Neuer Weltklimabericht Weltklimarat: Klimawandel-Folgen werden drastisch

Hitzewellen, die früher alle 50 Jahre vorgekommen seien, werde es künftig alle zehn Jahre geben, sagen die Experten des UN Klimarates voraus. Quelle: REUTERS

Seit dem letzten Weltklimabericht sind die Forscher ein großes Stück weitergekommen. Ihr Fazit: Die Folgen der Erderwärmung werden klarer und der angestrebte Klimaschutz reicht nicht. Die wichtigsten Punkte im Überblick.

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Der Weltklimarat führt die Folgen der menschengemachten Erderwärmung in seinem neuen Bericht drastischer vor Augen als je zuvor. Meeresspiegelanstieg, Eisschmelze, mehr Hitzewellen, Dürren und Starkregen lassen sich nach den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen deutlich sicherer vorhersagen als bisher. Das geht aus dem Bericht über die physikalischen Grundlagen des Klimawandels hervor, der am Montag in Genf veröffentlicht wurde.

Dieser wurde von mehr als 230 Forschenden aus 66 Ländern verfasst. Die Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger wurde von den 195 IPCC-Mitgliedsländern einstimmig abgesegnet. „Die Regierungen sitzen also mit im Boot, keiner kann hinterher sagen: ich habe damit nichts zu tun“, sagte Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie.

Die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick:

Klimawandel ist menschengemacht

Schon im ersten Satz benennen die Experten klarer denn je die Ursache des Klimawandels: „Es ist eindeutig, dass menschlicher Einfluss die Atmosphäre, Ozeane und das Land erwärmt hat.“ In diesem Satz sei keine unsichere Sprache, weil es „keine Unsicherheit darüber gibt, dass die globale Erwärmung von menschlicher Aktivität und dem Verbrennen fossiler Brennstoffe verursacht ist“, schrieb die Co-Autorin Friederike Otto. In früheren Berichten formulierte der IPCC vorsichtiger, es liege „äußerst wahrscheinlich“ an der industriellen Aktivität. Weiter heißt es in dem Bericht: „Menschlicher Einfluss hat das Klima so aufgeheizt, wie es seit mindestens 2000 Jahren nicht mehr vorgekommen ist. (...) 2019 war die CO2-Konzentration in der Atmosphäre höher als zu jedem anderen Zeitpunkt seit mindestens zwei Millionen Jahren.“

Temperaturanstieg nicht aufzuhalten

Die globale Mitteltemperatur liegt nach diesem Bericht für den Zeitraum 2011 bis 2020 knapp 1,1 Grad über dem vorindustriellen Niveau (1850-1900). Laut Pariser Klimaabkommen wollen die Staaten die Erderwärmung unter zwei Grad halten, möglichst bei 1,5 Grad. „Wenn wir die Emissionen nicht schnell genug herunterfahren und bis etwa 2050-2070 netto-null erreicht haben, werden wir beide Pariser Klimaziele verfehlen“, sagte Mitautor Douglas Maraun von der Universität Graz.

Der Weltklimarat entwirft fünf Szenarien. Darunter sind zwei, in denen die Welt etwa 2050 Klimaneutralität erreicht und danach mehr CO2 speichert als ausstößt. Nur damit könnte der Anstieg der Mitteltemperatur Ende dieses Jahrhunderts bei 1,8 Grad oder darunter bleiben.

Bei gleichbleibenden Emissionen bis 2050 würde die Temperatur Ende dieses Jahrhunderts um 2,1 bis 3,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau liegen. In zwei weiteren Szenarien mit mindestens der Verdoppelung der CO2-Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts wäre ein Anstieg der Temperatur um bis 5,7 Grad möglich.

„Wenn man sich anschaut, was die einzelnen Regierungen für den Klimaschutz zugesagt haben, würde man im Moment am ehesten im mittleren Szenario landen“, sagte Notz. „Für die Zukunft bleibt aber natürlich unklar, ob die Zusagen eingehalten werden oder ob die Regierungen andererseits ihre Bemühungen noch verstärken werden.“

Wetterextreme nehmen zu

Die Fakten sind alarmierend: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass Episoden mit Starkniederschlägen in den meisten Regionen mit einer weiteren Klimaerwärmung intensiver und häufiger werden“, heißt es in dem Bericht. Dieser Trend lässt sich auch nicht brechen, wenn der Temperaturanstieg auf 1,5 Grad begrenzt wird. Schlimme Hitzewellen, die bisher etwa alle 50 Jahre auftraten, wird es einmal pro Jahrzehnt geben. Tropenstürme werden stärker, Regen- und Schneefälle nehmen zu. Es wird 1,7-mal so oft wie bisher zu Dürren kommen. Brände werden intensiver und dauern länger. Früher sei der Zusammenhang einzelner Wetterereignisse mit dem Klimawandel unklar gewesen. „Aber jetzt können wir tatsächlich quantitative Aussagen über extreme Wetterereignisse treffen“, erklärte Co-Autor Michael Wehner, Klimaforscher am Lawrence Berkeley National Laboratory in Kalifornien.



Sommer in der Arktis eisfrei

Die Arktis ist die Region, die sich am schnellsten erwärmt, mindestens doppelt so schnell wie der weltweite Durchschnitt. „In der Arktis sind Dreiviertel des Meereisvolumens im Sommer schon abgeschmolzen“, sagte Mitautor Dirk Notz vom Max-Planck-Institut für Meteorologie. „Wir werden es vermutlich nicht mehr verhindern können, dass das Nordpolarmeer bis 2050 im Sommer zumindest in einzelnen Jahre weitgehend eisfrei sein wird.“ Dieser Prozess ist schon seit den 70er Jahren in Gang. Die Eisschmelze bewirkt eine Rückkopplung: Während das Eis das Sonnenlicht reflektiert, nimmt die dunklere Wasseroberfläche die Strahlung auf, was die Erderwärmung noch verstärkt.

Meeresspiegel steigen unausweichlich

Selbst bei Einhalten des 1,5-Grad-Limits wird der Meeresspiegel in Hunderten oder Tausenden Jahren um zwei bis drei Meter und womöglich noch mehr steigen. Der Prozess beschleunigt sich mit der Polareis-Schmelze und der Erwärmung der Ozeane. Überflutungen von Küsten in einem Ausmaß, das früher nur einmal im Jahrhundert vorkam, passieren bis 2100 jedes Jahr. Anstiege des Meeresspiegels von mehr als 15 Metern bis 2300 sind nicht auszuschließen, wenn Kipppunkte eintreten wie der Verlust der Arktis oder Waldsterben. „Je mehr wir das Klimasystem antreiben..., um so wahrscheinlicher überschreiten wir Schwellen, die wir kaum prognostizieren können“, warnte Co-Autor Bob Kopp, Klimaforscher an der Rutgers University im US-Bundesstaat New Jersey.

Die Uhr tickt

Soll das 1,5-Grad-Ziel eingehalten werden, darf nur noch ein bestimmtes Budget an CO2 in die Atmosphäre gelangen. Die Menschheit ist dabei, das in nur einem Jahrzehnt aufzubrauchen. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist die globale Durchschnittstemperatur durch den Ausstoß von 2,4 Billionen Tonnen CO2 um 1,1 Grad gestiegen. Es verbleiben 400 Milliarden Tonnen bis zur Erwärmung um 1,5 Grad. Derzeit belaufen sich die globalen Emissionen auf mehr als 40 Milliarden Tonnen im Jahr.

Unsicherheiten in Berechnungen reduziert

Der Weltklimarat beleuchtete die physikalischen Grundlagen zuletzt 2013. Seitdem hätten sich Unsicherheiten in den Klimamodellen deutlich reduziert. Anders als damals stellt die Wissenschaft jetzt klar fest: Wenn die Treibhausgas-Emissionen nicht sehr schnell heruntergefahren werden, wird das Ziel, die Erwärmung auf unter zwei Grad über vorindustriellem Niveau zu begrenzen, scheitern.

Was auf Europa zukommt

Die Temperatur wird in Europa stärker steigen als im weltweiten Durchschnitt. Häufigkeit und Intensität von Hitzeextremen haben schon zugenommen und werden weiter zunehmen. Der Niederschlag wird im Winter in Nordeuropa zunehmen, aber im Sommer in der Mittelmeerregion und weiter nördlich davon abnehmen. Nach Angaben von Astrid Kiendler-Scharr, vom Institut für Energie- und Klimaforschung am Forschungszentrum Jülich liegt die mittlere Temperatur in Deutschland bereits jetzt bei 1,6 Grad über dem vorindustriellen Niveau.

„Extremniederschläge und dadurch verursachte Überschwemmungen werden nach den Projektionen in allen Regionen außer dem Mittelmeer zunehmen, wenn die Erderwärmung über 1,5 Grad hinausgeht“, heißt es in dem IPCC-Bericht mit Blick auf Europa.

Unabhängig von allen künftigen Klimaschutzmaßnahmen werde der Meeresspiegel außer in der Ostsee an Europas Küsten mindestens so schnell ansteigen wie im globalen Mittel – auch über das Jahr 2100 hinaus. Flutereignisse an den Küsten werden zunehmen. Sandstrände werden im 21. Jahrhundert zunehmend schwinden. Gletscher werden sich deutlich zurückziehen, Permafrost wird auftauen, die Ausdehnung der Schneedecke sinken. Die Schneefallsaison wird in höheren Lagen kürzer.

Kritische Schwellen für das Ökosystem und die Menschen werden überschritten, wenn die Erwärmung mehr als zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau übersteigt.

Horrorszenarien

Der Weltklimarat nennt auch zwei Horrorentwicklungen, die zwar unwahrscheinlich, aber nicht auszuschließen seien. Zum einen ist das ein Anstieg des Meeresspiegels um zwei Meter bis Ende des Jahrhunderts, je nachdem, wie der Eisschild der Antarktis weiter schmilzt. Zum anderen ist das ein Kollaps der Atlantische Umwälzströmung (AMOC), die schon an Fahrt verloren hat. Sie verteilt kaltes und warmes Wasser im Atlantik und beeinflusst etwa den für Milliarden Menschen wichtigen Monsun in Afrika und Asien. Ein Zusammenbruch des Systems, zu dem auch der Golfstrom gehört, hätte auch Auswirkungen auf Europa.

Reaktionen

Umweltverbände wie Germanwatch, der WWF und Greenpeace forderten sofortiges Handeln: „Das Schockierende dieses Berichts ist, dass alles Alarmierende darin abzusehen war - und doch bewegen sich Regierungen und Konzerne beim Klimaschutz noch immer im Schneckentempo“, sagte Christoph Thies von Greenpeace. „Auch die Menschen in Deutschland haben inzwischen schmerzhaft erfahren, dass die Klimakrise unsere Lebensgrundlagen immer schneller zu zerstören droht.“ Der Bericht müsse zusammen mit den jüngsten Bildern von Bränden und Fluten die Politik aufrütteln. Der WWF forderte, die Bundestagswahl im Herbst müsse eine Klimawahl werden: „Lauter als im neuen Bericht des Weltklimarats kann die Wissenschaft nicht mehr warnen“, erklärte Christoph Heinrich, Vorstand für Naturschutz. „Wir müssen dringend handeln, ein weiteres Zögern werden wir uns selbst nicht mehr verzeihen können – ganz zu schweigen von unseren Kindern.“

Germanwatch betonte, die Instrumente zum Kampf gegen den Klimawandel seien da. „Es muss gelingen, die globalen Emissionen in den kommenden zehn Jahren nahezu um die Hälfte zu reduzieren“, verlangte Rixa Schwarz, Leiterin des Teams Internationale Klimapolitik.

Die deutsche Klimaaktivistin Luisa Neubauer hat die Politik angesichts des neuen Berichts des Weltklimarats aufgefordert, das fossile Zeitalter schnell und radikal zu beenden. Sie sagte am Montag: „Es ist ein Menschheitsmoment. Der Weltklimarat ist deutlich: Wir können noch immer die schlimmsten Katastrophen verhindern und das Klima langfristig bei etwa 1,5 Grad stabilisieren“, berichtet die Deutsche Presse-Agentur.

Regierungen müssten mit dem verantwortungslosen Befeuern der Klimakrise aufhören, und schnell und radikal das fossile Zeitalter beenden, sagte die prominente Fridays-for-Future-Aktivistin. „Das wird nur passieren, wenn Menschen überall Druck aufbauen“, sagte Neubauer. „Wir müssen jetzt mutig sein, die Welt steht auf der Kippe.“

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Was folgt?

Der jetzige IPCC-Bericht gilt als Leitlinie für die Weltklimakonferenz im November im Glasgow. Hier sollen die Staaten – wie im Klimavertrag von Paris vereinbart – neue Vorgaben zur Reduzierung des Treibhausgas-Ausstoßes verbindlich festlegen. Das Ziel ist die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf unter zwei Grad – möglichst auf 1,5 Grad – gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen.

Mehr zum Thema: Schon vor der neuesten Prognosen des Weltklimarates war klar: Emissionen einzusparen wird nicht genügen, zusätzlich muss Kohlendioxid aus der Luft gefiltert werden – ein neues Milliardengeschäft. Doch welche Technik eignet sich?

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