Pisten-Lockdown Wandern statt Polo auf dem Eis – so reagiert der Luxus-Skiort St. Moritz auf Corona

St. Moritz im Winter

Europa diskutiert den Pisten-Lockdown. Was heißt das für einen so mondänen und internationalen Schweizer Wintersportort wie St. Moritz und sein Jet-Set-Publikum? Ein Gespräch mit dem Tourismus-Manager Jan Steiner.

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Jan Steiner ist seit Anfang 2019 Mitglied der Geschäftsleitung der Engadin St. Moritz Tourismus AG, verantwortlich für Verkauf, Kommunikation und Marketing. Zuvor war er Tourismusdirektor der Gemeinde Pontresina​​ im Oberengadin.

WirtschaftsWoche: Herr Steiner, an diesem Wochenende öffnen Sie – wie geplant – die Skipisten in St. Moritz. Was glauben Sie, wird das für eine Wintersaison bei Ihnen im Engadin?
Jan Steiner: Erst einmal bin ich froh, dass wir den Betrieb auf der Corviglia und am Corvatsch tatsächlich starten. Das ist in diesen Coronazeiten ja nicht überall so. Mancher Skiort hat die Eröffnung erst einmal verschoben. Was das für eine Saison wird, das müssen wir sehen. Vor zwei, drei Wochen noch hätte ich gesagt, ich bin optimistisch, dass es gut läuft in diesem Winter. Heute wage ich keine Prognose mehr. Wir hoffen das Beste und orientieren uns erst einmal von Tag zu Tag.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gerade dafür plädiert, im Kampf gegen die Pandemie in diesem Winter alle Skigebiete in Europa zu schließen. Ähnlich tönen Italiens Regierungschef Giuseppe Conte und Frankreichs Präsident Macron. Könnte sich die Schweiz einem Lockdown der Pisten entziehen?
Der Druck steigt natürlich, auch bei uns zu reagieren. Aber die Entscheidung treffen die Schweizer Regierung, der Bundesrat in Bern, und die Kantone. Eher müssen Sie dort anfragen, wie sich die Politik verhält. Ich hoffe jetzt mal, dass wir die Saison offenhalten können, weil sich die Coronazahlen hoffentlich demnächst wieder nach unten entwickeln. Wir akzeptieren die Maßnahmen der Regierungen der anderen Ländern. Wir haben aber auch die Erwartung, dass diese im Gegenzug unsere Maßnahmen akzeptieren. 

Jan Steiner Foto: Engadin St. Moritz Tourismus

Selbst wenn die Pisten in der Schweiz nicht schließen: St. Moritz ist einer der renommiertesten Wintersportorte im Land, mehr als die Hälfte der oft wohlhabenden Gäste kommt aus dem Ausland, 20 Prozent alleine aus Deutschland. Für die ist die Schweiz derzeit ein Risikogebiet ...
Das ist leider so. Bisher scheint es, dass die Buchungen Richtung Weihnachten noch recht stabil sind. Aber wir müssen schauen, wie sich die Infektionszahlen entwickeln und das am Ende wird. Was wir aber schon sehen: Die Leute entscheiden sicher kurzfristiger. Gleichzeitig reservieren diejenigen, die buchen, aber deutlich länger, berichten die Hoteliers. Manche Gäste melden sich gleich für einen ganzen Monat an. Auch in den Top-Hotels.

Sie könnten in St. Moritz auch davon profitieren, dass die EU-Länder ihre Pisten schließen und die unerschütterlichen Pistenfans dann sämtlich in die Schweiz reisen …
Darauf setzen wir nicht. Im Gegenteil, wir haben die Werbung in Deutschland aktuell sogar eingestellt.

Es ginge ja vielleicht etwas subtiler. Und gerade bei den besten Gästen, den Schönen und Reichen des Jet-Set, die in den Top-Hotels Stammkunden sind oder am Ort Haus oder Wohnung haben, bei denen brauchen Sie vermutlich ohnehin nicht zu werben. 
Zumindest haben diese Gäste wenig Mühe, zu uns zu kommen. Mit dem Flugplatz Samedan haben wir ja einen der höchstgelegenen internationalen Flughäfen Europas direkt vor der Türe. Wer will, kann uns direkt anfliegen, ohne über Zürich oder sonst einen Airport anreisen und dann umsteigen zu müssen. Das ist sicher ein Vorteil für manche Menschen.

Was ist mit möglichen Reisebeschränkungen?
An ihrer Versorgung wird es bestimmt nicht hapern. Selbst wenn diese Gäste nach der Einreise bei uns oder nach der Rückkehr aus der Schweiz erst einmal einen Gesundheitscheck machen oder daheimbleiben müssten, sie sind ganz sicher gut versorgt. Tatsächlich haben wir schon gehört, dass mancher lieber ein paar Tage in Quarantäne ginge, als nicht zu kommen.

Trotzdem liefe einiges anders in diesem Jahr: Champagner-Events beim Pferderennen auf dem zugefrorenen St. Moritzer See lassen sich unter Coronabedingungen kaum durchführen, oder?
Richtig. Wir haben über den Sommer monatelang Konzepte entwickelt, wie der Wintertourismus in diesem Jahr laufen kann. Und der White Turf oder der Snow Polo World Cup passen da in diesem Jahr wirklich nicht hinein. Wir haben die Termine schon vor Wochen auf 2022 verschoben, wenn es – hoffentlich – wieder passt. In der Zwischenzeit haben wir alternative Konzepte entwickelt. Auf dem See wird es eine Eisbahn geben, Langlaufloipen und Winterwanderwege. Es ist klar: Wir müssen uns in diesem Winter ein Stück neu erfinden.

Weil sich auch die Kundschaft ändert?
Zwangsläufig. Das haben wir schon im Sommer gemerkt. Da haben uns unter anderem all die Gäste aus Übersee gefehlt, die sonst mit dem Bernina- oder dem Glacier-Express per Zug die Berge erfahren. Und auch sonst hat sich das Publikum stark verschoben. Im Engadin hatten wir sogar rund 20 Prozent mehr Urlauber als sonst, viele beispielsweise aus der Westschweiz. Wo sonst vor allem Deutsch, Englisch oder Italienisch gesprochen wird, kam plötzlich Französisch dazu.


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Mehr Gäste? Das heißt, Sie haben von Corona sogar profitiert?
Das nicht, in St. Moritz hatten wir rund 20 Prozent weniger Gäste. Das hat sich dann insgesamt etwa ausgeglichen. Aber auch da hatten wir viel mehr Besucher aus der Schweiz. Und wir hatten damit sehr viel Leute in der Region, um die Corona-Schutzmaßnahmen zu testen, die wir nun – angepasst für den Winter – auch umsetzen wollen: Abstand, Schutzmasken, Hygienekonzepte, Warteschlangen-Management …

Bilder dicht gedrängter Skifahrer an den Seilbahnen, wie kürzlich noch in Österreich oder anderen Orten in der Schweiz, die wird es bei Ihnen nicht geben?
Das kann ich Ihnen nicht versprechen. Mit der Eigenverantwortung ist das bei manchen Leuten so eine Sache. Aber die Bergbahnen haben überall zusätzliches Personal vorgesehen, die das möglichst verhindern sollen. So eine Art Corona-Guides, die Bewusstsein schaffen und den Menschen schon mal den Weg weisen können. 

Und was, wenn das alles nicht reicht? Wenn die EU doch ein Wintersportverbot beschließt, oder der Schweizer Bundesrat die Pisten schließt?
Ich mag es mir gar nicht vorstellen. Denn natürlich gehören Alpinski und Snowboard zum Kern unseres Angebotes. Andererseits sind sie zum Glück nicht das Einzige, das die Menschen zu uns lockt. Das Engadin als Hochtal bietet mit seiner Ausdehnung jede Menge Möglichkeiten, die Natur zu genießen – vom Winterwandern, über Langlauf bis zu Schneeschuhlaufen oder Skitouren. Und in der Weite der Winterlandschaft ist „Distanzhalten“ ja eh nicht das Problem. Was auch immer kommt, der Winter findet bei uns trotzdem statt, er wird halt ein ganz anderer als sonst.

Mehr zum Thema: Die Ansage der Bundeskanzlerin, Skigebiete in ganz Europa sollten diesen Winter schließen, stößt bei Skihersteller Völkl auf Kritik.

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