Neue Farbe Warum die Bahn ihre Schienen weiß anstreicht

Hitze und verbogene Schienen: Weiße Farbe soll Abhilfe schaffen. Quelle: dpa

Ungewöhnlich weiße Bahnschienen sorgen für Verwirrung bei Reisenden. Im Netz kursieren wilde Gerüchte: ein Rostschutz? Gegen Unkraut? Kalk? Alles falsch.

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Große Hitze kann Bahnschienen verbiegen. Kann ein Anstrich mit weißer Farbe das verhindern? Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) haben bei Bludenz rund 60 Kilometer südlich von Lindau am Bodensee gerade fünf Kilometer Schienen weiß angemalt. Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) testen weiße Farbe an heißen Tagen auf Abstellgleisen in der Nähe von Solothurn. Auch die Deutsche Bahn (DB) hat seit Anfang Juli einen Versuch auf einem Testgelände laufen, wie eine Sprecherin sagt.

„Studien zeigen, dass mit dem hellen Anstrich die Schienen bis zu sieben Grad kühler bleiben“, sagt SBB-Sprecher Reto Schärli. In der Schweiz ist das Problem akut: so waren am Mittwoch einige S- und Regionalbahnstrecken bei Zürich, im Aargau und bei Genf wegen Gleisschäden zeitweise unterbrochen. Als Ursache werde die Hitze vermutet, sagte ein SBB-Sprecher am Abend. In Deutschland hatte die Schmalspurbahn „Molli“ bei Heiligendamm an der Ostsee im Juni den Verkehr zeitweise eingestellt, weil Schienen verbogen waren.

Schienen sind die Stahlteile, auf denen der Zug fährt, als Gleis wird die ganze Fahrspur mit Schienen und Schwellen bezeichnet. Schienen könnten nach Angaben des SBB-Sprechers bei andauernd großer Hitze bis zu 70 Grad heiß werden. „Bei diesen Verhältnissen will sich das lückenlos verschweißte Gleis ausdehnen, dabei entstehen vor allem in Kurven Querkräfte, die zur Verformung der Gleise führen können“, erläutert er. Im Fachjargon heißt das Gleisverwerfung.

Die Rhätische Bahn im Schweizer Kanton Graubünden hat erste Tests schon 2018 durchgeführt. Die Temperatur der Schienen sei zwar um fünf bis sieben Grad niedriger gewesen, aber der Effekt sei nicht „durchschlagend“ gewesen, sagt Sprecherin Yvonne Dünser. „Wir testen deshalb weiter, auf einigen hundert Metern an exponierten Stellen.“

Im fränkischen Würzburg (Bayern) wurden kürzlich Straßenbahnschienen weiß getüncht. „An sehr heißen Tagen haben wir hier zuvor an den Schienen 60 Grad Celsius gemessen“, sagt Jürgen Dornberger, Sprecher der Würzburger Verkehrs-GmbH. Beim Hitzehoch Anfang Juli habe sich die Farbe bewährt: Die Gleise seien um acht Grad kühler gewesen. Dabei sei es keine Spezialfarbe; nur der Farbton als solcher wirke.

Mit ähnlichem Ziel hat Los Angeles 2017 begonnen, Straßen hell zu gestalten. Das Projekt „Cool Pavement“ (kühler Straßenbelag) soll laut Straßenamt hitzebezogene Todesfälle und den Energieverbrauch von Klimaanlagen reduzieren. Auch für Häuser raten Experten zu hellen Flächen. Helle Farben erhöhen die Rückstrahlung, die sogenannte Albedo. „Nicht umsonst gibt es in Griechenland wie auf Santorin vor allem weiße Häuser“, sagt Stefan Emeis vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

Auch hitzeabweisende Materialien werden erprobt. Die Maßnahmen sind aber nicht ohne Risiko. Heller Straßenasphalt kann laut Wissenschaftlern in der Herstellung umweltschädlicher sein als herkömmlicher Asphalt. Zudem könnten komplett weiße Häuser und Straßen blenden und die Ozonbildung in Bodennähe erhöhen, meint KIT-Forscher Emeis.

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