachweisen müssen, dass der für die Elektrolyse eingesetzte grüne Strom tatsächlich zusätzlich zum anderswo nachgefragten Grünstrom anfällt, also keinem anderen fehlt – und das alle 15 Minuten. „Diese Regelung stammt aus der Frühzeit der grünen Energieversorgung und war da auch sinnvoll“, sagt Chatzimarkakis, „heute aber ist sie nur noch ein Investitionshindernis.“ Er fordert, zumindest die Nachweispflicht dieser Zusätzlichkeit deutlich zu vereinfachen. Statt alle 15 Minuten solle sie nur noch alle drei Monate oder jedes halbe Jahr anfallen.

Es fehlt der klare Kompass

Auch CDU-Politiker Kaufmann sieht vor allem in Sachen Bürokratie noch viel zu tun. „Wir brauchen klare Verantwortlichkeiten und eine bessere Koordinierung der vielfältigen Aktivitäten in unserem Land.“ Er schlägt eine „Vorfahrt für Investitionen in innovative Wasserstofflösungen im Genehmigungsrecht“ vor.

Damit aber wird es nicht getan sein, so Chatzimarkakis: „Wir sehen jetzt schon, dass die EU beim Klimaschutz immer weniger mit ausgestaltbaren Richtlinien arbeitet und immer öfter mit konkreten Verordnungen.“ Und das bedeute: „Der Spielraum für eigene gesetzliche Impulse wird kleiner, industriepolitische Förderung wird wichtiger.“ Chatzimarkakis prangert vor allem an, dass Deutschland zu wenig tue, um die eigenen Unternehmen stärker zu unterstützen. „Die größten Investitionsbudgets für den Klimaschutz fließen nach Italien, Spanien und Griechenland“, erläutert er. Unternehmen wie Siemens oder ThyssenKrupp seien eigentlich prädestiniert, etwa den Bau von Elektrolyse-Anlagen oder Leitungsnetzen zu übernehmen. Aber: „Deutschland müsste viel mehr dafür tun, dass die Umsetzung der Projekte über deutsche Konzerne läuft.“

Mehr zum Thema: Dem Wasserstoffauto scheint die Zukunft zu gehören. Martin Seiwert sieht das anders – und erklärt im Podcast, warum. Außerdem fragt er den Auto-Professor Stefan Bratzel, was die Industrie vom Wasserstoffantrieb hält.

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